Pop-up-Radwege

Berlin macht Platz für Radler

Norbert Wallet
Lesezeit 4 Minuten
Jetzt Artikel teilen:
02. Juni 2020
Auch am Kottbusser Damm gibt es einen Pop-up-Radweg.

Auch am Kottbusser Damm gibt es einen Pop-up-Radweg. ©Foto: imago/Klaus Martin Höfer

Wegen der Corona-Krise werden in der Hauptstadt in Windeseile neue Radwege eingerichtet – damit mehr Abstand gehalten werden kann. Autofahrer haben das Nachsehen. Doch die Idee stößt auch international auf Interesse.

Berlin - Berliner Autofahrer sind nicht unbedingt für ein zurückhaltendes Wesen bekannt. Derzeit haben sie reichlich Anlass zum Dampfablassen. In der Hauptstadt geht nämlich gerade eine erstaunliche Verwandlung vor sich. Die Verkehrsbehörden, sonst eigentlich jeder Hyperaktivität unverdächtig, wandeln derzeit in bemerkenswerter Zügigkeit quer durch die Stadt Fahrspuren oder Parkflächen in Fahrradwege um. Dazu braucht es nicht viel: Klebeband, ein paar aufgemalte Piktogramme und Grenzen markierende Baken – fertig ist der „Pop-up-Fahrradweg“, wie die neuen Wege genannt werden – vom englischen „pop up“, was so viel wie „hochschießen“ oder „schnell auftauchen“ bedeutet.

Die Radwege kosten wenig

Mitte der Woche hat die Verkehrsverwaltung des Senats eine erste Bilanz vorgelegt. Über elf Kilometer neuer Wege sind schon umgesetzt, etwa die gleiche Strecke ist in Arbeit. Darunter sind prominente Areale. So sind Teile der Frankfurter Allee schon für Radler reserviert, bald soll es auch entlang der Kantstraße in Charlottenburg mehr Platz für Radfahrer geben. Die Maßnahmen sind nicht nur schnell vorzunehmen, sie sind auch vergleichsweise billig. Bislang sind Kosten von rund 100 000 Euro entstanden. Kein Bezirk ist dabei so eifrig wie Kreuzberg-Friedrichshain, politisch so etwas wie das grüne Herz der Stadt. Am 25. März entstand am Halleschen Ufer europaweit die erste „Pop-up-Bikelane“, was offenbar schöner klingt als provisorischer Fahrradweg. Treibende Kraft hinter dem Kreuzberger Aufbruch ist Felix Weisbrich. Der 47-Jährige ist seit 2019 Leiter des Straßen- und Grünflächenamtes des Bezirks.

Weisbrich begründet die Initiative mit der Corona-Pandemie. Einerseits werde der öffentliche Nahverkehr aus Sorge vor Ansteckungen dramatisch weniger genutzt. Und bei einem verstärkten Fahrradaufkommen könnten die Verkehrsteilnehmer die Schutzabstände nicht halten. Es geht also offiziell um Gesundheitsschutz. Aber nicht nur. Weisbrich will ein Angebot schaffen, damit nicht alle ins Auto steigen, die bisher Bus und Bahn benutzt haben. Dann stünde Berlin „im Dauerstau“, sagt Weisbrich.

Viele Berliner haben gar kein Auto

- Anzeige -

Staus bleiben dennoch ein Thema. Wenn eine Fahrspur den Radlern gegeben wird, parkt der Lieferverkehr oft in zweiter Reihe. Und der Verkehr verengt sich. Weisbrich ficht das nicht an. „Berlin hat schon vor Corona im Stau gestanden“, sagt er. Kritiker werfen den Planern vor, hier werde die Pandemie nur zum Vorwand genommen, um den Autofahrern den Kampf anzusagen. Tatsächlich folgt die Ausweisung der Radwege einer längst beschlossenen Strategie. Das Berliner Mobilitätsgesetz legte schon 2018 fest, dass bei allen Verkehrsplanungen der öffentliche Nahverkehr (ÖPNV), das Rad und die Fußgänger Vorrang haben müssen. Als Folge sollen alle Hauptverkehrsstraßen sichere Radwege erhalten. Die Planer argumentieren mit Zahlen: 43 Prozent der Berliner Haushalte haben gar kein eigenes Auto. Ein Drittel aller Wege in der Hauptstadt werden mit dem ÖPNV, dem Rad oder zu Fuß zurückgelegt. Die Flächenverteilung ist aber umgekehrt. Was Felix Weisbrich zu pathetischen Formulierungen wie diesen verleitet: „Wir stellen Flächengerechtigkeit her.“

