Gewalttat in Hamburg

Amoktäter bei Zeugen Jehovas war Ex-Gemeindemitglied und Sportschütze

Christiane Bosch, dpa
Lesezeit 5 Minuten
Jetzt Artikel teilen:
10. März 2023
Mehr zum Thema

(Bild 1/2) Polizisten stehen am Tatort, das Gebäude der Zeugen Jehovas im Stadtteil Alsterdorf. ©Foto: Christian Charisius/dpa

Der Amokschütze von Hamburg war ein Ex-Mitglied der Zeugen Jehovas. Er hatte seine Gemeinde wohl nicht im Guten verlassen. Auf einer Pressekonferenz haben die Ermittler jetzt Details zu der Tat mit mehreren Toten bekannt gegeben.

Der Todesschütze von Hamburg ist der 35 Jahre alte Philipp F. gewesen, ein Ex-Mitglied der Hamburger Gemeinde der Zeugen Jehovas. Diese habe er vor eineinhalb Jahren freiwillig, aber offensichtlich nicht im Guten verlassen, sagten Polizei, Staatsanwaltschaft und Innenbehörde am Freitag bei einer Pressekonferenz.

Der Deutsche war demnach Sportschütze, hatte seit Dezember 2022 eine Waffenbesitzkarte und war erst kürzlich von der Waffenbehörde aufgesucht worden. Bei der Tat am Donnerstag starben sieben Menschen und der Täter selbst, acht weitere Menschen wurden verletzt. Zu den Toten zählt die Polizei auch ein ungeborenes Kind.

Ungeborene unter den Opfern

Innensenator Andy Grote (SPD) bezeichnete die Tat als Amoklauf: «Eine Amoktat dieser Dimension - das kannten wir bislang nicht. Das ist die schlimmste Straftat, das schlimmste Verbrechen in der jüngeren Geschichte unserer Stadt.» Der Amoktäter hatte mehr als 100 Mal geschossen. Bei den Todesopfern handelt es sich den Angaben zufolge um vier Männer, zwei Frauen und einen weiblichen Fötus im Alter von 28 Wochen. Die Männer und Frauen seien zwischen 33 und 60 Jahre alt, sagte der Leiter des Staatsschutzes der Polizei, Thomas Radszuzweit. «Alle Todesopfer sind deutscher Staatsangehörigkeit und starben jeweils durch Schusseinwirkung.»

Die tödlichen Schüsse fielen am Donnerstagabend gegen 21.00 Uhr während einer Veranstaltung im Gebäude der Gemeinde im Hamburger Stadtteil Alsterdorf. Binnen Minuten war die Polizei am Tatort: Um 21.04 seien die ersten Notrufe eingegangen. «Um 21.08 Uhr waren erste Kräfte vor Ort», sagte Grote. Nur eine Minute später, um 21.09 Uhr, sei die Unterstützungsstreife für erschwerte Einsatzlagen (USE) am Tatort gewesen.

Die Einsatzkräfte retteten nach den Worten des Innensenators sehr wahrscheinlich etliche Menschenleben: «Wir haben es mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit dem sehr, sehr schnellen und entschlossenen Eingreifen der Einsatzkräfte der Polizei zu verdanken, dass hier nicht noch mehr Opfer zu beklagen sind.»

Bis in den Freitagvormittag waren die Ermittler zur Spurensuche am Tatort unterwegs. Die Leichen wurden mittlerweile abtransportiert.

Nicht als Extremist bekannt

Als Extremist war der mutmaßliche Schütze nach Angaben aus Sicherheitskreisen nicht bekannt. Seit dem 12. Dezember sei er im legalen Besitz einer halbautomatischen Pistole gewesen, sagte Polizeipräsident Ralf Martin Meyer. Dabei habe es sich um die Tatwaffe gehandelt.

- Anzeige -

Die Waffenbehörde erhielt nach Angaben des Hamburger Polizeipräsidenten Ralf Martin Meyer im Januar einen anonymen Hinweis auf eine mögliche psychische Erkrankung von Philipp F.. Ziel des unbekannten Schreibers sei es gewesen, das Verhalten und die waffenrechtlichen Vorschriften in Bezug auf Philipp F. überprüfen zu lassen. Die unbekannte Person habe ferner geschrieben, dass die psychische Erkrankung von F. möglicherweise ärztlich nicht diagnostiziert sei, da sich F. nicht in ärztliche Behandlung begebe. F. habe laut dem Schreiben eine besondere Wut auf religiöse Anhänger gehegt, besonders auf die Zeugen Jehovas und seinen ehemaligen Arbeitgeber.

