Serie: Fundstücke - Zweiter Weltkrieg
Dossier: 

Hiebe für die Berliner Schnauze

Michael Haß
Lesezeit 4 Minuten
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23. April 2015

(Bild 1/2) Ein Foto aus glücklichen Tagen: Jörg Weisbrod auf dem Arm seiner Mutter in Berlin. Sie flohen vor den Bombennächten nach Schwenningen. Doch auch dort hagelte es Bomben. ©Privat

Vor 75 Jahren breitete sich der Zweite Weltkrieg in Europa aus und brannte sich ins Gedächtnis der Menschen ein. Die Mittelbadische Presse blickte im vergangenen Herbst auf die wichtigsten Ereignisse des Krieges zurück und rief Zeitzeugen dazu auf, ihre Geschichten zu erzählen. Mit der Serie »Fundstücke – Zweiter Weltkrieg« kommen jeden Donnerstag Menschen zu Wort und lassen Geschichte lebendig werden. Heute erzählt Jörg Weisbrod aus Offenburg-Zell-Weierbach. Erinnerungen sind ein Schatz, den jeder Mensch in sich trägt und der verloren geht, wenn man ihn nicht sichert. Jörg Weisbrod hat seine Erinnerungen vom Jungen aus Berlin, der während des Krieges nach Schwenningen zog, im Buch »Berliner-Zigiener« aufgeschrieben. Unter www.bo.de/fundstuecke lassen sich die bisherigen Erinnerungen der Ortenauer an den Krieg nachlesen.

Der schwäbische Tonfall ist bei Jörg Weisbrod deutlich zu vernehmen. Daraus macht er keinen Hehl, betont aber, dass er 1937 in Berlin geboren wurde und bis zu seinem sechsten Geburtstag seine Kindheit dort verbrachte. Ein Erlass der Reichsregierung im Frühjahr 1943 forderte die Zivilbevölkerung auf, sich in – durch Bombenangriffe – weniger gefährdete Gebiete zu begeben. Zusammen mit seinen beiden jüngeren Brüdern und der Mutter sowie einem 16-jährigen Pflichtjahrmädchen, welches der Familie zur Seite gestellt wurde, da der Vater im Krieg war, ging’s nach Schwenningen, der Heimat des Vaters.

Die Umstellung von der Großstadt ins beschauliche Schwenningen war groß. »Meine Berliner Schnauze war Anlass dafür, dass ich fast jeden Tag von Schülern Schläge bekam.« Noch heute erinnert er sich an die Rufe Schwenninger Kinder: »Berliner-Zigiener«. Schwierigkeiten hatte der kleine Jörg Weisbrod in den ersten Monaten in Schwenningen auch mit dem Dialekt. »Gsälz«, »Schießhus«- es gab viele Dinge, die der kleine Berliner nicht wusste, aber schnell erlernen musste, sonst gab’s Hiebe.

Ungeliebte Großdeutsche

»In Schwenningen musste die Familie um jede Notwendigkeit betteln. »Auf den meisten Ämtern wurde meine Mutti und selbst wir Kinder als ungeliebte Großdeutsche wie Aussätzige behandelt.« Die Mutter war eine Kämpfernatur, gab unfreundlichen Einwänden von Beamten die passenden Antworten. »Aber manchmal sah ich sie auch daheim auf dem Bett sitzen und weinen.«

Wenn der Mutter alles über den Kopf zu wachsen drohte, nahm sie die Kinder und ging mit ihnen in das Gasthaus »Krone«. »Hier gab’s für uns süße Brause, und wenn Mutti noch Essensmarken übrig hatte, eine Portion Hackbraten.«

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An die Luftangriffe vom 2. Januar und dem 9. Februar 1945 auf Schwenningen erinnert sich Jörg Weisbrod noch genau. Das Brummen der Bomber hört er noch heute, ebenso wie das schrille Heulen der Bomben in der Luft, gefolgt von den dröhnenden Explosionen, welche alle Gebäude im weiten Umkreis erzittern ließen.

Der Grund für die Fliegerangriffe auf das beschauliche Schwenningen waren die Uhrenfabriken Mauthe und Kienzle. Zu Beginn des Krieges nahmen diese neue Produkte in ihr Fertigungsprogramm auf: Aufschlags- und Zeitzünder für Bomben und Granaten. Von 1933 bis zum Kriegsbeginn 1939 stieg die Anzahl der Beschäftigten in Schwenningen von 6000 auf 16000. Damit geriet Schwenningen im Laufe des Krieges in das Visier der alliierten Bombenangriffe – vor allem das Bahngelände mit Gleisen und Gebäuden zur Güterabfertigung und damit den Transport von kriegswichtigen Gütern zum Ziel hatten. Bei den Bombenangriffen im Januar und Februar 1945 wurden aber auch angrenzende Wohngebiete getroffen. 184 Menschen fielen den Bomben zum Opfer.

