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Internationale Pressestimmen nach dem Nein zum Brexit-Deal

dpa
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16. Januar 2019
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Die Titelseiten von britischen Tageszeitungen am Tag nach der Abstimmung über den Brexit-Deal.

Die Titelseiten von britischen Tageszeitungen am Tag nach der Abstimmung über den Brexit-Deal. ©dpa - Press Association Images

Nach dem Nein des britischen Parlaments zum Brexit-Deal von Premierministerin Theresa May sind nicht nur Menschen in Großbritannien verunsichert. Die internationale Presse reagiert mit Unverständnis, Verwunderung und Ungeduld. Auch an guten Ratschlägen mangelt es nicht:

«Telegraph» (Großbritannien): «Was Frau May grundsätzlich nicht verstanden hat, ist, dass man zur Umsetzung des Referendums klar mit Europa brechen muss. Das erfordert, sich für eine Seite zu entscheiden und sich für sie einzusetzen. Ihr Versuch, alle - einschließlich Brüssel - zufriedenzustellen, hat am Ende niemanden zufriedengestellt. Das Ausmaß ihrer Niederlage ist der Beweis.»

«Times» (Großbritannien): «Das Land ist mit einer Krise konfrontiert, und es nicht klar, ob Theresa May Teil des Problems oder Teil der Lösung ist. Sie hatte schlechte Karten, aber sie hat sie auch außerordentlich schlecht gespielt. (...) Wenn May unwillig ist, das Notwendige zu tun, um ein Chaos zu vermeiden, wird das Parlament eine Führungspersönlichkeit finden müssen, die dazu bereit ist.»

«Daily Mail» (Großbritannien): «In einer idealen Welt würde Frau May vergnügt nach Brüssel zurückkehren, wo die anderen EU-Staats- und Regierungschefs zur Besinnung kommen, den verhassten Backstop ändern und ihr ein Abkommen geben würden, das sie dem Unterhaus verkaufen könnte. Leider gibt es in diesem Szenario zwei große Fehler. Erstens haben die EU-Eliten bisher herzlich wenig Interesse an einem Kompromiss mit den Realitäten der britischen Politik gezeigt. (...) Zweitens (...) frage ich mich, ob es einen vernünftigen Deal gibt, den das Unterhaus akzeptieren würde.»

«Independent» (Großbritannien): «Bald wird die souveräne Entscheidung über den Brexit daher auf die ein oder andere Weise ihren Weg zurück zur Wählerschaft finden. (...) Alle, die 2016 abgestimmt haben, können noch einmal abstimmen. Sie können erneut für den Brexit stimmen, wenn sie wollen. Sie können aber auch zu dem Schluss kommen, dass der Brexit sich, aus welchem Grund auch immer, nicht als das leicht umzusetzende Paradies der Möglichkeiten erwiesen hat, das ihnen einst präsentiert wurde.»

«Guardian» (Großbritannien): «Eine fehlende Führung kann zu einem Gefühl der Panik führen, das von einer Regierung noch verstärkt wird, die Lebensmittel- und Medikamentenvorräte anlegt, als bereite sie sich auf einen Krieg vor. Wir müssen dem Chaos und der Spaltung ein Ende setzen, die so viel dazu beigetragen haben, unser Land zu entstellen.»

«Irish Independent» (Irland): «Hoffentlich richtet sich der Fokus nun darauf, einen ungeordneten Austritt zu verhindern. Das würde allerdings die Unterstützung einer Mehrheit der Abgeordneten erfordern - etwas, das bisher allen Beteiligten unmöglich gewesen ist.»

«De Tijd» (Belgien): «Natürlich kann die britische Regierung einen Aufschub beantragen und versuchen, den fatalen Termin 29. März zu verschieben. Dann müssten alle europäischen Mitgliedstaaten dem zustimmen. Die Frage ist nur, warum sie dies tun sollten. Wenn das Vereinigte Königreich keine Ahnung hat, wohin es eigentlich will, was kann Europa dann noch tun?»

«De Standaard»: «Nach der dramatischen Abstimmung bleiben noch viele Szenarien übrig, aber alle scheinen nur zu noch mehr Chaos, Unsicherheit und bitterem Streit zu führen.»

«De Telegraaf» (Niederlande): «Nun bleibt Großbritannien und der EU kaum noch Zeit, eine wirtschaftliche Katastrophe zu verhindern. Diese Niederlage kann nur dazu führen, den Austritt der Briten aus der EU zu verschieben. Es sei denn, Brüssel bleibt hart. Dann käme es am Stichtag 29. März zu einem knallharten Brexit mit allen entsprechenden Folgen.»

«Les Dernières Nouvelles d'Alsace» (Frankreich): «Es gibt wohl in der westlichen West keinen Regierungschef, der so erniedrigt, verurteilt und verraten wurde wie die britische Premierministerin. Und dennoch gibt sie nicht auf. Hundert Mal hat man sie am Boden gesehen. Hundert Mal ist sie wieder aufgestanden - und keiner weiß, ob es sich um Mut oder Leichtfertigkeit handelt.»

«Ouest-France» (Frankreich): «Uns sagt der Brexit, dass ein Referendum eine radikale Entscheidung ausdrücken kann, aber nicht notwendigerweise die Lösungen (liefert), um sie in die Praxis umzusetzen.»