Aus dem Ausland gibt es Anfragen

Tatsächlich macht das Berliner Beispiel derzeit international Schule. Im Kreuzberger Rathaus berichtet man von sehr interessierten Anrufen etwa aus Dänemark und den Niederlanden. Brüssel und Paris haben inzwischen ähnliche Projekte in Angriff genommen. In Deutschland gehört München zu den Nachahmern.

Da ist etwas in Gang gekommen, das ganz sicher über die Corona-Zeit hinausreichen wird. Jedenfalls in Berlin. Im August läuft ein mehrmonatiger Versuch an, die Friedrichstraße in wesentlichen Teilen autofrei zu gestalten. Auch bei den Pop-up-Radwegen soll es nicht bleiben. „Wenn wir von provisorischen Mitteln sprechen, heißt das nicht, dass die Wege wieder verschwinden sollen“, sagt Jan Thomsen, der Sprecher von Regine Günther, der grünen Senatorin für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz. „Da werden ­möglichst bald dauerhafte Befestigungen vorgenommen.“

Das könnte Sie auch interessieren

- Anzeige -
  • Alles andere als ein Glücksspiel: die Geldanlage in Aktien. Den Beweis dafür tritt azemos in Offenburg seit mehr als 20 Jahren erfolgreich an.
    vor 23 Stunden
    Mit den azemos-Anlagestrategien auf der sicheren Seite
    Die azemos Vermögensmanagement GmbH in Offenburg gewährt einen Einblick in die Arbeit der Analysten und die seit mehr als 20 Jahren erfolgreichen Anlagestrategien für Privat- sowie Geschäftskunden.
  • Auch das Handwerk zeigt bei der Berufsinfomesse (BIM), was es alles kann. Hier wird beispielsweise präsentiert, wie Pflaster fachmännisch verlegt wird. 
    13.04.2024
    432 Aussteller informieren bei der Berufsinfomesse Offenburg
    Die 23. Berufsinfomesse in der Messe Offenburg-Ortenau wird ein Event der Superlative. Am 19. und 20. April präsentieren 432 Aussteller Schulabsolventen und Fortbildungswilligen einen Querschnitt durch die Ortenauer Berufswelt. Rund 24.000 Besucher werden erwartet.
  • Der Frühling steht vor der Tür und die After-Work-Events starten auf dem Quartiersplatz des Offenburger Rée Carrés.
    12.04.2024
    Ab 8. Mai: Zum After Work ins Rée Carré Offenburg
    In gemütlicher Runde chillen, dazu etwas Leckeres essen und den Tag mit einem Drink ausklingen lassen? Das ist bei den After-Work-Events im Rée Carré in Offenburg möglich. Sie finden von Mai bis Oktober jeweils von 17 bis 21 Uhr auf dem Quartiersplatz statt.
  • Mit der Kraft der Sonne bringt das Unternehmen Richard Neumayer in Hausach den Stahl zum Glühen. Einige der Solarmodule befinden sich auf den Produktionshallen.
    09.04.2024
    Richard Neumayer GmbH als Klimaschutz-Pionier ausgezeichnet
    Das Hausacher Unternehmen Richard Neumayer GmbH wurde erneut für seine richtungsweisende Pionierarbeit für mehr Klimaschutz und Nachhaltigkeit ausgezeichnet. Die familiengeführte Stahlschmiede ist "Top Innovator 2024".