Anne Will und das Coronavirus

Die große Schlacht ums Material

Christoph Link
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06. April 2020
Anne Will hat ihre fünfte Talkshow zum Coronavirus bestritten.

Anne Will hat ihre fünfte Talkshow zum Coronavirus bestritten. ©Foto: NDR/Wolfgang Borrs

Wo steht Deutschland im Kampf gegen das Virus, fragte Anne Will. Doch dann fokussierte sich ihre Talkshow auf einen Vorwurf: Warum kriegen wir keine Maskenpflicht? Und Olaf Scholz wurde kleinlaut.

Stuttgart - Das Coronavirus hat auch die Talkshow von Anne Will im Griff, zum fünften Mal in Folge hat sich die ARD-Moderatorin am Sonntagabend mit diesem Thema befassen müssen. Es gibt jetzt halt kein anderes Thema, Corona stellt alles auf den Kopf. Wo steht Deutschland heute nach zwei Wochen des Ausnahmezustands im Kampf gegen das Virus, fragte die Moderatorin, aber in ihrer einstündigen Sendung ist die Frage dann stark verengt worden auf einen einzigen Aspekt: Wann bekommt die Nation endlich genügend Schutzmasken, Schutzkleidung, Handschuhe und ausreichend Kapazitäten für zeitnahe Tests für alle? Warum kriegen wir nicht die Volksmaske?

Ärzte reinigen ihre Masken und trocknen sie im Backofen

Es war die große Schlacht ums Material, und ein eigentlich durch nichts zu erschütternder Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) ist im letzten Viertel der Sendung dann unter den Vorwürfen des Mikrobiologen Alexander Kekulé (Universität Halle/Saale) – die in einer Frage zugespitzt worden ist von Anne Will – kleinlaut geworden und saß sekundenlang mit versteinertem Gesicht da.

Aber zunächst malten alle Mitdiskutanten das düstere Bild von der Materialknappheit: „Wir müssen testen, testen, testen. Wir brauchen die Tests für Schwerkranke, aber prioritär auch für die medizinischen Mitarbeiter“, rief die Lungenfachärztin Martina Wenkner in die Runde, man müsse doch von jedem Mitarbeiter in der Medizin und der Pflege „tagesaktuell“ wissen, ob er infiziert sei oder nicht. „Es ist fahrlässig, infiziertes Personal einzusetzen.“ Und man brauche dringend Schutzausrüstung, es gebe Hausarztpraxen, die hätten noch Masken und Handschuhe für einen Tag. Im übrigen verstehe sie nicht, warum Deutschland so etwas nicht selbst herstelle. Es gebe Berufskollegen, die ihre Schutzmaske abends mit nach Hause nähmen, reinigten und im Backofen trockneten. Einige bäten um die Spende von Regenmänteln mit langem Ärmeln – so verzweifelt sei die Lage.

Ärmere Nationen wie Indien haben das Nachsehen

Ins gleiche Horn stieß Christel Bienstein vom Berufsverband Pflegeberufe: 2000 Pflegekräfte hätten sich bereits infiziert, es fehle Schutzkleidung und man müsse auch an die ambulanten Pflegedienste denken, „die von Haus zu Haus gehen“ – und das Virus im schlimmsten Fall unwissend übertragen oder sich einfangen?

Alle Fragen und Blicke richteten sich da auf Olaf Scholz, das Kabinettsmitglied, das auf am Montag zu erwartende Beschlüsse der Bundesregierung verwies, aber nur vage ihren Inhalt skizzierte. Zum einen sehe man jetzt „die Folge der Globalisierung“ und die Abhängigkeit von wenigen Lieferanten, zum anderen bemühe sich die Regierung um einen zentralen Einkauf: „Wir treffen Vereinbarungen mit ganz großen Unternehmen, die Niederlassungen in aller Welt haben, und die uns helfen sollen, das Material zu beschaffen. Ich habe den Eindruck, dass wir das hinbekommen.“ Dass im globalen Wettkampf um das Material bei einem leer gefegten Weltmarkt und steigenden Preisen ärmere Nationen wie Indien das Nachsehen haben werden, das merkte Scholz etwas ratlos an.