Glück für die Oma

Glück hatte Jörg Weisbrods Oma, die während des Kriegs in Dresden als Stabshelferin arbeitete und am 10. Februar 1945 Erholungsurlaub erhielt, den sie in Schwenningen verbrachte. »Den Urlaub meiner Oma hat ein Schutzengel beantragt. « Denn einen Tag nach ihrer Ankunft in Schwenningen begannen auf Dresden die schwersten Bombardierungen, die je eine deutsche Stadt erlitt.

Jörg Weisbrods Erinnerungen an seine frühen Jahre in Schwenningen geben eindrucksvoll Einblicke in das Alltägliche einer Zeit, die zu vergessen droht. Das Buch vom Jungen aus Berlin, der zu einem Schwaben wurde, ist mehr als die bloße Nabelschau eines Memoirenschreibers. Es sind Episoden, die zeigen, dass auch harte Zeiten einen Menschen zwangsläufig nicht hart machen müssen.

  • Jörg Weisbrod, »Berliner- Zigiener. Momentaufnahmen einer Kindheit«, 160 Seiten, gibt’s für 12,50 Euro in allen Geschäftsstellen der Mittelbadischen Presse sowie im örtlichen Buchhandel von Offenburg und Lahr.
Hintergrund

Die Wahrsagerin aus Altenheim als letzte Hoffnung

Hermann Löffler aus Hohberg hat viele Geschichten rund um den Krieg in der Region aufgeschrieben. Eine davon dreht sich um die Altenheimer Wahrsagerin, eine andere um das Winterhilfswerk.

Wenn man von Soldaten, die an der Front waren, längere Zeit keine Briefe oder Nachrichten bekam, galten diese als vermisst, was natürlich für die Frauen der Soldaten mit ihren Kindern oder auch für die Eltern sehr schlimm war. Ein Hoffnungsschimmer war dann in vielen Fällen die »Aldener Wohrsageri.«
Die Frauen oder die Eltern gingen zu Fuß oder mit dem Fahrrad über den Weg im Unterwässer nach Altenheim, um sich wahrsagen zu lassen und in der Hoffnung, von der Wahrsagerin etwas über die Vermissten zu erfahren, insbesondere, ob sie noch am Leben sind und wieder heimkommen.
Manchmal hat die Wahrsagerin auch mitgeteilt, dass sie in ihren Karten oder ihrem Glas nichts erkennen kann und deshalb auch nichts sagen kann. Die Leute gingen dann enttäuscht nach Hause.
Für ihre Wahrsagerei verlangte die Wahrsagerin eine Gebühr von vielleicht 5 RM. Bei meinem Freund Karl Bürkle, dessen Vater in Stalingrad vermisst war, sagte die Wahrsagerin zu der Mutter des Vermissten, dass der »Sepp« noch am Leben sei und nur noch über drei große Berge gehen müsste, dann wäre er wieder daheim. Einer dieser Berge bzw. den letzten dieser Berge hat man als den Schwarzwald gedeutet.
Josef Bürkle kam aber nie mehr nach Hause und ist wahrscheinlich bei Stalingrad umgekommen.

Für den Winter an der russischen Front waren unsere Soldaten nicht genügend ausgerüstet, weil man meinte, in Moskau noch vor dem Winter einmarschieren zu können.
Nachdem dann im Spätjahr 1941 der Winter in Russland in aller Härte, mit bis zu 40 Grad minus ausbrach, und insbesondere Ende 1942 die 6. Armee im Raum Stalingrad, auch aufgrund dieser Kälte, um das Überleben kämpfte, hat das von den Nazis 1933 gegründete Winterhilfswerk besondere Aktionen für die Unterstützung dieser Soldaten durchgeführt.
Es wurden Kleidersammlungen durchgeführt. Mädchen und Frauen schneiderten oder strickten abends in der so genannten Nähschule im Kindergarten und auch zu Hause, Handschuhe, Socken und sonstige warme Kleider, die dann gesammelt und an die Front verschickt wurden.
Wir Schulkinder mussten unter Anleitung der Lehrerin auf den Wiesen und an Bahndämmen Tee sammeln, z.B. Spitzewägili (Spitzwegerich) Katzenwedel (Ackerschachtelhalm/Zinnkraut)  Kamille, Pfefferminze und andere Teesorten.
Der Tee wurde auf dem Speicher der alten Schule bei der Kirche und auf dem Rathausspeicher getrocknet und danach weitergeleitet zu einer Sammelstelle nach Offenburg.

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