Wie reagieren, wenn man einen sexuellen Übergriff beobachtet?
Wie man reagieren sollte, wenn sexuelle Übergriffe beobachtet werden oder man von einem Betroffenen ins Vertrauen gezogen wird, erklärt Sexualpädagogin Carolin Heuwerth.
Sexualisierte Gewalt kann jedem und überall passieren. „Wir müssen das Unmögliche, Undenkbare mitdenken: jede und jeder kann potenziell übergriffig und Täter sein. Die Wahrscheinlichkeit, keine betroffene Person und keine Täterin oder Täter zu kennen, ist gering“, sagt Sexualpädagogin Carolin Heuwerth vom „Aufschrei“. Der Ortenauer Verein gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Erwachsenen steht im Mittelpunkt der Benefizaktion „Leser helfen“ der Mittelbadischen Presse. Die Präventionsangebote sollen ausgebaut und die Beratungen intensiviert werden.
Direkt weggehen
Jede Person könne „Zeuge“ werden und „direkt“ sexueller Gewalt oder sexuellen Übergriffen begegnen. „Das ist jedoch Ermessenssache jedes einzelnen“, so Carolin Heuwerth. Je nach Situation, egal ob beispielsweise als Passant im Park, im Zug oder auf dem Sportplatz, könne man so tun, als würde man die betroffene Person kennen. „Hey, da bist Du ja endlich, ich habe Dich gesucht, lass uns gehen“, rät Carolin Heuwerth dann zu rufen. Direkt sollte man mit der angegriffenen Person weggehen und sich nicht in ein Gespräch mit dem Täter oder der Täterin „einwickeln“ lassen. „Und auch den Täter siezen, damit von außen ersichtlich wird, dass man die übergriffige Person nicht kennt.“
Der betroffenen Person sollte man anschließend Hilfe anbieten und auf Unterstützungsangebote wie unter anderem das Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen, Hilfetelefon Gewalt an Männern, Fachberatungsstellen oder Frauenhäuser hinweisen.
Die Ruhe bewahren
Es gibt aber auch Situationen, in denen man als Außenstehender einen Verdacht hegt, weil sich Personen aus der Familie oder dem Bekanntenkreis verändert haben. Da gelte es Ruhe zu bewahren. „Potenziell betroffene Personen eher einfühlsam ansprechen und akzeptieren, wenn diese nicht reden wollen und sagen, dass ‚alles gut‘ sei.“ Dann könne man sich als Außenstehender an „Aufschrei“, andere Fachberatungsstellen oder Hilfehotlines wenden.
Für Menschen, die von sexualisierter Gewalt betroffen sind, sei es schwierig, sich überhaupt jemandem anzuvertrauen. Oft sind es die Menschen aus dem Freundeskreis, denen sich die Betroffenen zuerst anvertrauen und die nichtsahnend „aus allen Wolken fallen“.
Es würde keine eindeutigen Hinweise auf erlebte sexuelle Gewalt geben, auch keine allgemeingültigen Regeln, wie man Betroffenen helfen und sie unterstützen kann. „Vor allem Kinder versuchen Normalität zu wahren“, berichtet die Sexualpädagogin. Häufig würden die Zeichen erst rückblickend gedeutet. Sexuelle Gewalt sei jedoch ein lebensbestimmendes, traumatisches Ereignis für alle Betroffenen, das unterschiedliche Folgen wie beispielsweise Angst- und Paniksymptome, depressive Verstimmungen, psychosomatische Erkrankungen bis hin zum Suchtverhalten haben kann. Oft seien ein Rückzug aus dem sozialen Umfeld sowie starke emotionale Reaktionen wie Wut und Reizbarkeit erkennbar oder eine sogenannte partielle Amnesie, also Erinnerungslücken, können auftreten.
Glauben schenken
Beim Zuhören sollte das Erzählte nicht in Frage gestellt, bewertet und keine (Mit)schuld suggeriert werden. „Die Aussagen unbedingt ernst nehmen und Glauben schenken!“, betont Heuwerth. Gerade das Gefühl von Schuld und Scham würde es Betroffenen schwer machen, über das Erlebte zu sprechen. „Erwachsene Betroffene müssen selber darüber reden wollen.“
Kinder hingegen würden im Durchschnitt sieben Erwachsene ansprechen, bis sich etwas bewege, bis geholfen werde. „Wichtig ist, wenn sich ein Kind anvertraut, es zunächst für den Mut zu loben. Erklären Sie einfühlsam, dass man das ‚Geheimnis‘ weitererzählen muss, da es ein ‚schlechtes Geheimnis‘ ist und ihm geholfen werden soll. Das Erlebte muss aufhören, da es Unrecht ist und es dem Kind wieder gut gehen soll.“ So könne der Kreislauf der Geheimhaltung gebrochen werden. „Versprechen Sie aber, dass Sie über jeden Schritt informieren und es ihm erklären, was als nächstes passiert. Dies schafft einen sicheren sichtbaren Rahmen, an dem das Kind aktiv teilhaben kann.“ Das gelte auch für Jugendliche.
Helfer sollten sich unbedingt nach den Bedürfnissen der betroffenen Person richten. „Bleiben Sie einfühlsam“, rät Carolin Heuwerth. Eine detaillierte Tatschilderung sollte jedoch nicht Inhalt eines Gesprächs sein, da dies retraumatisierend sein kann. Geduld sei gefragt.
Die eigenen Gefühle
Auch Helfer, die ins Vertrauen gezogen werden, können sich mit der Situation akut überfordert fühlen oder einen Schock erleiden. Wenn diese selbst hilflos, wütend oder traurig sind, sollten die betroffenen Personen nicht mit diesen Gefühlen konfrontiert werden. „Achten Sie trotzdem auf Ihre eigenen Gefühle“, rät Carolin Heuwerth allen Helfern. Hilfe für Angehörige und Helfer bietet der Verein „Aufschrei“ genauso an.
Die aktuellen Spendernamen
Auch in den vergangenen Tagen sind wieder zahlreiche Spenden für die Aktion „Leser helfen“ eingegangen: Silvia Weber, Marianne Jockers, Claudia Schmider, Heinz und Ingrid Schadt, Manfred und Hildegard Schimpchen, Stefanie Zimmer, Petra Schmattek, Brigitte und Gerhard Basler, Markus und Edeltraud Müller, Christine Frauke Schäfer, Armin und Christine Bohnert, Karl-Heinz Spissinger, Bettina Müller, Andreas und Mechthilde Mischke, Alexander und Erika Doll sowie Helmut Dold (Buchverkauf „De Hämme meint“).
Angela Seebacher, bkr-technik GmbH, Friedrich Grampp, Martin Hansmann, Christa Dürrholder, Martin und Margrit Otto, Larissa Christin Mai, Helga Hollmann, Helmut und Monika Rößler (Startgebühr Silvesterlauf SC Durbachtal), Christiane Wiedemann-Mayer, Bruno Dietrich.
Agnes und Wilhelm Bleier, Monika Gertrud Bürg, Brunhilde Riebs, Helga Grampp-Weiß, Marco und Sabine Barbon, Elisabeth Scherer, Sylvie Hirt, Fam. Melitta Holland, Klaus Sebisch, Martin und Birgit Lutz, Sonja und Herbert Hänßler, Monika Wolf und Hildegard Baudendistel.