Wieso das Radio auf die Hörerbefragung angewiesen ist
Derzeit ermittelt die Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse die Reichweite von Audio-Angeboten wie Radiosendern. Die Erhebungsmethode ist in der Branche umstritten. Vor allem kleine private Sender und neue Audioangebote haben es schwer.
Es ist wieder so weit: Derzeit läuft die Befragung im Rahmen der Media-Analyse. Dadurch wird die Reichweite von Radiosendern und anderen Audio-Angeboten ermittelt. Und so läuft es ab: Die Arbeitsgemeinschaft Media Analyse (agma), ein Forschungsverbund aller namhaften Befragungsinstitute der Republik, ruft zufällig ausgewählte Bürger an, um deren Audio-Konsum zu erfragen. Der Anrufer geht mit ihnen dann den vorhergegangenen Tag Schritt für Schritt durch. Wann ist der Hörer aufgestanden? Lief im Bad das Radio? Welcher Sender? Wie lange? Wie war es auf der Fahrt zur Arbeit: Welche anderen Audio-Angebote, zum Beispiel Podcasts, wurden genutzt?
Maßgeblich für Erfolg
Alle Radiosender, die im UKW-Empfangsgebiet theoretisch gehört werden können, werden gestützt abgefragt, komplett mit Sendername und dem jeweiligen Untertitel (Subclaim). Dann folgen Fragen nach Alter, Geschlecht, Einkommen oder der Ausstattung mit Elektro- und Empfangsgeräten. Am Ende geht es darum, das Hörverhalten der Konsumenten zu erfragen. Parallel dazu wird in einem anderen Verfahren die Online-Nutzung von Audio-Angeboten abgefragt, per IP-Messung und Online-Tagebuch. Alle Zahlen werden dann zusammengerechnet, auf die Bevölkerung und Regionen gewichtet, und am Ende steht dann die erzielte Reichweite der einzelnen Angebote. Und die ist maßgeblich für den wirtschaftlichen Erfolg.
In zwei Etappen pro Jahr wird gemessen. Derzeit läuft noch bis Anfang Dezember die sogenannte „Herbstwelle“, deren Ergebnisse werden im darauffolgenden März veröffentlicht. Von Dezember bis März schließt sich nahtlos die „Frühjahrswelle“ an, mit Berichterstattung im Juli. Die Währung, um die es letztlich geht, ist die sogenannte „Stundennettoreichweite“ (SNW) eines Senders, also die Anzahl an Menschen, die einen Radiosender in der durchschnittlichen Sendestunde von 6 bis 18 Uhr hören. An diesem Wert hängen am Ende die Umsätze aus den nationalen Spoterlösen für jeden werbetreibenden Radiosender. „Je höher der Wert, desto höher ist letztlich auch der anteilige Werbeerlös aus nationalen Werbekampagnen“, sagt Markus Knoll, Geschäftsführender Gesellschafter von HITRADIO OHR und Schwarzwaldradio. „An der Quote hängt also viel Geld. Rund 40 Prozent der Einnahmen bei HITRADIO OHR und etwa 85 Prozent bei Schwarzwaldradio hängen von nationalen Werbeerlösen ab“. So weit, so gut.
„Von Null bis 100.000“
Doch für die Sender gibt es einen Haken. Weil nur stichprobenhaft per Telefon abgefragt wird, wer welche Radio-Stationen hört, haben es Sender mit einem kleineren Empfangsgebiet oder neue Angebote ziemlich schwer, von der MA erfasst zu werden. Beispiel Ortenau: Pro Erhebungswelle werden gerade mal 300 Interviews geführt. Das Ergebnis daraus wird dann auf die Gesamteinwohnerzahl hochgerechnet. Bei 430.000 Einwohnern steht ein Interview damit für über 1.400 Menschen. An den Wochenenden sind es noch deutlich weniger Interviews. Solide Umfragen haben in der Regel 1.000 oder mehr Befragungen. Je geringer diese Zahl ist, desto höher ist die „statistische Schwankungsbreite“, die bei HITRADIO OHR an Samstagen und Sonntagen schon mal von einer Media-Analyse zur nächsten 300 Prozent betragen kann. „Von null Hörern bis 100.000 Hörer pro Stunde ist da theoretisch alles möglich“, ärgert sich Knoll. Auf dieser Basis ist es schwer, Programmentscheidungen zu treffen oder Moderatoren zu platzieren – von den finanziellen Auswirkungen ganz zu schweigen.“ Für das bundesweite, auf DAB+ empfangbare Radioprogramm Schwarzwaldradio gibt es, wie für alle anderen neuen Angebote, noch eine weitere Hürde: Die Sender werden zunächst nur in den Gebieten gestützt abgefragt, in denen sie auch auf UKW verbreitet sind. Erst wenn genügend Befragte in einem Splitgebiet ungestützt einen Sender nennen, wird das Angebot im Folgejahr gestützt abgefragt. Das dauert lange. Zeit, die einige Anbieter nicht hatten und ihr Engagement aus wirtschaftlichen Gründen einstellen mussten, bevor die MA überhaupt mit Zahlen aufwarten konnte. Die Rechnung ist einfach: Keine Quote, kein Vermarkter – kein Vermarkter, kein Geld.
Knoll appelliert daher an alle Radiohörer, ihre Radiosender zu unterstützen und bei der Analyse mitzumachen.
Aber haben nicht alle Radiosender, ob klein oder groß, privat oder öffentlich-rechtlich, das gleiche Problem? Nur bedingt. Denn nach Aussagen von Markus Knoll haben größere Sender auch deutlich mehr Splitgebiete, in denen sie gestützt abgefragt werden. Das bedeutet, dass sie die Schwankungen in den Teilgebieten in der Summe eher ausgleichen können. „Solange die großen Player stabile Zahlen haben, gibt es keinen Grund, die Messmethoden zu hinterfragen oder gar zu ändern.“
„Unlösbare Aufgabe“
Knoll würde sich rückkoppelbare Radiogeräte wünschen, von denen Rückschlüsse gezogen werden könnten wie bei TV-Geräten. Er verweist auf Messmethoden in der Schweiz, bei der anhand spezieller Armbanduhren Radio-Quoten ermittelt werden. „Aber ein System, in dem seit Jahrzehnten Medienpolitik, Agenturen, Vermarkter und mehrere hundert Anbieter miteinander verwoben sind, zu ändern, ist eine schier unlösbare Aufgabe. In der Zwischenzeit hoffen wir von Erhebung zur Erhebung, dass uns die Statistik wohlgesonnen sein möge. Aber mit der stand ich schon in der Schule auf Kriegsfuß.“