Waffenbehörde kontrollierte Täter

Die Beamten der Waffenbehörde hätten nach dem Hinweis weiter recherchiert. Anfang Februar sei F. von zwei Beamten der Waffenbehörde unangekündigt aufgesucht worden. Dies sei eine Standardkontrolle gewesen, die nach einem anonymen Hinweis erfolge. F. habe sich kooperativ gezeigt, sagte Meyer. Es habe keine relevanten Beanstandungen gegeben. Die rechtlichen Möglichkeiten seien damit ausgeschöpft gewesen.

Der 35-Jährige gab am Donnerstagabend mehr als 100 Schüsse ab. «Insgesamt hat er 9 Magazine à 15 Schuss verschossen», sagte der Hamburger Staatsschutz-Leiter Radszuweit.

Nach den Schüssen fand die Polizei laut Staatsanwaltschaft in der Wohnung des mutmaßlichen Täters auch eine größere Menge Munition. Der Leiter der Staatsanwaltschaft, Ralf Peter Anders, sprach von 15 geladenen Magazinen mit jeweils 15 Patronen und 4 Schachteln Munition mit weiteren 200 Patronen. Außerdem wurden Laptops und Smartphones sichergestellt, die noch ausgewertet würden.

Gemeinde „nicht im Guten verlassen“

Mögliche Konflikte innerhalb der Glaubensgemeinschaft schließen die Ermittler nicht aus. Polizeipräsident Meyer sagte, es gebe Hinweise auf einen Streit «möglicherweise aus dem Bereich der Zeugen Jehovas». Das müsse geprüft werden, in den Akten habe man dazu nichts gefunden. Radszuweit sagte, die Frage von Streitigkeiten sei derzeit Gegenstand der Ermittlungen. Seinen Angaben zufolge hatte der Amokschütze Philipp F. die Hamburger Gemeinde vor anderthalb Jahren freiwillig verlassen, «aber offenbar nicht im Guten».

Die Zeugen Jehovas zeigten sich in einer Erklärung «tief betroffen». Zahlreiche nationale und internationale Politiker reagierten schockiert und betroffen auf den tödlichen Vorfall, darunter Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron.

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, äußerte sich «erschüttert» über die «menschenverachtende Gewalttat in Hamburg». Sein Gebet gelte den Verstorbenen, den Verletzten und den Angehörigen, schrieb der katholische Bischof am Freitag auf Twitter. «Wir trauern um Menschen, die unschuldig ihr Leben verloren haben. Es gibt keine Worte für dieses Verbrechen, das Leben ausgelöscht hat.»

