Familie berichtet von ihrem Alltag

"Svea ist kein Exot, Menschen wie sie gibt es hier einige"

Christiane Agüera Oliver
Lesezeit 6 Minuten
Jetzt Artikel teilen:
23. Dezember 2021
Familie Patzak mit der neunjährigen Svea Patzak (im Rollstuhl) bei der Kinderklinik des Epilepsiezentrums in Kork im Gespräch mit Oberarzt Tobias Dietel (rechts).

Familie Patzak mit der neunjährigen Svea Patzak (im Rollstuhl) bei der Kinderklinik des Epilepsiezentrums in Kork im Gespräch mit Oberarzt Tobias Dietel (rechts). ©ULRICH MARX

Svea Patzak (9) ist derzeit als Patientin in der Epilepsieklinik in der Diakonie Kork. Die Aktion „Leser helfen“ der Mittelbadischen Presse sammelt Spenden für das Epilepsiezentrum der Diakonie Kork. Bislang sind schon 147 742 Euro zusammengekommen.

Seit dem 29. November ist Svea Patzak stationär in der Kinder- und Jugendklinik im Epilepsiezentrum in Kork. Wahrscheinlich werde die Neunjährige vor Weihnachten entlassen. Dies hoffen zumindest ihre Eltern Tanja und Christian Patzak, auch wenn es eventuell nur für eine Pause mit einer Anschlussbehandlung im Januar ist. Für das Mädchen mit einer genetischen Veränderung, die zu einer Entwicklungsstörung und Epilepsie führt – in diesem Rahmen bestand am Gehirn eine Fehlanlage des linken Stirnlappens, die epilepsiechirurgisch entfernt wurde – sowie atypischem Autismus und geistiger Behinderung, ist der Aufenthalt in Kork nichts Neues. Denn dort ist sie ständig in Behandlung, stationär auch schon mal für eine Dauer bis zu zehn Wochen.

Sorgen darum, wie es weitergeht

Erstmals ist Vater Christian Patzak als Begleitperson alleine dabei. „Eine schwierige Situation für uns alle, wir leiden unter der Trennung“, sagt Mutter Tanja Patzak. Hinzu käme die Sorge, wie es weitergehe. „Die Gedanken kreisen.“ Mehrmals täglich telefoniert die Familie miteinander oder schickt sich Videos. „Zuhause ist es sehr ruhig“, beschreibt Tanja Patzak. Viel Zeit bleibe da für Sveas kleine Schwester Juna. Die Mutter unternimmt mit der Fünfjährigen Dinge, die zusammen mit Svea nicht so gut möglich wären. An den Wochenenden fahren die beiden von ihrem Wohnort im bayrischen Lohr am Main nach Kork und verbringen so viel Zeit wie möglich zu viert. Doch Corona mit seinen Einschränkungen erschwere die Situation sehr.

Der Alltag ist für die Familie anstrengend. Svea besucht eine Schule mit Förderschwerpunkt geistige Entwicklung. Das Mädchen schläft nachts nicht durch, ist oft unruhig. „Svea liebt es, wenn wir ihr vorsingen, sie klatscht und lacht dann“, berichtet die Mutter. Stets müsse es eine direkte Betreuung geben, weil sie keine Gefahren einschätzen könne. „Die Pflege ist aufgrund ihres Abwehrverhaltens sehr anstrengend und kostet viel Kraft.“

Anfälle schränken ein

„Sveas Erkrankung und vor allem ihre geistige Behinderung bestimmen einfach alles“, berichten die Eltern. Es werde alles darauf ausgerichtet und abgestimmt. „Mein Mann und ich teilen uns häufig auf, damit auch Juna ihren Hobbies nachgehen kann. Sie tanzt Ballett, möchte auf den Spielplatz gehen und ihre Freunde treffen“, berichtet Tanja Patzak. Sveas starke Unruhe, ihr Schreien sowie die Anfälle schränken die Familie stark ein. „Juna nimmt ihre Schwester wie sie ist, sie kennt sie nur so“, sagt der Vater. Beide würden sich „auf ihre Art“ lieben. Die Eltern bleiben dabei stets auf der Hut, „Svea entwickelt starke Kräfte und ist sehr grob“.

