Fall Chaschukdschi: Verdächtiger aus Umfeld des Kronprinzen
Mehrere der von der Türkei identifizierten Verdächtigen im Fall des verschwundenen saudi-arabischen Journalisten Dschamal Chaschukdschi stammen einem Bericht zufolge aus dem direkten Umfeld des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman.
Das schrieb die «New York Times» in der Nacht zu Mittwoch unter anderem unter Berufung auf Gesichtserkennung, Profile in den sozialen Netzwerken, Medienberichte und geleakte saudische Regierungsdokumente.
Ein Verdächtiger sei gesehen worden, wie er mit dem Kronprinzen aus Flugzeugen in Paris und Madrid gestiegen sei, zudem sei er beim Wachestehen während seiner Besuche in diesem Jahr in Houston, Boston und bei den Vereinten Nationen fotografiert worden. Drei weitere Verdächtige seien anhand von Zeugen und anderen Aufzeichnungen dem Sicherheits-Einsatzkommando des Kronprinzen zugeordnet worden. Der fünfte sei ein Gerichtsmediziner, der eine hochrangige Position im saudischen Innenministerium innehabe.
US-Präsident Donald Trump hatte gesagt, der Kronprinz habe ihm versichert, dass die saudische Führung nichts von den angeblichen Vorkommnissen in der saudischen Botschaft in Istanbul gewusst habe. Die türkischen Behörden gehen aber davon aus, dass Chaschukdschi von einem aus Saudi-Arabien angereisten Spezialkommando getötet wurde. Unter der Überschrift «15-köpfige Mörder-Truppe» wurden in der Zeitung «Sabah», aber später auch der Regierungszeitung «Yeni Safak» und anderen Medien einige der Saudis namentlich identifiziert.
Die «New York Times» berichtete weiter, von den 15 von türkischen Behörden identifizierten Verdächtigen hätten mindestens neun für saudische Sicherheitsdienste, Militär- oder Regierungseinrichtungen gearbeitet. Wenn diese Leute tatsächlich im saudischen Konsulat gewesen wären zu jener Zeit, als auch Chaschukdschi dort war, gebe es einen direkten Bezug von den Geschehnissen zum Kronprinzen.
Die Außenminister der G7-Staaten und die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini haben von Saudi-Arabien Aufklärung im Fall Chaschukdschi gefordert. Die Verantwortlichen für sein Verschwinden müssten zur Rechenschaft gezogen werden, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung am Dienstagabend (Ortszeit). Man setze auf die Zusammenarbeit der Türkei und Saudi-Arabiens und hoffe darauf, dass das Königreich eine «gründliche, glaubwürdige, transparente und sofortige Ermittlung» vornehme. Zu den G7-Staaten gehören die USA, Großbritannien, Frankreich, Kanada, Deutschland, Japan und Italien.
Zugleich versuchen die Vereinigten Staaten, mit offensiver Krisendiplomatie Licht ins Dunkel im Fall des verschwundenen Journalisten zu bringen. Außenminister Mike Pompeo wird nach einem Treffen mit König Salman in Riad in die Türkei weiterreisen. US-Präsident Donald Trump hatte ebenfalls mit Salman sowie dessen Sohn, Kronprinz Mohammed bin Salman telefoniert.
«Mein Urteil nach den Treffen ist, dass es ein ernsthaftes Bekenntnis gibt, alle Fakten zu finden und Verlässlichkeit zu garantieren, auch die Verlässlichkeit gegenüber hochrangigen saudischen Führungsfiguren und Beamten», heißt es in einem Statement Pompeos vom Dienstagabend. Der Kronprinz hatte Trump zuvor nach den Angaben des US-Präsidenten versichert, dass die saudische Führung nichts von den angeblichen Vorkommnissen in der saudischen Botschaft in Istanbul gewusst habe. Der Kronprinz habe Pompeo gegenüber zugesichert, dass die saudischen Ermittler ein vollständiges und transparentes Ergebnis vorlegen werden.
Trump sagte am Dienstagabend (Ortszeit) in einem Interview des US-Senders Fox Business, entscheidend sei, ob die saudische Führung von den Vorkommnissen gewusst habe. «Wenn sie davon gewusst hätten, dann wäre das sehr schlecht», sagte Trump.
Türkische und saudische Ermittler hatten zuvor eine neunstündige Durchsuchung des saudischen Konsulats in Istanbul abgeschlossen und hatten auch das Privathaus des Konsuls durchsucht. Der Diplomat war türkischen Medien zufolge kurz zuvor nach Saudi-Arabien abgereist.
Die türkischen Behörden gehen nach Medienberichten davon aus, dass Chaschukdschi im Konsulat von einem aus Saudi-Arabien angereisten 15-köpfigen Spezialkommando getötet wurde. Sie sollen auch im Besitz kompromittierender Ton- und Videoaufnahmen sein. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sagte, man schaue sich mögliche Spuren «giftiger Substanzen» genauer an. Die seien überstrichen worden.
Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) machte sich in der Affäre für eine internationale Abstimmung stark. «Wir wollen wissen, was da geschehen ist», erklärte er in Paris. «Wenn wir das wissen, werden wir daraus unsere Schlüsse ziehen.» Er habe auch mit Pompeo in einem Telefonat über den Fall gesprochen.
Chaschukdschi war am 2. Oktober in das saudische Konsulat gegangen, um dort Papiere für seine geplante Hochzeit abzuholen. Seine türkische Verlobte wartete vor dem Gebäude über Stunden vergeblich darauf, dass der Journalist wieder herauskam. Chaschukdschi, der am 13. Oktober 60 Jahre geworden wäre, lebte seit mehr als einem Jahr im selbst gewählten US-Exil und schrieb unter anderem für die Zeitung «Washington Post» regierungskritische Artikel über Saudi-Arabien.
Für das Weiße Haus steht in dieser Affäre viel auf dem Spiel, da sich Trump in seiner Nahost-Politik sehr stark auf das sunnitische Saudi-Arabien stützt. Seit Amtsantritt des US-Präsidenten hat sich das zuvor abgekühlte Verhältnis zwischen den beiden Partnern deutlich verbessert. Die USA und Saudi-Arabien sehen vor allem im schiitischen Iran einen gemeinsamen Feind, den bekämpfen wollen.
Der US-Präsident verschärfte zwar zunächst den Ton gegenüber Riad und forderte Antworten auf offene Fragen - will aber offensichtlich dennoch die guten Beziehungen zur Führung in Riad nicht aufs Spiel setzen. Trump äußerte die Vermutung, dass es sich möglicherweise nicht um ein staatlich beauftragtes Mörderkommandos gehandelt habe.
Die Aufmerksamkeit richtet sich in der Affäre insbesondere auf den saudischen Kronprinzen. Der 33 Jahre alte Sohn des Königs ist der starke Mann des Landes und gilt als künftiger Herrscher. Während er einerseits Reformen vorantreibt und das Land gesellschaftlich liberalisiert, geht er hart gegen Kritiker vor.