Mehr zum Thema

Weitere Artikel aus der Kategorie: Nachrichten

Friedensdemo im Februar in Berlin, initiiert von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer.
17.03.2023
Wagenknecht, Schwarzer und Co.
Neu-Pazifisten fordern ein Waffenembargo für die Ukraine. Sie ignorieren die Wirklichkeit.
Die verordneten Schutzmaßnahmen wurden zu selten hinterfragt. Hier eine Straßenszene in Oberkirch während des Lockdowns im Dezember 2020.
14.03.2023
Corona und Freiheit
In Deutschland wurde während Corona Eingriffe in Freiheitsrechte begrüßt. Politik darf jedoch keine Sündenbockmentalität verbreiten. Es liegt an uns allen, zu verhindern, dass die Impfpflichtdebatte zum Schlüsselmoment für eine illiberale Zeitenwende wird.
Jens Marco Scherf, grüner Landrat des nordbayerischen Kreises Miltenberg.
12.03.2023
Bei der Migrationspolitik
Jens Marco Scherf ist überzeugt: Wollen die Grünen einmal den Kanzler stellen, führt an mehr Realismus in der Asylfrage kein Weg vorbei.
Staatsnah und immer mit einer moraldurchtränkten Haltung, dazu eine gewisse Selbstbedienungsmentalität: ARD und ZDF haben nicht erst seit dem RBB-Skandal ein Akzeptanzproblem.
10.03.2023
Gebührenfinanzierter Rundfunk
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist in der Krise. Es fehlt das Problembewusstsein hinsichtlich der weltanschaulichen Schieflage. Bezahlen müssen die Bürger, die – anders als in der Schweiz – kaum politischen Druck ausüben können.
Der ehemalige Koch Peter Fitzek erwirbt mit dem Geld seiner Anhänger Ländereien und träumt von einem Großreich. Hier ist er im November 2019 im Amtsgericht Wittenberg zu sehen, wo ein Berufungsprozess wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis und Beleidigung in insgesamt 29 Fällen begann.
08.03.2023
Reichsbürger
Der Reichsbürger und selbsternannte König Peter Fitzek hat zwei Schlösser in Sachsen gekauft und bringt ein ganzes Dorf gegen sich auf.
Kampfpanzer Leopard 2. Rüstung als Teil der Sicherheitsvorsorge war jahrzehntelang kein relevantes Thema.
05.03.2023
Nachrichten
Den großen Worten des Bundeskanzlers ist wenig gefolgt – die Wehrfähigkeit des Landes hat sich keinen Deut verbessert.
Die Bewohner des Seniorenheims "Pflege & Wohnen Schillerpark" müssen das Haus verlassen.
03.03.2023
Nachrichten
Eigentümer nimmt in dem ehemaligen Pflegeheim Flüchtlinge auf.
Ukrainische Soldaten feuern mit Artillerie auf russische Stellungen in der Nähe von Bachmut.
01.03.2023
Nachrichten
Der Ukraine-Krieg ist mehr als ein regionaler Konflikt. Er hat eine globale Dimension. China baut seinen Einfluss aus, die Schurkenstaaten Iran und Nordkorea liefern Munition und Waffen. Europa weiß keine Antwort auf die geopolitischen Herausforderungen.

Das könnte Sie auch interessieren

- Anzeige -
  • "Volle Kraft voraus", heißt es im 60. Bestehensjahr bei der Maklerbüro Arnold Ernst GmbH mit Sitz in Offenburg und Kühlungsborn an der mecklenburgischen Ostsee. 
    17.03.2023
    60 Jahre Maklerbüro Arnold Ernst GmbH in Offenburg
    Immobilienvermittlung ist Vertrauenssache – und Vertrauen hat sich das Team des Maklerbüros Arnold Ernst in Offenburg über Jahrzehnte verdient. Seit 60 Jahren ist der Makler und Verwalter erfolgreich in der Ortenau tätig, hat vielen ihren Immobilientraum verwirklicht.
  • Welches Holz für den Garten soll es sein? Dabei hilft die fachgerechte Beratung von B+M HolzWelt. Die Ausstellung „Holz im Garten“ ist die Größte dieser Art in der Region.
    17.03.2023
    Beim Spezialisten in Appenweier werden Wohnträume wahr
    Bei einem Besuch in der B+M HolzWelt in Appenweier wird schnell klar: Hier kümmern sich echte Profis um die Wohnträume und das Zuhause ihrer Kunden. Egal ob für Haus oder Garten – beste Beratung ist das A und O. Das beweist auch ein Besuch der Hausmesse am 1. April.
  • Hausmesse mit vielen Vorführungen: Die Oehler-Arena bietet genügend Fläche für die Demonstration großer Fahrzeuge und Geräte für Land- und Forstwirtschaft.
    10.03.2023
    17. bis 19. März 2023: Hausmesse bei Oehler in OG-Windschläg
    Sie ist Tradition beim Traditionsunternehmen Oehler Maschinen und Fahrzeugbau GmbH: Die große Hausmesse mit viel Programm für Groß und Klein. An drei Tagen von 9 bis 17 Uhr erwartet die Besucher ein vielseitiges Programm mit Gerätedemonstrationen und Unterhaltung.
  • Wulff-Michael Brack und Seniorchef Rainer Brack (beide Mitte) vom Traditionsunternehmen Brack Pumpentechnik mit den Teams des Außendienstes (links/rechts) Werkstatt und Verkauf (linke Gruppe) sowie Büro (rechte Gruppe).
    10.03.2023
    Die Firma Brack KG ist in dritter Generation der kompetente Ansprechpartner für Firmen- wie Privatkunden für viele Anwendungsbereiche.