Svea galt als gesund, bis sie 13 Monate alt war

„Unsere Tochter galt als gesund, bis sie 13 Monate alt war, erst dann traten die ersten epileptischen Anfälle auf“, berichtet Tanja Patzak. „Sie saß im Hochstuhl, ihr Oberkörper kippte mehrmals nach vorne um. Wir wussten nicht sofort, dass es sich um ein Anfallsleiden handelt“, erinnert sie sich. Das war im September 2013. Erst während des ersten Aufenthaltes in Kork von Juli bis September 2014 wurden beim MRT die Dysplasien gefunden. Vorher waren die Eltern mit ihrem Kind mehrere Monate im Universitätsklinikum Würzburg sowie im Klinikum Kassel in Behandlung. Das Syndrom wurde erst im November 2015 entdeckt. Immer wieder war das Mädchen zur Medikamentenumstellung im Epilepsiezentrum in Kork. „Es wurden Medikamente ein- und ausdosiert“, zählt der Vater unter anderem auf, dass Diagnostik wiederholt und ergänzt, MRT, Lumbalpunktion und unzählige EEGs geschrieben wurden. Zudem sei die modifizierte Atkins-Diät eingestellt, samt Einweisung für die Eltern mit Kochkursen, und auch wieder ausdosiert worden.

- Anzeige -

Im Januar 2015 folgte in der Uniklinik Freiburg eine Operation. „Es wurde der linke Frontallappen entfernt“, blicken die Eltern zurück. Leider ohne Erfolg. „Svea gilt als therapieresistent, sie hatte bereits 16 Medikamente, die Diät, Cortisonstoßtherapien und die OP“, so der Vater.

"Eiskalte, feuchte Hände"

Aktuell krampft das Mädchen drei bis vier Mal in sogenannten tonischen Serien von jeweils fünf bis 15 Minuten, bei denen die einzelnen Anfälle zwar nur ein bis zwei Sekunden dauern, sich aber aneinanderreihen. „Svea bekommt eiskalte, feuchte Hände, sie starrt und macht Kaubewegungen, ihr Bewusstsein ist getrübt und je nachdem wie stark die Anfälle sind, weint sie. Ihre Arme und Beine werden steif, der Oberkörper kippt nach vorne“, beschreibt Tanja Patzak.

Aktuell erfolge eine Medikamentenumstellung, weil Sveas Anfälle immer länger und intensiver würden. „Sie bekommt ein neues Medikament eindosiert, Cannabidiol. Da dieses Wechselwirkungen mit einem ihrer aktuellen Medikamente hat – Nitrazepam, es stammt aus der Reihe der Benzodiazepine und verursacht Entzugsanfälle – , müssen wir eben dieses senken. Beim Senken drohen Entzugsanfälle“, erklärt der Vater. Doch Svea sei in Kork in guten Händen und es könne direkt reagiert werden, wenn es dazu komme, „das könnten wir zu Hause nicht stemmen“.

Hippotherapie zu Hause

In Kork bekommt Svea Physiotherapie sowie regelmäßige Termine bei der Unterstützten Kommunikation. „Die erste Hippotherapie hatte Svea hier im Frühjahr 2015, seither auch zu Hause einmal wöchentlich“, berichtet die Mutter. Diese Therapieform werde von der Krankenkasse zwar nicht bezahlt, ist für das Mädchen aber sehr wichtig, da es die Rumpfmuskulatur trainiert. „Mittlerweile nimmt sie das Pferd auch als Tier wahr und freut sich. Sie schnalzt mit der Zunge, wenn es losreiten soll. Das ist sehr beeindruckend, da Svea sehr in ihrer eigenen Welt feststeckt und sich bisher überwiegend durch Blicke oder Klopfen bemerkbar macht. Fremde Menschen nehmen ihre Bedürfnisse kaum wahr.“

"Fröhlich und gewohnt laut"

Für die Familie ist die Diakonie Kork sehr wichtig. „Svea ist kein Exot, Menschen wie sie gibt es hier einige.“ Sie sei mobil, kann zwar nicht sprechen, aber man würde ihr die Behinderung auf den ersten Blick nicht ansehen. „Sie hat starke Weglauftendenzen, schreit immer wieder. Man kennt hier Menschen wie Svea. Das ist wichtig und so was wie ein geschützter Raum“, sind sie dankbar. Auch wenn es Svea nicht immer gut ginge, und sie wegen der Untersuchungen traumatisiert sei. „So lange man sie in Ruhe lässt, ist sie aber fröhlich und gewohnt laut.“

Info

Die aktuellen Spendernamen

Der gemeinnützige Förderverein „Leser helfen“ verschickt bei Spenden ab 300 Euro automatisch Spendenbescheinigungen. Wichtig dafür ist die vollständige Anschrift auf dem Überweisungsträger oder dem Einzahlungsbeleg. „Leser helfen“ nennt übrigens jeden Spender in der Zeitung und auf Baden Online (bo.de). Wer dies nicht möchte, sollte dies unbedingt vermerken.

