Situation der Frauen: So ist die Situation im Ortenaukreis

Themenbild Frauentag, Männlich/Weiblich Borowski Kunstwerk ©ULRICH MARX
„Die gesellschaftlichen Machtverhältnisse benachteiligen Frauen immer noch“, sagt Inge Vogt-Goergens anlässlich des heutigen Internationalen Frauentags. Das Thema der Vorstandsfrau von „Frauen helfen Frauen“, dem Trägerverein des Frauenhauses, ist gewaltfrei leben, gegen häusliche Gewalt und für funktionierende Hilfsangebote. Für sie dient der Frauentag dazu, dass Frauen öffentlich machen, dass sie oft körperlich angegangen werden. Statistisch gesehen wird alle 45 Minuten eine Frau Opfer von gefährlicher Körperverletzung durch häusliche Gewalt. Jede zweite Frau erlebt in ihrem Leben sexuelle Belästigung.
Da 110 Frauen und Kinder 2020 im Ortenauer Frauenhaus nicht aufgenommen werden konnten, weil es überbelegt war, fordert sie eine gesicherte Finanzierung von Beratungsstellen bei häuslicher und sexueller Gewalt.
Für Inge Vogt-Goergens war besonders beeindruckend, mit welcher Kraft sich Frauen das Wahlrecht erkämpft haben. „Der Alltag vieler Frauen zeigt uns, dass wir mehr Rechte nur erhalten, wenn wir aktiv dafür eintreten“, sagt sie.
„Einmal im Jahr ist es wichtig, daran zu denken, dass bis zur vollständigen Gleichberechtigung noch ein Weg vor uns liegt, wobei in den letzten Jahrzehnten schon sehr viel erreicht wurde“, sagt Andrea Müller, Professorin für Direktmarketing und E-Commerce und Gleichstellungsbeauftragte der Hochschule Offenburg.
Dennoch müssten Frauen ihre „neue“ gleichberechtigte Rolle erst erfühlen. „Wir können in einer Person Karrierefrau, Mutter und Partnerin sein. Wir sind bereit und gerüstet, Verantwortung in den Unternehmen, den Institutionen und der Politik zu übernehmen – vielleicht mehr als jemals zuvor in unserer Geschichte“, zeigt Müller auf. Wichtig sei es, für alle – Frauen und Männer –erfahrbar zu machen, dass keine Person das Anrecht oder die Pflicht hat, eine vorgezeichnete oder traditionelle Rolle in der Gesellschaft einzunehmen.
Karriereplanung
Müller und ihre Kollegin Professorin Sabine Burg, wollten den Tag für die Hochschule zu einem besonderen machen. Sie feiern heute das Abschlussevent ihrer Veranstaltungsreihe „Mentoring Future“. „Es ist uns endlich gelungen: Erstmals verleihen wir am Montag unseren Genderpreis.“ Zudem erhalten die ersten elf Masterstudentinnen ein Abschlusszertifikat. Sie wurden ein Jahr lang bei ihrer Karriereplanung unterstützt.
„Für mich steht eine ausgewogene Teilhabe von Frauen in der Politik an erster Stelle, denn da wird entschieden, wie wir im Alltag leben und wie wir die Zukunft gestalten wollen“, sagt Pascale Simon-Studer, Gleichstellungsbeauftragte des Ortenaukreises.
Ein Schlüsselerlebnis war für sie die Geburt ihrer ersten Tochter: Ab da galt es, Familienleben mit Arbeitsleben parallel zu meistern. Simon-Studer sah, wie viele Mütter aufgrund von mangelnden Betreuungsangeboten und nicht fair geteilter Familienarbeit den Anschluss zum Berufsleben verloren und damit auch finanzielle Autonomie und Entscheidungsmacht über ihr Leben. Ihr Fazit: „Wir brauchen immer noch einen Weltfrauentag, um den Menschen zu verdeutlichen, dass in keinem Land der Welt die Frauen die gleichen Verwirklichungschancen wie die Männer haben.“
Zwangsprostitution
Am Weltfrauentag denkt die Gleichstellungsbeauftragte an die vielen Frauen, meist Ausländerinnen, die in Deutschland zur Prostitution gezwungen werden. Deren Leben werde zerstört: „Es macht mich wütend, dass der Staat das Problem der Zwangsprostitution, die zirka 90 Prozent ausmacht, nicht in den Griff bekommt.“
In Zeiten der Pandemie sei der Frauentag besonders wichtig, steht für Geschäftsführer Ahmed Karademir fest. Der Erste Bevollmächtigte der IG Metall sagt: „Die Krise hat die Ungleichheit verstärkt.“ Lediglich Kurzarbeit und Homeoffice hätten die Mütter davor bewahrt, ihre Arbeitszeiten selbst weiter reduzieren zu müssen. Das habe auch eine Beschäftigtenbefragung der IG Metall ergeben. Wie seit Jahren bleiben seine Forderungen deshalb ein gleiches Entgelt für gleiche Arbeit, mehr Frauen in Führungspositionen und eine gerechtere Verteilung der Sorgearbeit.
Mit dem Weltfrauentag verbindet den Bevollmächtigten Karademir etwas Besonderes: „Mein erste Kind wurde am 8. März geboren: eine Tochter!“
Oliver Fingerhut lernte den Frauentag 1997 bei seiner Ausbildung kennen: Spätaussiedlerinnen brachten dem Diakon der Seelsorgeeinheit St. Ursula Offenburg den Frauentag näher, der in der sozialistischen Tradition ihrer Herkunftsländer eine große Bedeutung hatte. Die Frauen „durften“ in hohem Maße erwerbstätig sein, aber die „sozialistische Errungenschaft“ fand im Rahmen einer patriarchalen Tradition statt, resümiert er: Die Frauen waren fast alle allein zuständig für Haushalt und Kindererziehung – neben dem Job. Er sagt: „Gerade in den Pandemiezeiten wurde vielfach deutlich, wie dünn der Firnis der Emanzipation ist, wie tief verwurzelt so manche Rollenprägungen sind und wie schnell zumindest zwei der drei „K“s (Kinder, Küche, Kirche) wieder fest in Frauenhand sind.“
„Eigentlich wünsche ich mir für unsere Gesellschaft, dass ein Frauentag bald ein überflüssiger Anachronismus ist – aber so weit sind wir noch nicht“, so Diakon Fingerhut.