Als der D-Day in der Seuchenbekämpfung gilt der 19. April

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Zum anderen aber werde man Beschlüsse fassen, so Scholz, für einen Produktionsaufbau in Deutschland, etwa die Herstellung von Vlies für die Schutzmasken. Eine Art Kriegswirtschaft – bezeichnet wird sie mit Stichworten wie „Pandemie-Wirtschaft“ oder „nationale Notfallproduktion“ (Markus Söder) – die Unternehmen zur Produktion verpflichten würde, braucht es nach Ansicht des Finanzministers nicht. Denn die Konditionen seien gut genug: „Es wird attraktive Preise geben und Absatzgarantien, das wird ein sicheres Geschäft.“ Im übrigen werde man die Produkte auch nach der Krise werden, um eine bessere Vorsorge für die nächste Pandemie zu treffen.

Nach der Krise? Wann wird das sein? Sozusagen als der D-Day in der Seuchenbekämpfung gilt der 19. April – dann werde man erste Erkenntnisse haben, so der Mikrobiologe Kekulé, wie die vor zwei Wochen beschlossenen Maßnahmen gewirkt haben: „Entweder wir sagen okay, sie haben gewirkt, wir können uns einen Ausstieg aus dem Lockdown überlegen. Oder die Maßnahmen haben nicht ausgereicht, und wir müssen sie vielleicht weiter drehen.“ Kekulé befasste sich auf Nachfrage von Anne Will dann mit dem optimistischeren Szenario: Ja, man müsse nachdenken über Exit-Strategien aus dem Lockdown, man müsse sie sogar vorbereiten, denn folgendes müsse geschehen: Man müsse das Virus unter Kontrolle bringen, dürfe „aber nicht die Wirtschaft abwürgen“. Laut Kekulé geht das nur, wenn man die Risikogruppen in Sicherheit bringe, was gar nicht mit Isolation sein müsse, sondern „durch Smart Distancing“ und das Tragen von Atemschutzmasken „beim Besuch der Großmutter“. Er könne den Widerstand des Bundesgesundheitsministers und des Robert-Koch-Instituts gegen einen verpflichtenden Mundschutz „überhaupt nicht verstehen“, sagte Kekulé.

Es geht um die Pflicht zu einfachen Masken

Wohlgemerkt gehe es nicht um das Tragen der allein für das medizinische Personal wichtigen FFP2-Masken, sondern um einfache Masken, „die man notfalls selber herstellen kann.“ Erfahrungen aus Südostasien zeigten, dass die jedenfalls besser wirkten als „Ortungssoftware“ für die Handys von Infizierten.

Kekulé hatte gleich zwei Mitstreiter in der Runde: Zum einen den zugeschalteten Bürgermeister von Jena, Christian Gerlitz (SPD), der in seiner Stadt die Maskenpflicht einführte und zum „neuen sozialen Standard“ erklärte. Zum anderen den Volkswirt Jens Südekum (Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung), der meinte, dass die „Volksmasken“ einfach herzustellen seien und je mehr man davon habe, desto früher könne man aus dem Lockdown heraus. Südekum schwebte übrigens vor, dass im besten Falle schon im Juni oder Juli Flugtourismus nach Südeuropa möglich sei – und im übrigen auch wichtig sei für die Urlaubsländer: „Wir als Exportnation können nicht aus der Asche empor steigen, wenn unsere Handelspartner am Boden liegen.“

Aber zurück zur Volksmaske. Wenn alle nach ihr rufen, warum haben sie die Bundesregierung und die Ministerpräsidenten nicht in ihrem Video-Meeting am Mittwoch beschlossen, fragte Anne Will den Bundesfinanzminister und es kam dann sein – wie angekündigt – kleinlauter Moment: „Die Experten waren in der Frage nicht alle ganz einer Meinung“, entgegnete Scholz. Im übrigen brauche man ja jetzt „unglaublich viele Masken“ erst einmal fürs medizinische Personal und man könne die ja nur einmal verwenden.

Scholz will keine Entlastung bei Jahreseinkommen ab 200:000 Euro

Das Argument mit der selbst gebastelten Schutzmaske war damit allerdings nicht widerlegt. Immerhin punktete Scholz am Ende der Sendung mit einer Entgegnung auf die von Anne Will zitierte Forderung von CSU-Chef Markus Söder, man müsse den Soli sofort abschaffen und die Einkommenssteuer senken, damit die Leute mehr Geld in der Tasche haben. Das sehe er als „gutes Zeichen“, meinte Scholz, auch die SPD sei für die sofortige Abschaffung des Solis für 90 Prozent der Steuerzahler. Auch die SPD wolle kleine und mittlere Einkommen jetzt entlasten. Aber in einer solchen Krise, wo der Staat mit hohen Milliardensummen einspringe, „auch sehr vermögende Bürger mit hohen Einkommen von 200.000 bis 300.000 Euro im Jahr“ steuerlich zu entlasten, das halt er für den falschen Weg.

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