Hubert und Lucia Heizmann, Brigitte Karcher, Wilfried und Roswitha Eggs, Brunhilde Armbruster, Rudolf Buchholz, Manfred Huber, Jens, Claudia und Linus Rothe, Marianne und Jürgen Wärter, Manfred und Lore Grampp, Bruno und Doris Halter, Klaus und Hedwig Quellmalz, Rudi und Ursula Maurer, Gabriele Wittmeier, Wilfried und Inge Bierer, Erika Armbruster, Heinrich und Gerda Kirn, Anneliese Müller-Harter, Kurt und Sophie Schwenk, Maria und Wendelin Burger, Manfred und Elfriede Wegel, Friedrich Albrecht und Angelika Albrecht-Braun, Marlene Rappenecker, Klaus-Peter Schindler, Baumschule Eugen Huber, Günter Harr, Franz Lutz, Anneliese Schubert, Volker und Helga Koch, Rosa Oberle, Rita Bauer, Bernhard Schmid, Monika Matus, Ditmar Gasse, Eva Busam, Michael Sturm, Elisabeth Hummel, Eleonore Buchta, Helga Molitor, Jutta und Ulrich Hartmann, Katholische Frauengemeinschaft Ortenberg.

Weitere Artikel aus der Kategorie: Ortenau

Zielgenaue Präventionsmodule bietet der Hilfsverein „Aufschrei gegen sexuelle Gewalt“ an.
vor 2 Stunden
Freispruch nach qualvollem Prozess
Nach einem Prozess ist "Aufschrei" weiterhin für seine Klienten da. Die Aktion "Leser helfen" unterstützt den Ortenauer Verein gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Erwachsenen.
Freut sich über Zuwachs: Metzger Christian Birk (Mitte) mit seinen beiden neuen Auszubildenden Ajin Thomas und Vishak Jayapalan (von links), die von der Handwerkskammer vermittelt worden sind.
vor 5 Stunden
Weil Fachkräfte fehlen
Angeworbene Azubis aus Indien sollen helfen, offene Ausbildungsstellen in der Ortenau zu besetzten. Zwei Unternehmer aus der Region berichten über ihre Erfahrungen damit.
vor 17 Stunden
Ortenau
Der Anteil von Fahrzeugen mit alternativen Antrieben steigt im Ortenkreis. Allerdings ist der Landkreis noch mit angezogener Handbremse unterwegs: Bundesweit liegt er im hinteren Drittel.
vor 20 Stunden
Ortenau
Aus ungeklärter Ursache ist am Samstagmorgen auf der A5, zwischen Offenburg und Appenweier, ein unbeladener Lastwagen in Brand geraten.
Ein gekipptes Fenster ist für Einbrecher ein offenes Fenster. Die Polizei rät, wie man sich in der dunklen Jahreshälfte vor Wohnungseinbrüchen schützt.
vor 23 Stunden
Wohnungseinbrüche steigen nach Corona im Kreis wieder an
Nach Corona gibt es wieder mehr Wohnungseinbrüche in der Ortenau. "Spitzenreiter" des vergangenen Jahres ist Kehl. Aber das war nicht immer so.
08.12.2023
Offenburg
In der Nacht auf Donnerstag ist es zu einem Diebstahl eines Oldtimers in der Burdastraße in Offenburg gekommen. Die Polizei hofft nun auf Zeugenhinweise.
In Seelbach entsteht eine Flüchtlingsunterkunft, die Platz für 50 Menschen bieten soll.
08.12.2023
Ortenau
Die Gemeinde Seelbach ist dem Aufruf des Ortenaukreises gefolgt und stellt eine Freifläche für eine Container-Anlage zur Verfügung. Sie soll Platz für rund 50 Menschen bieten.
Mit einer Schreckschusswaffe sollen die Täter ihren Opfern gedroht haben.
08.12.2023
"Mach Stress, mach Stress"
Wegen mehrerer Raubüberfälle stehen zwei junge Männer vor dem Landgericht Offenburg. Sie sollen in Lahr Passanten überfallen und auf ein Opfer geschossen haben.
Hat immer gut gelaunte Fahrgäste: Peter Bartsch von Rist Reisen chauffiert im Rust-Bus Ruster und Europa-Park-Besucher kostenlos zum Einkaufen oder in den Freizeitpark.⇒Foto: Faruk Ünver
07.12.2023
Ortenau
Ein Jahr Vorlauf, ein Jahr Testbetrieb: In Windeseile haben Rust und der Europa-Park den Rust-Bus etabliert. Auf Anhieb nutzten 100.000 Personen die kostenlose Fahrt zu elf Haltestellen im Ort.
Er will vor allem das klassische Tischspiel wieder stärken – und damit der Online-Konkurrenz die Stirn bieten: Tobias Wald hat sein Mandat als CDU-Landtagsabgeordneter für den Wahlkreis Baden-Baden/Bühl niedergelegt und ist seit 1. Dezember Chef der Landesspielbanken.
07.12.2023
Neues Spiel, neues Glück
Zum ersten Mal in ihrer Geschichte haben Casinos rote Zahlen geschrieben. Mit Tobias Wald, dem neuen Chef der Spielbanken im Land, haben wir über Online-Konkurrenz, Mitarbeiterführung und seinen Rückzug aus der Landespolitik gesprochen.
Vergewaltigungsprozess: Der Angeklagte wird freigesprochen, Petra N. verzweifelt am Rechtssystem, symbolisiert beispielsweise durch die Justitia auf dem Historischen Offenburger Rathaus.
07.12.2023
"Ich fühlte mich wie eine Witzfigur"
„Leser helfen“ unterstützt den Verein „Aufschrei“ gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Erwachsenen. Petra N. zeigte ihren Peiniger an und verlor den Prozess. Hier erzählt sie ihre Geschichte.
In der Flüchtlingsunterkunft "Am Sägeteich" in Offenburg brannte es Ende September. Deshalb erhielt der Kreis für die Aufnahme weiterer Flüchtlinge einen Aufschub. Eine Woche nach dem Feuer konnten die Flüchtlinge in die Unterkunft zurück.
06.12.2023
Ortenau
Der Strom reißt nicht ab: 1849 Menschen aus anderen Ländern fanden bis Ende Oktober den Weg in die Ortenau. Der Kreis hat mittleweile ein Platzproblem.

