ARD-Talkshow „Hart aber fair“

Jagen die Regierenden den falschen Feind?

Matthias Schiermeyer
Lesezeit 5 Minuten
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12. Januar 2021
Frank Plasberg hat keine Mühe mehr, seriöse Gegner der Regierungsmaßnahmen zu finden.

Frank Plasberg hat keine Mühe mehr, seriöse Gegner der Regierungsmaßnahmen zu finden. ©Foto: obs/ARD Das Erste

Frust und Unmut vieler Menschen über die perspektivlose Isolationspolitik erreicht besorgniserregende Dimensionen. Schlägt jetzt die Stunde der seriösen Corona-Kritiker? Auch in der ARD-Talkshow „Hart aber fair“ bringen sie ihre Zweifel auf den Punkt.

Stuttgart - Die Stimmung kippt – der Politik droht die Akzeptanz ihrer Maßnahmen abhanden zu kommen. Es ist eine subjektive Auswahl von Stimmen, die die „Hart aber fair“-Redaktion für ihren Auftakteinspieler eingefangen hat. „Man trinkt abends einfach mehr“, sagt die erste Befragte. „Der Gang zu Aldi ist der Höhepunkt des Tages“, sagt der zweite. „Ich sitze zu Hause und weine mir die Seele aus dem Leib“, schildert die dritte. Doch der schleichende Frust ist unverkennbar – immer mehr Menschen reagieren genervt bis demoralisiert, was einen Unterschied zum Frühjahr 2020 markiert.

An diesem heiklen Punkt tut sich ARD-Talkshowmacher Frank Plasberg mittlerweile leicht, seriöse Corona-Kritiker für seine Montagsrunde zu finden: den Wirtschaftswissenschaftler Michael Hüther zum Beispiel, der engagiert nachbohrt: „Warum wissen wir immer noch so wenig über das Infektionsgeschehen?“ Für 80 Prozent der Fälle werde gesagt, dass es diffus sei. Das Robert-Koch-Institut könne da keine genaueren Analysen liefern. Der „Vorschlaghammer“ – also der Lockdown – sei „nur deswegen notwendig, weil wir nicht die Differenzierung haben“.

„Eindimensional“ argumentierende Epidemiologen

„Ich kann Ihnen sagen, was am 25. Januar passiert“, prophezeit Hüther. „Es wird zur Verlängerung der bestehenden Beschlüsse kommen.“ Dabei sei gar nicht klar, welche Beschränkung welchen Effekt habe. Es gebe, so der Chef des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW), international kein Land mit einem Sieben-Tage-Inzidenzwert von unter 100 auf 100 000 Einwohner, das zugleich härtere Maßnahmen anwende. Auch in Bayern, das stets so streng vorgehe, liege der Inzidenzwert immer höher als in Nordrhein-Westfalen – dafür müsse es noch andere Gründe geben. Demnach haben die Berechnungen der Epidemiologen nicht den Wert, den sich die Politik davon verspricht.

Als Ökonom würde er sich nie erlauben, „so eindimensional vorzutragen“, erregt sich Hüther über den Unterbietungswettbewerb der Wissenschaftler, die munter Inzidenzen von 25 bis sieben fordern, bevor sie Lockerungen zulassen wollen – was dann 830 Neuinfektionen pro Tag entspräche statt der aktuell 12 000 bis 32 000. „Unverantwortlich“ sei die Fixierung auf einen Wert, sagt Hüther – natürlich auch im Sinne seiner Klientel, der Wirtschaft. Denn „bei dieser Witterung werden wir nicht unter 100 kommen.“

Malu Dreyer wehrt sich gegen zu banale Darstellungen

Auch die Journalistin und SPD-Aussteigerin Susanne Gaschke hält „hohe Inzidenzzahlen nicht mehr für den richtigen Feind“. Es sei unmöglich in einer freien Gesellschaft, das „Virus auf null zu stellen“. Lässt sich das Kanzleramt demnach nur in eine bestimmte Richtung beraten, um auf dem bisherigen Kurs fortzufahren, wie Gaschke argwöhnt?

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So muss Malu Dreyer als einzige Politikerin der Runde die Regierenden gegen die Vorhaltung verteidigen, die Lage eindimensional zu betrachten: „Das ist zu banal, wie das hier dargestellt wird“, gibt die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz zurück. Es sei falsch, „dass wir immer nur auf diesen Inzidenzwert schauen“. Die Beschlüsse würden auch nicht nach der Vorgabe eines Wissenschaftlers getroffen. „Leute, wir überlegen uns immer wieder, was wir tun.“ Es sei ein Abwägen, und natürlich gebe es viele Zweifel, aber irgendwann müsse entschieden werden.

Was ist ein gefährlicher Kontakt?

Somit könnte Alexander Kekulé, namhafter Virologe aus Halle in Sachsen-Anhalt, den souveränen Sachaufklärer geben, doch verliert er sich in einer Vielzahl kurzatmiger Anmerkungen, ohne eine klare Richtung erkennen zu lassen. Manches irritiert. Zum Beispiel spricht er sich für „andere Möglichkeiten“ aus, um die Infektionslage einzugrenzen: ein „privates Meldesystem“ in Form einer App, mit dem man sich in Restaurants oder an anderen Veranstaltungsorten registrieren kann. Da sei noch „sehr viel Luft“, sagt er. Allerdings gilt dies auch für seine Ideen.

Die Coronaviren würden uns noch eine Zeit lang plagen – dies sei kein Grund, „eine ganze Nation runterzufahren“, meint Kekulé. Wesentliches Bestreben müsse es vielmehr sein, gefährliche Kontakte zu unterbrechen, doch sei es dem RKI „bisher nicht gelungen zu sagen, was ein gefährlicher Kontakt ist“. Es sei auch nicht klar, inwieweit man sich trotz der Masken im beruflichen Umfeld infiziert. So nehme die Politik viele Maßnahmen vor, „für die es keine Begründung gibt“. Es sei „das berühmte Navigieren im Nebel“.

Corona-Leugner werden auch behandelt

Auch bei dem in weiten Teilen der Republik verordneten 15-Kilometer-Radius um den Wohnort würden die Regierenden nicht erläutern, was er bewirken solle, klagt Kekulé. Generell fehlt ihm eine „Begründungskultur“. Hinter den Kulissen, so plaudert der Virologe aus dem Nähkästchen, wird zwischen Fachleuten und Politik „auch nicht im Detail diskutiert“.

Cihan Celik, Lungenfacharzt auf der Corona-Isolierstation im Klinikum Darmstadt, fällt aus dem Rahmen. Denn er hat Covid-19 überstanden. So ist er in doppelter Hinsicht ein Experte – aber einer mit einer ganz eigenen Sicht auf die Kontroversen. Eindrücklich bringt er seine Abneigung über tanzende Corona-Leugner („Ein bisschen Sars muss sein“) zum Ausdruck – um trotzdem zu versichern, dass sie als infizierte Intensivpatienten genauso beatmet würden wie alle anderen auch.

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