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Die Geburt eines Urwaldes

Andreas Richter
Lesezeit 8 Minuten
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01. März 2014

(Bild 1/4) Im Nationalpark Bayerischer Wald: Blick vom Rachel zum Lusen. ©NVP Nationalpark Bayerischer Wald

Eigentlich sollte man ja denken, dass 44 Jahre nach der Errichtung des Nationalparks die Kritiker verstummt sind. Doch anno 2014 ist es im Bayerischen Wald immer noch nicht so, dass sich Befürworter und Gegner ausgesöhnt hätten. »Fronten haben wir heute noch«, sagt der Leiter des Nationalparks Bayerischer Wald, Franz Leibl. Der erste deutsche Nationalpark wurde 1970 – auch mit Unterstützung von Bernhard Grzimek (»Serengeti darf nicht sterben«) – gegründet, 1997 kam die Erweiterung um knapp 11 000 Hektar. Im Erweiterungsgebiet gebe es heute noch eine »kleine Gruppe« von Gegnern um einen ehemaligen Forstamtsleiter, die ausgesprochen »agil« sei. Der Protest sei »getragen von Weltanschauungen und Emotionen, nicht von Argumenten«, meint Leibl, der ansonsten aber festhält, dass der Park akzeptiert sei.

Dass Naturschutz auch Bares einbringt, wurde in einer Untersuchung zur Wertschöpfung  2007 ermittelt. Rund 13,4 Millionen Euro Umsatz brachten demnach Besucher des Nationalparks Bayerischer Wald in die strukturschwache Region, was einem Beschäftigungsäquivalent von gut 900 Jobs entspricht; der Park selber ist ebenfalls ein großer Arbeitgeber. Auch haben sich rund 75 Partnerbetriebe zu einem Verein zusammengeschlossen, die mit dem Nationalpark werben dürfen und im Gegenzug bestimmte Umweltkriterien erfüllen.

Aber natürlich geht es beim Nationalpark nicht ums Geschäft, sondern um den Schutz von Flora und Fauna. »Die Natur Natur sein lassen«, lautet die Zielvorgabe, und das funktioniert nach 150 Jahren Waldwirtschaft  im Parkgebiet heute so:
In der »Naturzone« – 57 Prozent der Parkfläche – greift der Mensch nicht ein, egal ob der Borkenkäfer einfällt oder es zu Windwürfen kommt. »Von uns aus passiert nix«, sagt Leibl – außer dass die Verwaltung die markierten Wege offenhält. Die »Randzone« ist dauerhaft Managementzone, in der Borkenkäferbekämpfung stattfindet. So wirke dieser Bereich als »Schutzschild« für den wirtschaftlich genutzten Privatwald außerhalb des Parks. Die »Erholungszonen« mit den Tiergehegen, den Infozentren mit Spielplätzen und Gastronomie sind laut Leibl die »Tore zum Park«. Darüber hinaus gibt es noch die »Entwicklungszone« im Erweiterungsgebiet, die jährlich in kleinen Portionen bis 2027 in die »Naturzone« überführt werden soll.

Die Geschichte des Nationalparks Bayerischer Wald ist auch eine Geschichte der Borkenkäferaktivität.  Vor allem Mitte der 1990er-Jahre und erneut zwischen 2005 und 2009 breitete sich in den Bergfichtenwäldern der Hochlagen der Borkenkäfer extrem aus, mehrere 1000 Hektar Wald starben. In der Ausstellung am Besucherzentrum Lusen sind alte Zeitungen ausgestellt, deren Schlagzeilen vom Ende der Zivilisation kündeten. »Unsere Heimat geht zugrunde« wurde da getitelt, oder auch »Wo die Wälder nicht mehr rauschen«. Heute, 15 bis 20 Jahre später, hat sich das längst als Kokolores herausgestellt. »Wir erleben die Geburt einer Waldwildnis, wie sie vor 200 Jahren war«, schwärmt Franz Leibl.

Denn der Bergfichtenwald weist nun eine ganz andere Struktur auf. »Lückenstruktur« nennt Leibl das. Nicht mehr alle Bäume seien gleich alt und gleich groß wie im Kulturwald. Der Borkenkäferbefall habe für eine »Naturverjüngung« gesorgt, was da jetzt wachse, sei Urwald.

Auch in tieferen Lagen, im Bergmischwald, ist längst ein ganz anderer Wald zu sehen. Da stehen 200-jährige Tannen neben umgestürzten Baumriesen oder Flächen mit Baumwinzlingen. »Nicht aufgeräumt« sei das, meint Leibl. Der promovierte Biologe weist auch darauf hin, dass das sogenannte Totholz »voller Leben ist«. Die Abwesenheit der Waldwirtschaft habe auch zur Verbesserung der Bodenqualität geführt und neue Lebensräume erschlossen. »Das können wir belegen in unserem Park.« Denn neben Information und Bildung  betreibt der Nationalpark natürlich auch Forschung. Als »ein deutliches Zeichen« für den Erfolg von 44 Jahren Nationalpark gilt etwa die hohe Verjüngungsdichte im naturbelassenen Wald. 

Indikator dafür, dass sich in der »Naturzone« tatsächlich eine urwaldartige Waldwildnis entwickelt, seien die dort eingewanderten Urwaldreliktarten. »Vorher konnten wir diese nur in den wenigen Parkarealen nachweisen, in denen sich tatsächlich noch echte Urwaldreste befinden«, kommentiert Parkchef Leibl.

