Missbrauchsfall: Hauptverdächtige ab Montag vor Gericht
Am Anfang steht ein anonymer Hinweis. Ermittlungen beginnen. Und das Martyrium eines Kindes endet, das seine Mutter und deren Freund vergewaltigten und an andere Männer verkauften. Die beiden stehen ab Montag als Hauptbeschuldigte in dem beispiellosen Fall vor Gericht.
Das Kind soll für sie wie eine Sache gewesen sein, einen Namen brauchte es da nicht. Den mutmaßlichen Peinigern wird vorgeworfen, sich an ihm bedient und es vermietet zu haben wie einen Gegenstand. Sie sollen es missbraucht, gequält, gedemütigt und vergewaltigt haben. Vor Gericht nennen die Angeklagten und ein als Zeuge vernommener Hauptbeschuldigter das Kind nur «den Jungen».
Die Mutter beschützte laut Anklage ihr Kind nicht. Sie soll bei den Taten dabei oder in Hörweite gewesen sein und ihren Lebensgefährten und all die anderen Männer einfach machen gelassen haben. Und sie war an den Verbrechen gegen ihren wehrlosen Sohn direkt beteiligt und missbrauchte ihn der Anklage zufolge auch selbst.
Junge im Darknet angeboten
Die 48-Jährige und ihr Freund, ein einschlägig vorbestrafter 39 Jahre alten Mann, stehen vom 11. Juni an als mutmaßliche Haupttäter im Freiburger Missbrauchsfall vor dem Landgericht Freiburg. «Dass ich der Haupttäter bin, ist absolut richtig», sagte der 39-Jährige am Donnerstag in einem anderen Prozess des Falls als Zeuge. Er werde auch in dem Prozess gegen ihn aussagen, die Vorwürfe träfen zu.
Die mutmaßlichen Verbrechen und das sie umgebende Geflecht aus pädophilen Kriminellen, wie es die Ermittler aufdeckten, sind beispiellos. Dem kleinen Jungen soll nicht nur von der eigenen Mutter und deren Freund das Schlimmste angetan worden sein. Der heute Neunjährige wurde demnach im Darknet feilgeboten und Kunden zum Vergewaltigen überlassen. Manchmal tagelang. Übers Wochenende. Gegen Geld. Oder auch mal «als Freundschaftsdienst», wie es der 39-Jährige als Zeuge bei den bisherigen Prozessen gegen solche Kunden lapidar mitteilte.
Ohne Reue und Mitgefühl
Seine Aussagen macht er ohne Reue und ohne Mitgefühl. «Ich habe Scheiße gebaut», so formuliert er es. Emotionen zeigt er nur einmal: Als er über einen Fernsehbericht schimpft, in dem er ganz falsch dargestellt sei. Für seine Taten schämt er sich nicht. Er berichtet sie selbstsicher, fast selbstgefällig, und geschäftsmäßig. «Dazwischen haben wir gelebt wie eine ganz normale Familie.»
Mehr als zwei Jahre mindestens - angeklagt sind Taten zwischen Mai 2015 und September 2017 - war das Kind ihm, der Mutter und den anderen ausgeliefert. Nach einem anonymen Hinweis am 10. September vergangenen Jahres kamen die Geschehnisse ans Licht und die Polizei sukzessive auf die Spur der Verdächtigen.
Weitere Prozesse laufen parallel
Im Rahmen eines Großeinsatzes wird am 16. September 2017 zunächst das Paar in der Nähe von Freiburg festgenommen. Der Neunjährige aus Staufen kommt in staatliche Obhut. Am 11. Januar 2018 wird die Öffentlichkeit informiert. Inzwischen sind neben dem Pärchen sechs Männer verhaftet und drei davon in einzelnen Verfahren bereits verurteilt. Keines der Urteile ist rechtskräftig. Gegen einen Schweizer, dessen Prozess am 6. Juni in Freiburg begann, wird noch verhandelt; ein Spanier soll Ende Juli vor Gericht kommen. Zeitgleich zum Prozessauftakt gegen das Paar wird am Karlsruher Landgericht gegen einen 44-Jährigen verhandelt.
Der Fall erschüttert selbst erfahrene Ermittler zutiefst. «Es sind Bilder und Töne, die sich einbrennen im Kopf», sagt Peter Egetemaier, Chef der Freiburger Kriminalpolizei, kurz nach Bekanntwerden der Verbrechen. Die Ermittlungsgruppe «Kamera» sichtet Bilder und Filme, vernimmt Zeugen, füllt zehn Aktenordner mit zum Teil grausamen Details. Alleine die Anklageschrift gegen das Paar, die am 11. Juni verlesen werden soll, ist nach Angaben eines Sprechers der Staatsanwaltschaft mehr als 100 Seiten lang. Jeweils knapp 50 Taten, darunter auch der Missbrauch einer Dreijährigen, werden den beiden zur Last gelegt.
Auflagen ignoriert
Dass der als Sexualverbrecher vorbestrafte 39-jährige Christian L. unter einem Dach mit einem Kind leben konnte - die Ermittler und die Öffentlichkeit sind fassungslos. Polizei und Jugendamt hatten schon früher vor der Gefahr für den Jungen gewarnt. Dieser wird kurzzeitig aus der Familie genommen - und wenig später per Gerichtsbeschluss zurück in sein Martyrium geschickt. Die Auflage der Richter, die dem Mann den Kontakt zu dem Jungen verbieten, wird ignoriert. Weder Jugendamt noch Gericht hatten die Auflagen kontrolliert.
Immerhin: Ohne L. wären die Taten nicht aufzuklären gewesen, sagt der Vorsitzende Richter Stefan Bürgelin. Zudem erspart L. mit seinem Geständnis seinem Opfer vermutlich eine Aussage vor Gericht. Die Mutter schwieg bislang. Auch ihre Motive seien sexueller Art gewesen, sagt ihr Freund. Und: «Sie war mir hörig. Das habe ich teilweise ausgenutzt.»
Neunjähriger spricht nicht darüber
Dem Kind gehe es den Umständen entsprechend gut, sagt eine Polizistin, die es regelmäßig besucht. Das sagt auch die Opferschutz-Anwältin Katja Ravat, die es als Nebenkläger vertritt - «wobei man allerdings derzeit schlecht absehen kann, wie sich sein psychisches Wohlbefinden und seine Stabilität noch entwickeln wird», sagt sie. «Er ist aufgeweckt, aber bei diesem Thema eher introvertiert und berichtet zu dem Thema (noch) nicht.»
Im Auftrag des Landratsamtes Breisgau-Hochschwarzwald wacht eine Berliner Anwaltskanzlei darüber, dass die Identität des Neunjährigen geheim bleibt. Wo er lebt und wie er untergebracht ist, darüber ist nichts bekannt. Man möchte eigentlich auch nicht fragen. Er soll endlich geschützt sein.