Das könnte Sie auch interessieren

- Anzeige -
  • Die Firmenleitung von Stinus (v.l.): Ferdinand Weber, Jürgen Knapp und Christian Schoenenberg. 
    06.12.2023
    "Wer gut geht, dem geht es gut" – Stinus sorgt dafür
    Gegründet im Jahr 1905 ist die Stinus Orthopädie GmbH heute zum Unternehmen mit 85 Beschäftigten an sieben Standorten angewachsen. Der klassische Komplettbetrieb wird von der fünften Generation weitergeführt.
  • Das Stadtquartier Rée Carré bietet viele verschiedene Aktionen in der Adventszeit an.
    25.11.2023
    Offenburg: Aktionen und Events im Stadtquartier
    In der Adventszeit pflegt das Rée Carré lieb gewonnene Traditionen. Das Stadtquartier erstrahlt im Lichterglanz und bietet neben Glühwein und den vertrauten vorweihnachtlichen Düften ganz besondere Events, um die besinnliche Zeit zu begehen.
  • Petro Müller, Inhaber des Autohauses Baral in Lahr (rechts), und sein Sohn Gerrit suchen noch einen Mechatroniker, um das Team zu verstärken. 
    21.11.2023
    Im Suzuki-Autohaus Baral wächst die nächste Generation heran
    Das Suzuki-Autohaus Baral in Lahr hat sich auf Kleinwagen – neu und gebraucht - spezialisiert. Inhaber Petro Müller und sein Team setzen auf Beratung und Meisterservice in der Werkstatt.
  • Sie halten die Tradition des Bierbrauens hoch im Brauwerk (von links): Der neue Betriebsleiter und Braumeister Martin Schmitt, Geschäftsführer Oliver Braun, Ulrich Nauhauser, der ausgeschiedene Betriebsleiter und Braumeister, sowie Rick Pfeffer, der neue Braumeister.
    21.11.2023
    Brauwerk Baden: Immer am Puls der Zeit
    Die alte und neue Generation der Braumeister des Brauwerks Baden bieten den Kunden neben traditioneller Braukunst auch nachhaltige Ideen und neue Trends.