«Neue Zürcher Zeitung» (Schweiz): «May aber wird freiwillig nicht gehen, aus zweierlei Gründen. Erstens würde die Krise kaum gemildert, wenn in den nächsten Wochen Neuwahlen stattfinden müssten. Zweitens führte das Parlament 2011 eine Gesetzesänderung ein, die fixe Legislaturperioden von fünf Jahren vorsieht. Der demokratischen Tradition steht somit der Buchstabe des Gesetzes entgegen. Das könnte noch zu einer Verfassungskrise führen.»

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«Tages-Anzeiger» (Schweiz): «In der Hitze des Gefechts seit 2016 haben sich gefährliche Fronten gebildet, in Westminster wie im ganzen Land. Am dringlichsten ist wohl, dass sich im Parlament jetzt eine klare Mehrheit formiert, die eine «No Deal»-Katastrophe, den «Sprung über die Klippe», verhindert. Das wäre der erste Schritt. Stattdessen ist aber erst einmal mit weiteren schweren Turbulenzen zu rechnen.»

«La Repubblica» (Italien): «Das Abkommen, über das zweieinhalb Jahre mit der Europäischen Union verhandelt wurde, wurde abgelehnt. Und Großbritannien gleicht einer abdriftenden Insel. Der Brexit scheint zurück an seinem Ausgangspunkt zu sein. Es gibt viele Spekulationen, aber keinerlei Sicherheit. Alles scheint möglich.»

«New York Times» (USA): «Menschen können ihre Meinung ändern und überleben. Der Weg von hier zu einer zweiten Abstimmung verläuft nicht in einer geraden Linie, aber wenigstens zeichnet sich seine Richtung ab. (...) Die Briten und insbesondere die britische Jugend verdienen das Recht, ihre Zukunft auf der Basis der Realität langfristig selbst zu bestimmen.»

«Kommersant» (Russland): «Nach dem Scheitern ist nicht klar, wie das Land die EU verlassen wird. Eines ist aber klar: Ein zweites Referendum abzuhalten, auf das viele Parlamentarier bestanden, ist unwahrscheinlich. Nach den Berechnungen der regionalen Wahlkommissionen dauert die Vorbereitung sechs Monate, während der Brexit in zweieinhalb Monaten ansteht - der Termin ist schon am 29. März.»

«Iswestija» (Russland): «Nun soll die Regierung in den nächsten Tagen ein alternatives Brexit-Szenario entwickeln, das von Brüssel und von London angenommen wird. In Anbetracht der Tatsache, dass die Verhandlungen mit der EU seit fast zwei Jahren andauern und Brüssel Änderungen ablehnt, scheint die Schaffung einer akzeptablen Alternative in so kurzer Zeit etwas unrealistisch.»

«Rzeczpospolita» (Polen): «Auf spektakuläre Weise endet die Illusion, die die Regierungschefin zweieinhalb Jahre lang aufrecht erhalten wollte: dass es möglich ist, die wichtigsten Vorteile der EU-Mitgliedschaft wie den Zugang zum Binnenmarkt bei gleichzeitig bedeutendsten Vorteilen der Unabhängigkeit von Brüssel - wie einer eigenen Migrationspolitik - zu erhalten.»

«Hospodarske noviny» (Tschechien): «Das Chaos rund um den Brexit ist die beste Warnung davor, Referenden abzuhalten - zumindest, wenn sie in entscheidender Weise und unwiderruflich über die Zukunft eines ganzen Landes entscheiden.»

«Lidove noviny» (Tschechien): «Großbritannien, ob nun als Mitglied der EU oder nicht, verkörperte in der Vergangenheit immer eine Gesellschaft, die auch ungeschriebene Worte und Versprechen ernst nahm. Schließlich ist es eine Gesellschaft, die sich auf eine ungeschriebene Verfassung stützt. Doch wie britisch ist ein Land noch, das zweieinhalb Jahre nach einem eindeutigen Referendumsergebnis nicht sagen kann, wann und wie es die EU verlässt?»

«Dennik N» (Slowakei): «Es bleibt die Unsicherheit - und daran ändert auch ein allfälliger Aufschub des Brexit nichts. Und zwar deshalb nicht, weil eigentlich niemand wirklich weiß, was nach einem solchen Aufschub gemacht werden könnte.»

«Dagbladet» (Norwegen): «Nach einer donnernden Niederlage im Unterhaus für Premierministerin Theresa May ist Großbritanniens Scheidung von der EU unklarer denn je. (...) Doch im absurden politischen Theater der Briten kann May als Premierministerin überleben - nach einer Niederlage, die in den vergangenen 100 Jahren ihresgleichen sucht.»

«Dagens Nyheter» (Schweden): «Wir brauchen die Briten, wir brauchen sie nicht zuletzt jetzt, wenn neuer Nationalismus die Union von innen heraus erodiert. Aber anstatt eine konstruktive Kraft in der EU zu sein, verschwendet Großbritannien seine Energie mit fortgeschrittenem selbstschädigendem Verhalten. Eine Tragödie.»

«Jyllands-Posten» (Dänemark): «Fast drei Jahre sind vergangen, ohne dass Weltbewegendes passiert ist. Das ist ein Beweis dafür, dass selbst eine Demokratie - eine der ältesten der Erde - keine Garantie dafür ist, dass eine Volksentscheidung auf sichere Weise gehandhabt wird.»

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