Mehr als nur Kondensstreifen?
Die Angst geht um vor einer globalen Verschwörung: Die Rede ist von »Chemtrails«, eine Kombination aus »Chemie« und »Contrails« (engl.: Kondensstreifen). Mithilfe von Flugzeugen werden Substanzen versprüht, um das Klima zu beeinflussen und die Bevölkerung zu dezimieren – so die Theorie. Auch in Südbaden gibt es Menschen, die fest daran glauben.
Wer über Chemtrails spricht, wird schnell als Spinner verunglimpft. »Mein Ruf hat gelitten«, sagt Dominik Storr, Sprecher der bundesweiten Initiative »Sauberer Himmel«. Hauptberuflich arbeitet Storr als Rechtsanwalt, nebenbei kämpft er gegen den »militärisch-industriellen Komplex«, wie er das Konglomerat aus Konzernen, Militärs, Geheimdiensten und Politikern nennt. Schon Eisenhower habe davor gewarnt, genau wie Kennedy – »und dann war er tot.«
Auch in Südbaden gibt es Menschen, die an Chemtrails glauben. Zum Beispiel Michael Pfeiffer, 67 Jahre alt, aktiv bei der Spirituellen-Partei »Die Violetten«. Der regionale Sprecher von »Sauberer Himmel« sagt, er habe rund 50 Mitstreiter. Dazu zählt auch das »Institut für Neurobiologie nach Dr. Klinghardt« in Glottertal. Ende Oktober organisierte es ein Seminar in Denzlingen, um vor Chemtrails zu warnen.
Auf Anfragen reagierte Klinghardt bis Redaktionsschluss nicht – er praktiziere gerade in den USA, sagt eine Mitarbeiterin. Pfeiffer zeigt sich hingegen offen für ein Gespräch. Er vermutet, dass »Eliten« das Wetter manipulieren, um die Bevölkerung zu dezimieren. »Wir haben Regenwasser untersucht und flächendeckend Rückstände von Aluminium, Barium und Strontium gefunden.« Dass dies in einem hoch industrialisierten Land auch andere Ursachen haben könnte, lässt er nicht gelten.Tatsächlich erforschen Wissenschaftler seit Längerem, wie man den Klimawandel künstlich verzögern könnte. Der Harvard-Professor David Keith spricht sich etwa dafür aus, bestimmte Partikel in der Stratosphäre freizusetzen, um Sonnenstrahlen zu reflektieren. Die Bundesregierung hat solchen Experimenten jedoch eine Absage erteilt. Sie seien zu riskant, da man die genauen Auswirkungen nicht einschätzen könne – und viel zu teuer.Apropos Geld: Wie ließe sich ein milliardenschweres Chemtrails-Projekt denn bezahlen? »Da müssen Sie bei den Tätern anfragen«, kontert Storr. Als Beispiel für Chemtrails führt er »Agent Orange« an, das berüchtigte Entlaubungsmittel, das die Amerikaner im Vietnamkrieg einsetzten. Oder Pestizide. »Die werden doch auch versprüht.«
Aber eine globale Verschwörung gegen die Menschheit? Storr zögert. Die Absichten seien nicht zwangsläufig schlecht, sagt er schließlich. »Wahrscheinlich ist die Ozonschicht durch Atombombentests so sehr beschädigt, dass man sie mit solchen Mitteln retten will.« Genauso gut könne aber auch die Agrarlobby dahinterstecken. Die versprühten Substanzen sorgten dafür, dass nur noch gentechnisch veränderte Pflanzen wüchsen.
Beweise für diese Behauptungen kann die Initiative nicht vorlegen. Auch bei der Frage, wie ein solches Projekt vor Tausenden von Piloten geheimgehalten werden könne, müssen die Chemtrails-Gläubigen passen. Stattdessen bedienen sie sich all jener Methoden, die typisch für Verschwörungstheorien sind: Unabhängige Sachverhalte werden so lange kombiniert, bis sie einen Sinn ergeben. Alles, was der Theorie widerspricht, untermauert nur die Verschwörung – und an Widerspruch mangelt es wahrlich nicht.
Gegen die Theorie
»Wie jeder kraftstoffbetriebene Motor emittiert auch ein Flugzeugtriebwerk Abgase und Partikel«, erklärt Tilo Arnhold vom Leibniz-Institut für Troposphärenforschung auf Nachfrage der Mittelbadischen Presse. Der Zweck sei allerdings die Fortbewegung – und nicht etwa das Versprühen von Chemikalien. Auch das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt, der Deutsche Wetterdienst, das Umweltbundesamt und der Meteorologe Jörg Kachelmann stellen sich entschieden gegen die Chemtrails-Theorie. Greenpeace amüsiert sich gar über den »Himmel voller Verschwörer«.