Wohngeld nicht bezahlt: Eine Ortenauerin klagt nun an
"Ich bin sauer ohne Ende", sagt Marion Müller aus Gengenbach (Name von der Redaktion geändert). Obwohl der Alleinerziehenden Zuschüsse zustehen, kann sie das Schulessen oder Klassenfahrten für ihre Kinder nicht bezahlen. Fakt ist, Zuschüsse aus dem Fördertopf "Bildung und Teilhabe" stehen Familien zu, die entweder Bürgergeldempfänger sind oder aufgrund eines geringen Einkommens einen gültigen Bescheid für Wohngeld oder Kindergeldzuschuss vorweisen können. Doch weil die Mühlen in der zuständigen Behörde langsam mahlen, wartet Marion Müller - so wie auch viele ihrer Bekannten - fast ein ganzes Jahr lang auf den Wohngeldbescheid. Ohne diesen kann sie Bildung-und-Teilhabe-Zuschüsse für ihre Töchter nicht oder erst stark zeitverzögert beantragen. Das Geld, das sie eigentlich das ganze Jahr über für anfallende Kostenpunkte wie Mensaessen, Klassenfahrten oder Schulmaterialen benötige, sei nicht pünktlich da, sondern lande erst Ende des Jahres auf ihrem Konto. Zu spät. Denn wenn man keine Ersparnisse habe um die laufenden Kosten vorzustrecken, könne eine Klassenfahrt zum Beispiel nicht stattfinden. Und statt einem warmen Mittagessen in der Kantine gebe es dann eben nur selbstgemachte Pausenbrote. "Das System ist ist völlig weltfremd, denn es setzt voraus, dass bedürftige Familien laufende Kosten solange aus der Portokasse bezahlen können, bis Monate später vielleicht ein Zuschuss eintrudelt", ärgert sich Müller.
Schmuck verkauft
Seit drei Jahren ist Müller mit ihren beiden Töchtern alleine. Nach 23 Ehejahren hat ihr Mann sie Hals über Kopf verlassen. "Er hat immer gesagt, ich soll zu Hause bleiben und mich um die Kinder kümmern", sagt die heute 51-Jährige. "Dass ich zu Hause geblieben bin, war vielleicht der größte Fehler in meinem Leben". Den Kopf in den Sand gesteckt hat Müller trotzdem nicht. Sie hat sich eine Anwältin genommen, den Unterhalt für die Kinder eingefordert und einen Job gefunden. Die gelernte Bäckereifachverkäuferin arbeitet heute als Schulbegleiterin von behinderten Kindern. "Ich würde niemals freiwillig dem Staat auf der Tasche liegen", sagt sie über sich. Auch dass ihr zwischenzeitlich auch noch die Wohnung wegen Eigenbedarfs gekündigt wurde, hat sie nicht aus der Bahn geworfen. Weil der Umzug teuer war, hat sie ihren Schmuck verkauft. Die Miete ist trotz kleinerer Wohnung von 680 auf 815 Euro gestiegen.
Bei der Caritas hat Müller Unterstützung bei der Beantragung des Wohngeldes bekommen. "Um wieder auf die Beine zu kommen, sind diese Zuschüsse wichtig für mich, auch wenn ich wünschte, ich bräuchte diese Hilfe nicht", sagt sie. Den ersten Wohngeldantrag habe sie im vergangenen Jahr gleich im Januar eingereicht und eine Eingangsbestätigung mit dem Hinweis bekommen, sie solle abwarten und von Nachfragen absehen. Erst im November – elf Monate später – habe sie an ein und demselben Tag gleich zwei Briefe erhalten: Im ersten wurde sie gebeten, ein Formular nachzureichen, im zweiten hieß es, die Nachreichfrist sei verstrichen. Das Geld für Klassenfahrt, Lernmittel und Schulessen konnte Müller also auch im Nachhinein nicht mehr beantragen. Fast schon ironisch sei dann im März eine Zusage gewesen, dass ihre Tochter im Januar hätte essen gehen dürfen. "Meine Tochter konnte im Januar nicht in der Schulmensa essen, weil ich damals das Geld dafür schlicht nicht hatte", sagt die Gengenbacherin. "Soll sie jetzt im März einfach doppelt so viel essen?".
