Das Raue und Geschliffene harmonieren: Künstlerin im Porträt

(Bild 1/2) Christiane Messerschmidt hat eine enge Verbindung zu Steinen, sie sind für sie lebendig. Steine sind das Material, aus dem die Rheinauer Bildhauerin ihre Kunstwerke herstellt. ©Ellen Matzat
In unserer Serie „Ortenauer Originale“ porträtieren wir Menschen mit dem gewissen Etwas. Heute (63): Christiane Messerschmidt, die in Rheinau ihre „Werkstatt für Lebendige Steine“ betreibt. Die 58-jährige Bildhauerin hat ein ganz besonderes Verhältnis zu Steinen.
Es gibt zwei Ansätze, wie man eine Skulptur auf den Weg bringt“, sagt Christiane Messerschmidt. „Entweder man hat eine Idee und sucht sich den entsprechenden Stein dafür oder man findet einen Stein und stellt fest, dass dieser schon fast fertig ist und man manchmal nur noch ganz wenig wegnehmen muss.“ Für die Rheinauer Künstlerin haben gerade auch Bruchsteine eine Geschichte und strahlen viel Leben aus – daher kommt auch der Name ihrer Werkstatt in Rheinau – die „Werkstatt für Lebendige Steine“.
Nichts Totes mehr
„Für mich ist ein Stein kein totes Material, sondern es haben alle eine Geschichte von mehreren Millionen Jahren hinter sich“, erklärt die 58-Jährige. Marmor und Alabaster, ihre bevorzugten Materialien, sind Kalkgesteine, die aus zusammengepressten Knochen, Muscheln oder Tierschalen bestehen und ins Erdinnere gedrückt wurden, weil sich Berge verschoben haben. Dann kam die Masse mit Magma in Verbindung, wurde aufgekocht, kristallisierte aus, wurde bei einer erneuten Erdverschiebung wieder nach oben gedrückt und ist auf einmal Marmor. „Wenn ich mir beim Bearbeiten eines Marmorsteins vorstelle, dass dies mal kleine Tierchen waren, ist es nichts Totes mehr, sondern etwas ganz Lebendiges“, erklärt die Bildhauerin.
Zierliche Künstlerin
Um der Schwerkraft ein Schnippchen zu schlagen, benötigt die zierliche Künstlerin viele Tricks, denn ein Stein wiegt schnell 70 Kilo und manchmal deutlich mehr. Die 58-Jährige fängt an einer Stelle mit der Bearbeitung an und macht diese fertig. Dann arbeitet sie sich Stück für Stück weiter. Ihre Skulptur hat sie im Kopf und arbeitet in der Regel frei. Aufzeichnen, Notizen oder Skizzen gibt es zwar manchmal, ein Modell aber nie. Sie möchte flexibel auf den Stein eingehen können, auch um manche Besonderheiten des Steins, wie beispielsweise eine Ader, spontan mit einarbeiten zu können.
Eine tolle haptische Erfahrung
Messerschmidt arbeitet meist nicht den kompletten Stein aus, sondern lässt auch gerne Rohstein stehen, weil sie findet, dass dieser schon viel Anmut besitzt. „Wenn das Wilde, Raue mit dem glatt Geschliffenen harmoniert, ist die Skulptur fertig“, erklärt sie. Manchmal möchte sie allerdings auch alles glatt haben und sieht das Wilde im Stein selbst. „Es ist bei meiner Kunst eigentlich immer das Spiel zwischen dem Rauen, Wilden und dem Hochgeschliffenen, Glatten, was beim Darüberstreichen auch eine tolle haptische Erfahrung ist“, sagt sie. Zu Messerschmidts Hauptthemen gehören Sonne, Wasser und Feuer.
Ihr zweites großes Thema ist das Figürliche, von der Aktstudie nach Auguste Rodin bis zur Abstraktion des menschlichen, meist weiblichen Körpers. Das Thema „Mensch“ interessierte Messerschmidt schon immer, von den Proportionen bis zur Bewegung. Das Studium der künstlerischen Anatomie nach Gottfried Bammes gibt ihr dabei eine große Sicherheit. Um etwas anderes auszudrücken weicht sie zwar oft von dem anatomisch Korrektem ab. „Das kann ich aber nur, wenn ich weiß, wie es richtig ist“, betont sie.
Bekanntes Werk in Rheinau
Messerschmidts bekanntestes Werk in Rheinau sind „Die Blicke“, die im Bürgersaal stehen. „Meine Kunst ist für Menschen, die sie hinstellen und nicht in einem Safe verstecken wollen“, bekennt sie. Wenn sie eine neue Skulptur beginnt, ist sie voller Erwartungen, denn aus einem Rohstein kann alles entstehen. „Es liegt an mir, mich zu entscheiden, was nicht immer einfach ist, da die Steine schon von sich aus sehr schön sind“, sagt sie. Aber sie versuche einfach, etwas noch Schöneres daraus zu machen.
Bei Marmor bestehe ein Viertel der Bearbeitungszeit darin, die Form herauszuarbeiten, die restlichen drei Viertel sind Schleifarbeiten. Bei Alabaster liegt dieses Verhältnis bei 1:1.
