Gefährliche neue Varianten?
In Großbritannien breitet sich ein verändertes Coronavirus aus. Auch andernorts gibt es Mutationen. Wir beantworten die wichtigsten Fragen.
London/Berlin - Für den britischen Premier Boris Johnson war am Wochenende eine neue Variante des Coronavirus der wichtigste Anlass, um schärfere Restriktionen im Kampf gegen Covid-19 zu erlassen. Die durch Mutationen entstandene neue Variante soll viel infektiöser sein als bisherige Sars-CoV-2-Typen. Noch aber ist nicht allzu viel über sie bekannt. Wir beantworten wichtige Fragen dazu.
Was ist über die neue Corona-Variante in Großbritannien bekannt?
Bereits seit September breitet sich in Großbritannien eine neue Variante von Sars-CoV-2 aus, VUI-202012/01 genannt. Erbgutanalysen ergaben britischen Experten zufolge mehrere Mutationen unter anderem im sogenannten Stachelprotein, das es dem Virus ermöglicht, in menschliche Zellen einzudringen. Eine dieser Mutationen beeinflusst den Kontakt des Virus mit dem sogenannten ACE2-Rezeptor der menschlichen Wirtszellen, der dem Virus als Eintrittspforte dient. Die Veränderung könnte daher für die Verbreitung des Erregers besonders bedeutsam sein. Es gibt aber noch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die neue Variante zu schwereren Krankheitsverläufen führt als die bisherigen Sars-CoV-2-Typen.
Ist die neue Variante tatsächlich viel ansteckender?
Das müssen künftige Untersuchungen erst noch zeigen. Sie sollen in dieser Woche in Großbritannien durchgeführt werden. Dass sich aber die neue Variante in der britischen Bevölkerung vor allem im Südosten des Landes seit September verstärkt ausbreitet, spricht dafür, dass sie die Menschen leichter als die bisherigen Sars-CoV-2-Mutationen infiziert. Die britischen Experten sprechen in ihrem Bericht von einem „moderaten Vertrauen“, dass dies tatsächlich der Fall sein könnte. Noch aber fehlen Laboruntersuchungen zur genauen biologischen Einschätzung der Variante.
Was hat es mit dem R-Wert auf sich?
Der R-Wert beschreibt, wie viele Menschen ein mit Corona infizierter Mensch anstecken kann. Den Berechnungen der britischen Experten zufolge könnte die neue Corona-Variante den R-Wert um 0,39 bis 0,93 steigern – eine sehr große Bandbreite, welche die Unsicherheit bei der Schätzung deutlich macht. In britischen Berichten ist von einer Steigerung des R-Werts um 0,4 die Rede. In Deutschland liegt der R-Wert derzeit knapp über 1 – er könnte um 0,4 auf 1,4 steigen, sollte sich die neue Variante auch hierzulande durchsetzen. Das hätte eine schnellere Ausbreitung des Erregers zur Folge.
Breitet sich die britische Corona-Variante auch in Deutschland aus?
Derzeit sind in Deutschland keine Nachweise bekannt geworden. Allerdings wird hierzulande auch nicht so intensiv auf genetische Corona-Varianten getestet wie in Großbritannien. Daher kann es gut sein, dass die neue Variante auch schon bei uns angekommen ist. Davon gehen auch der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité sowie Stefan Brockmann vom baden-württembergischen Landesgesundheitsamt aus. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) hat sich für diesen Falle bereits für eine Verschärfung der Corona-Maßnahmen ausgesprochen.
Wie ist die Lage in anderen Ländern?
Die neue Coronavirus-Variante wurde in Australien bei einem Ausbruch im Norden Sydneys entdeckt. Auch Island, Dänemark und die Niederlande haben bereits über Nachweise von VUI-202012/01 berichtet.
Sind Veränderungen in der Erbsubstanz von Viren normal?
Ja. Deshalb müssen ja auch Impfstoffe etwa gegen Influenza regelmäßig an die aktuell zirkulierenden Virusvarianten angepasst werden. Auch von Sars-CoV-2 sind bereits viele Tausend Mutationen bekannt. Es deutete bisher aber nichts darauf hin, dass der Erreger dadurch gefährlicher geworden sein könnte – weder im Hinblick auf schwerere Krankheitsverläufe noch auf eine höhere Infektiosität. Letzteres könnte sich aber nun ändern.
Können sich Mutationen auf die Wirksamkeit von Impfungen auswirken?
Experten aus vielen Ländern sind sich einig, dass dies wohl nicht der Fall sein wird. Das Problem ist allerdings, dass die derzeitigen Impfstoffe genau auf das Stachelprotein zielen. Treten hier Veränderungen auf, dann könnte dies prinzipiell die Wirksamkeit der Impfseren beeinträchtigen. Die derzeit eingesetzten wie auch in der Entwicklung befindlichen Seren zielen jedoch auf das gesamte Stachelprotein. Veränderungen an einzelnen Stellen dieses Proteins dürften deshalb die Erkennung durch das Immunsystem geimpfter Personen zunächst kaum stören. Gehen die Veränderungen über ein bestimmtes Maß hinaus, könnte der Impfschutz aber nachlassen. In den nächsten zwei, drei Jahren sei das jedoch nicht zu erwarten, sagte der Baseler Bioinformatiker Richard Neher dem „Spiegel“.
Was geschieht derzeit in Südafrika?
Auch an der Südspitze Afrikas breitet sich eine neue Corona-Variante aus, die aber nichts mit der Mutation in Großbritannien zu tun hat. Sie trägt die Bezeichnung 501.V2. Doch auch in Südafrika gibt es Hinweise darauf, dass sich die neue Variante schneller ausbreitet als bisherige.
Wie hat sich die Mutation in dänischen Nerzfarmen entwickelt?
In Dänemark war das Coronavirus von Menschen auf Nerze übertragen worden und hatte sich in den Tieren genetisch verändert. Die veränderte Form namens Cluster 5 war wieder auf Menschen übergesprungen. Um die Ausbreitung zu verhindern, wurden lokal strenge Kontaktbeschränkungen erlassen und mehr als 15 Millionen Nerze getötet. Offenbar gibt es diese Corona-Variante nun nicht mehr. Mehr als vier Millionen vergrabene Nerzkadaver sollen nun nach sechs Monaten ausgegraben und verbrannt werden.