Fall Alessio: Staatsanwalt fordert acht Jahre Haft
Im Prozess gegen den Stiefvater des getöteten Alessio wurden vor dem Landgericht Freiburg am Dienstag die Plädoyers gehalten. Der Staatsanwalt forderte eine Haftstrafe von acht Jahren und drei Monaten wegen Körperverletzung mit Todesfolge.
Auch drei Wochen nach dem ersten Verhandlungstag gibt es im Alessio-Prozess viele offene Fragen. Einig sind sich alle Beteiligten nur in einem Punkt: Der Angeklagte hat seinen dreijährigen Stiefsohn am 16. Januar mehrfach in den Bauch geschlagen und dann zum Kinderarzt gebracht. Dort ist Alessio seinen Verletzungen erlegen. Es bleibt strittig, ob der Landwirt den Jungen über einen längeren Zeitraum missbraucht hat – und welche Verantwortung der Mutter zukommt.
Dünne Beweislage
Mehrfach wies Staatsanwalt Klaus Hoffmann in seinem Plädoyer auf die schwierige Beweislage hin. Zwar seien im Kindergarten und bei Arztbesuchen regelmäßig blaue Flecken bei Alessio festgestellt worden. Ob es sich dabei stets um die Folgen von Schlägen gehandelt hat oder – wie der Angeklagte behauptet – um Sturzverletzungen, sei aber nach wie vor unklar. »Für keine der Verletzungen gibt es direkte Zeugen«, so Hoffmann.
Der Staatsanwalt plädierte folglich auf Körperverletzung mit Todesfolge und forderte eine Haftstrafe von acht Jahren und drei Monaten. Zu Beginn des Prozesses hatte er noch von Totschlag gesprochen. Als strafmildernd deutete Hoffmann nun die Tatsache, dass der Angeklagte die tödlichen Schläge vom Januar vor Gericht sofort eingeräumt hat und bisher nicht vorbestraft ist. Erschwerend müsse man aber die hohe Brutalität werten, mit der er auf den wehrlosen, am Boden liegenden Jungen eingeschlagen habe.
Im Zeugenstand war der 33-Jährige von mehreren Personen als strenger, aber auch fürsorglicher Vater beschrieben worden. So habe Alessio auch im Kindergarten schnell blaue Flecken bekommen, nachdem er mit einem anderen Kind zusammengestoßen war. »Von einem dauerhaften Quälen kann nicht ausgegangen werden«, schlussfolgerte Hoffmann, wenngleich er einzelne Misshandlungen nicht in Abrede stellte. Wichtig sei aber die Frage: »Wer war der Verursacher? Der Angeklagte oder die Kindesmutter?«
Überhaupt kam die Rolle von Alessios Mutter, die am gestrigen Verhandlungstag nicht anwesend war, häufig zur Sprache. »Ihre Angaben müssen wir sehr vorsichtig würdigen«, bemerkte der Staatsanwalt. Die psychisch kranke Frau habe sich bei ihrer Aussage in Widersprüche verstrickt und bei einem Kinderarztbesuch gesagt, sie wolle Alessio manchmal »am liebsten an die Wand klatschen«.
Die Anwältin der Mutter, Katja Ravat, sah das anders. »Ich habe eine Mandantin, die einiges dazu beigetragen hat, dass es soweit kommen konnte«, räumte sie ein. Trotzdem habe die Mutter stets ihre Mitschuld bestritten und nie Aggressivität gegenüber Dritten gezeigt.
Kritik am Jugendamt
Kritisch beurteilte Ravat die Arbeit des Jugendamtes. Dieses habe sich unprofessionell verhalten, weil es Auflagen wie die geforderten 14-tägigen Besuche beim Kinderarzt nicht kontrolliert habe.
Verteidigerin Eva Kanngießer wies darauf hin, dass der Angeklagte seit der Tat ständig beobachtet werden müsse, weil Selbstmordgefahr bestehe. »So verhält sich kein Mensch, der nicht reuig ist.« Selbstverständlich könne man Alessio nicht wieder lebendig machen, doch der Angeklagte sei mit der aktuellen Situation – wirtschaftlicher Ruin, Selbstvorwürfe, Drohungen – stärker gestraft, als es das Gesetz vorsehe. Sie plädierte gestern auf eine Haftstrafe von vier Jahren.
»Es tut mir Leid«, sagte der Angeklagte in seinem Schlusswort. Die Urteilsverkündung ist für den 14. Oktober angesetzt.
Eine überforderte Familie
Warum musste der dreijährige Alessio sterben? Im Laufe des Prozesses hat sich das Bild einer völlig überforderten Familie gezeigt. Schon als Kinder waren sowohl der Angeklagte als auch Alessios Mutter von ihren Eltern misshandelt worden. Mit seiner Arbeit als Landwirt war der Stiefvater oft überfordert, hinzu kamen finanzielle Probleme.
Alessios Mutter leidet bis heute unter starken psychischen Problemen. Während ihres Klinikaufenthalts musste der Angeklagte alleine auf Alessio und seine leibliche Tochter Emilia aufpassen, fühlte sich der Aufgabe aber nicht gewachsen. Das Freiburger Jugendamt wusste seit Langem von dieser explosiven Kombination, konnte sich trotz eines Kinderschutzverfahrens aber nicht dazu durchringen, die Kinder aus der Familie zu nehmen.