Das Wichtigste ist der Künstlerin, Schönheit in die Welt zu bringen, damit nicht nur Hass und Terror eine Chance haben. „Kunst ist immer sinnvoll, da die Menschen berührt werden und sich darüber austauschen und nachdenken können“, ist sie überzeugt. Die ersten Verkäufe waren für Messerschmidt hart. Heute freut sie sich, wenn jemandem ihre Kunst so gefällt, dass dieser sie für sich haben möchte.
Haus nahm sie gut auf
Messerschmidt stammt nicht aus der Ortenau, sondern aus Berlin. Sie wohnt aber seit 25 Jahren fest in der Ortenau und hat die Region in den letzten 32 Jahren kennen und lieben gelernt. „Wenn mich jemand nach meiner Heimat fragt, ist es die Ortenau, weil ich mich hier unendlich wohl fühle“, sagt sie. „Die Herzensheimat ist viel wichtiger als der Geburtsort“, sagt die 58-Jährige. In Freistett sanierte sie mit ihrem Mann Christoph Hubig ein altes Fachwerkhaus mit 300-jähriger Geschichte unter Denkmalschutzauflagen. Sie hatte schon beim ersten Betreten des Hauses das Gefühl, es nehme sie auf und beschütze sie. „Diese Erfahrung fand ich faszinierend“, erinnert sie sich.
Früher lange gependelt
Messerschmidt wurde in Freistett gut aufgenommen. Dasselbe erlebte sie in Rheinau-Diersheim, wo sie vor neun Jahren ihre Werkstatt für Lebendige Steine eröffnete. Messerschmidt kam durch ihren Mann Christoph Hubig, Universitätsprofessor für Philosophie, in die Ortenau. Sie lernte ihn in Berlin kennen, seine Eltern hatten ein Ferienhaus in Freistett. Lange pendelten die beiden zwischen Rheinau, Berlin und Leipzig. Als ihr Mann eine Stelle in Stuttgart bekam, wurde Freistett 1997 die ersehnte Wahlheimat der jungen Familie und das Ferienhaus umgebaut.
"Ich wollte das auch machen"
Die 58-Jährige hat Grafik-Design studiert und absolvierte eine Ausbildung als Verlagskauffrau. Sie arbeitete lange im Grafik-Bereich. Aber schon während des Studiums an der „Hochschule der Künste“ ging sie gerne in den Innenhof, weil dort die Bildhauer saßen. „Für mich waren das die richtigen Künstler und ich wollte das auch machen“, erinnert sie sich. Sie fragte Bernhard Heiliger, Professor für Bildhauerei in Berlin, wie denn die Chancen für sie stünden, in diesem Beruf zu arbeiten. Der nahm sie zur Seite, zeigte ihr, dass dort nur junge, kräftige Männer saßen und meinte, sie solle lieber ihre Grafik machen, bildhauern sei zu schwer für sie.
Pikiert über den Rat eines Professors
Etwas pikiert hielt sie sich an den Rat. „Vielleicht hätte ich die Arbeit mit Steinen auch wirklich nicht bis zur Rente durchgehalten“, meint sie, da der Job hart und mit viel schwerer körperlicher Arbeit verbunden ist. Aber irgendwann hätten sie die Steine „einfach gepackt“ – und sie ließ alles andere liegen, um nur noch Skulpturen zu erschaffen. Anfangs lernte sie autodidaktisch. Bereits nach drei Jahren konnte sie mit ihrer Kunst Geld verdienen. Ihre große Werkstatt in Diersheim finanziert sie mit ihrer Arbeit. Zusätzlich lernte sie in den Sommermonaten regelmäßig in der Nähe von Carrara in der Toskana Marmorbildhauerei.
Bildhauer-Treffen in der Toskana
„Carrara ist das größte Marmorabbaugebiet und der größte Steinumschlagplatz der Welt“, sagt die Künstlerin. Seit 2000 Jahren sind dort alle Steine erhältlich. „Es fasziniert mich, dass diese Kultur bereits seit der Römerzeit besteht“, sagt Messerschmidt. Sie fährt bis heute regelmäßig zum Arbeiten in die Toskana, auch um andere Bildhauer zu treffen und Steine zu ordern.
Christiane Messerschmidt
Christiane Messerschmidt wurde am 13. Februar 1963 in Hannover geboren und wuchs in Berlin auf. Seit 1997 wohnt sie in Rheinau-Freistett. Nach ihrem Studium arbeitete sie lange in wissenschaftlichen Verlagen und entwickelte für den wissenschaftlichen Springer-Verlag das „Corporate Design“ mit. 2006 hatte sie ihre erste größere Ausstellung als Bildhauerin und entschied sich, ab sofort nur noch Steinbildhauerei zu betreiben. Die 58-Jährige stellt erfolgreich aus und gibt Bildhauerkurse. Sie beteiligte sich an vielen Ausstellungen, so war sie mehrfach bei der „art“ in Karlsruhe vertreten und stellte etwa in Köln, München, Düsseldorf, Stuttgart, Berlin, Baden-Baden, Luxemburg, Straßburg und Paris aus. Sie hat vier Kinder und vier Enkel.