Und er nennt etwa den Habichtskauz, den Rindenschröter, der auch Gebirgshirschkäfer heißt, oder die Zitronengelbe Tramete, ein Pilz, der Totholz besiedelt. Auch sind Vogelarten wieder in ihre Primärhabitate zurückgekehrt – etwa der Gartenrotschwanz oder der Zwergschnäpper. Beide sind den Angaben zufolge im Kulturwald in der Regel nicht zu finden.

Überhaupt gibt es seltene Tiere ohne Ende im Nationalpark Bayerischer Wald. Die wurden zwar wie der Luchs angesiedelt, doch fühlt sich viel Getier da wohl: unter anderem Biber, Fischotter, diverse Fledermausarten, Rotwild, Haselwild, Schwarzstorch und Eisvogel. Doch dabei wird es nicht bleiben, schätzt der Leiter der beiden Tierfreigehege und Tierarzt Dennis Müller. »Es ist nicht auszuschließen, dass der Wolf wieder auftaucht«, meint er. Ebenso sei aus Tschechien kommend der Elch ein möglicher Migrant.

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Und weil man im Park eher »chancenlos« sei, so seltene Tiere wie das Haselhuhn zu beobachten, wurden die beiden Tierfreigelände  eingerichtet. Die sind kostenfrei zugänglich und verfolgen einerseits das Ziel, die Leute aufzufangen, die wegen der Tiere in den Nationalpark gekommen sind. Andererseits  soll auch hier den Besuchern die Waldökologie nahegebracht werden.

Wer das Tiergelände im Nationalparkzentrum Lusen besichtigen will, sollte Energie und Standvermögen mitbringen. Auf einem Rundweg im 200-Hektar-Gelände werden rund 40 Tierarten  »in naturnahen Situationen gezeigt, sodass sie sich auch mal verstecken können und man warten muss, bis sie sich zeigen«, wie Müller erläutert. Gezeigt würden typische Lebensraumabschnitte der Tiere, die tatsächlich hier leben oder die hier einst gelebt haben, wie Wolf, Bär oder Elch.

So steht etwa den Wisenten, die es in Freiheit im Park nicht gibt, ein geräumiges Gelände von neun Hektar Größe zur Verfügung. Blickt man von der einen Seite ins Gehege, sieht man das Gatter auf der gegenüberliegenden Seite nicht. »Das ist ein ganz anderes Erleben«, sagt Tierarzt Müller. Die Wisente dürften in ihrem Gehege auch die Bäume schälen, die anschließend abstürben. So was gibt’s im Zoo nicht.

Einen 1300 Meter langen Baumwipfelpfad gibt’s am Lusen-Zentrum zudem. Inmitten eines 120- bis 150-jährigen Tannen- und Fichtenbestandes steigt der barrierefreie Pfad mit diversen didaktischen Stationen bis auf 25 Meter Höhe über Grund an. Auf dem Weg nach oben weist Franz Leibl

darauf hin, dass etliche 200 Jahre alte Tannen hier stehen. »Das sind Baumdimensionen, das können Sie im Sägewerk gar nicht mehr verarbeiten.« Die ältesten Bäume im Park sind 500-jährige, 53 Meter große  Tannen.

Dann beginnt der ebenfalls für Rollstuhlfahrer befahrbare Anstieg in den Baumturm, der aufgrund seiner Form »Baumei« genannt wird. Der Wendelgang mündet in der Plattform in 44 Metern Höhe und gibt nicht nur den Blick auf die Nationalparkberge Lusen (1373 Meter) und Rachel (1453) frei. Bei guten Sichtverhältnissen ist der Blick in den zweiten bayerischen Nationalpark am Fuß des Watzmanns (2713) möglich, den rund 150 Kilometer Luftlinie entfernten Nationalpark Berchtesgaden. Der in privater Regie geführte und daher kostenpflichtige Baumwipfelpfad ist nach Betreiberangaben der längste weltweit.

Neben dem Erhalt und der Förderung der Biodiversität – ein Ziel, dem sich 2007 auch die Bundesregierung verschrieb – geht es Parkchef Leibl auch um ein umfangreiches Bildungsangebot. Die Besucherzentren Lusen und Falkenstein werden jährlich von rund 300 000 Gästen vor allem aus Bayern und Tschechien besucht; das Jugendwaldheim und das Wildniscamp zählte zuletzt 11 000 Übernachtungen von Kindern und Jugendlichen; 55 000 Parkbesucher schlossen sich einer der Führungen an, die von Privatveranstaltern mit Zertifizierung durch die Parkverwaltung angeboten werden. 

Lehr- und Erlebnispfade sowie Waldspielgelände runden das Angebot ab.  Eine Million Gäste kommen im Jahr in den Park  – »viele suchen die Wildnis«, sagt Leibl. »Das ist der Trend.«

Die Pressesprecherin des Nationalparks, Kristin Beck, verweist zudem auf das Junior-Ranger-Projekt, bei dem in den vergangenen Jahren gut 2000 Fünftklässler zu Junior-Rangern ausgebildet wurden. Man sei damit so erfolgreich gewesen, dass sich inzwischen ein Verein mit ehemaligen Teilnehmern und deren Eltern gegründet habe, der das Engagement mit der offiziellen Mitarbeit von sogenannten Volunteer-Rangern  bei Nationalparkprojekten weiterführe. Beck: »So eine Art Grass-Roots-Bewegung in Sachen Akzeptanz.« 
»Das Wichtigste aber«, sagt Parkchef Franz Leibl, »ist die Natur.« Und die sieht er im Nationalpark Bayerischer Wald auf einem guten Weg. Klar, meint er, man wisse nicht, was der Borkenkäfer in 100 Jahren anrichten werde, doch für den Moment schwärmt er vom heutigen »tollen Waldbild«. Der Parkleiter ist überzeugt: »Das ist der Wald der Zukunft.«

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