"In meinem Alltag als Beraterin begegne ich solchen Fällen ständig", sagt Diana Saxinger, Beraterin bei der Caritas Vordere Ortenau, die Antragstellern beim Ausfüllen von Formularen hilft. Seit der Reform des Wohngeldes zum Januar 2023 beobachtet sie, dass die Bearbeitung der Anträge noch länger dauern als zuvor. Dies bestätigt auch das Landratsamts Ortenaukreis. In der Wohngeldstelle arbeiten demnach seit der Wohngeldreform zwölf Sachbearbeiterinnen mit einem Umfang von 9,7 Stellen, zuvor seien es lediglich fünf Mitarbeiterinnen gewesen. Mit der schrittweisen personellen Aufstockung habe man auf den sprunghaften Anstieg der Anträge nach der Wohngeldreform reagiert. Schließlich sei die "größten Wohngeldreform in der Geschichte Deutschlands" mit einer "schwer bewältigbaren Antragsflut" verbunden gewesen. Die Antragszahlen hätten sich gegenüber den Vorjahren mehr als verdoppelt.
Rückstände aufarbeiten
Die Vorlaufzeit zwischen Verkündung und Einführung des neuen Wohngeldes sei mit wenigen Wochen sehr kurz gewesen. Und schon im Februar 2023 hätten bereits rund 1.000 Wohngeldanträge vorgelegen. Neben der Antragsbearbeitung habe man zusätzlich auch das neue Personal einarbeiten müssen. Die Mitarbeiterinnen hätten "eine große Kraftanstrengung erbracht und arbeiten bis heute an der Belastungsgrenze", um die zahlreichen Anfragen zu beantworten und die Rückstände aufzuarbeiten, teilt das Landratsamt mit. Eine Vollzeitkraft sei derzeit für rund 600 Anträge zuständig. Mit der Reform habe sich auch der Aufwand pro Einzelfall erhöht, denn die Sachverhalte und deren rechtliche Beurteilung seien immer komplexer und die Lebens-, Arbeits- und Familienverhältnisse veränderten sich in immer kürzer werdenden Abständen. Momentan liege der Bearbeitungsrückstand zwischen sechs und neun Monaten. In vielen Fällen ziehe sich die Bearbeitung auch in die Länge, weil keine oder falsche Unterlagen eingereicht würden. Aus dem Jahr 2023 seien derzeit noch rund 130 Anträge offen.
Laut Saxinger, die auch in der Schuldnerberatung tätig ist, stelle die lange Bearbeitungszeit inzwischen auch Menschen vor Probleme, die in der Überschuldung leben. Wenn nach langer Wartezeit rückwirkend ein relativ hoher Betrag auf einem sogenannten Pfändungsschutzkonto lande, würden schnell gewisse Freibeträge überschritten. "Alles in allem ist der Dschungel aus Anträgen, Fristen, Anlaufstellen sehr kompliziert, ich bewundere alle, die sich da irgendwie durchkämpfen", so Saxinger.
Müllers Hoffnung, mit dem Folgeantrag könnte es im neuen Jahr schneller laufen, wurde enttäuscht. Obwohl wieder im Januar eingereicht, hat Müller bis heute – zum Start des Schuljahres – nichts gehört. "Das liegt am System und nicht bloß an einer langsamen Sachbearbeiterin", vermutet Müller. Es kann einfach nicht sein, dass man so lange im Ungewissen gelassen wird und das Geld vorstrecken muss. "Auch wenn sich das viele vielleicht nicht vorstellen können: Das Geld beantragen wir ja, weil wir es brauchen, weil wir keine Rücklagen haben".