Neuried - Altenheim
Dossier: 

»Wir sind Versuchskaninchen«

Christoph A. Fischer
Lesezeit 4 Minuten
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16. Dezember 2014
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(Bild 1/2) Ohrenbetäubender Lärm entstand, als Hunderte Tiefengeothermie-Gegner am Montagabend in Neuried-Altenheim Trillerpfeifen, Sirenen und Trecker-Hupen ein­setzten, um Landesumweltminister Franz Untersteller (Grüne) einen beeindruckenden Empfang zu bereiten. ©Ulrich Marx

Auch nach den Ausführungen des Landesumweltministers Franz Untersteller in Neuried zur umstrittenen Tiefengeothermie scheinen die Fronten verhärtet.

»Sie haben eben gesagt, ich hätte die Tiefengeothermie als so wunderbar sicher dargestellt. Wenn Sie es so verstanden haben, dann habe ich einen Fehler gemacht.« Spätestens als Ralph Watzel am Montagabend um kurz vor 21 Uhr einem Fragesteller diese Antwort gab, war klar: Politiker und Experten – zu Letzteren gehört Watzel als Leiter des Landesamts für Geologie und Bergbau – müssen noch sehr dicke Bretter bohren, um die Tiefengeothermie-Gegner in Neuried, Kehl und Umgebung zu Befürwortern zu machen. Und ihre Erfolgsaussichten sind gering.
Mehr als eine Stunde lang hatten Watzel, Landesumweltminister Franz Untersteller (Grüne) und Südbadens Regierungspräsidentin Bärbel Schäfer auf dem Podium in der Altenheimer Sporthalle die Fragen von Bürgern beantwortet. Zuvor hatte Untersteller eine 30-minütige Grundsatzrede zur Energiepolitik, vor allem zur umstrittenen Geothermie, gehalten. Watzel hatte eine Karte gezeigt, die die Verteilung seismischer Aktivität verdeutlichte. Die Ortenau liegt im am drittstärksten gefährdeten Gebiet (bei vier Kategorien). Nun betonte Amtsleiter Watzel: »Es gibt ein Restrisiko. Und es ist die Aufgabe der Behörden, dieses Risiko mit Sicherheitspuffern so klein wie möglich zu halten.«

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Auch Bärbel Schäfer hob vor 500 Bürgern hervor, dass ihre Behörde die verschiedenen Genehmigungen, die für Tiefengeothermiebohrungen nötig sind, nur »Schritt für Schritt« erteile. Dazu müssten Risiken stets mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen sein. »Ich verspreche Ihnen: Wir werden immer nur den nächsten Schritt tun, wenn wir uns sicher sind, dass Sie keinen Schäden und Risiken ausgesetzt sind – und wir werden Sie über diese Schritte informieren.«
Watzel gab zu: »Es ist richtig, dass bei der Zulassung der vier Probebohrungen die Kommunen nicht beteiligt wurden. Beim noch ausstehenden und zwingend nötigen wasserrechtlichen Verfahren findet aber Bürgerbeteiligung durch die Beteiligung der Kommunen statt.«
Unterstellers Rede wiederum war ein Plädoyer für die 2011 eingeläutete Energiewende, für die Abkehr von der Atomkraft und die Stärkung der erneuerbaren Energien: »Diese Kehrtwende rechne ich der Bundeskanzlerin hoch an.« Immer mehr Kernkraftwerke würden abgeschaltet, und der CO2-Ausstoß müsse zurückgefahren werden. Beides sei nur mit stark vermehrter Nutzung der erneuerbaren Energien und mit erhöhter Energieeffizienz möglich.
Der Minister für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft erwähnte die Vielfalt der Bürgerinitiativen im Land. »Es gibt sie dort, wo die Netze ausgebaut werden und wo Windenergie ausgebaut wird, es gibt eine Initiative gegen eine große Photovoltaikanlage in Mutlangen – und bei mir zu Hause wird gegen eine Biogasanlage gekämpft, die mit Speiseresten gefüttert wird.« Sein Standpunkt sei aber dieser: »Wenn ich auf all die einfach höre, dann geht es zurück in die alte Welt, in die alte Energiewelt.« Das könne man nicht wollen. »Die Energiewende ist alternativlos.«
Untersteller äußerte sich auch zur Frage der Versicherung von Schäden. Es werde Gegenstand des Genehmigungsverfahrens sein, dass ein Unternehmen eine Versicherungssumme nachweisen muss: »Das könnten durchaus 40 bis 50 Millionen Euro sein.« Watzel sagte, man werde fordern, dass der Bohrbetreiber sich zumindest zur Erstattung von »Kleinschäden« verpflichtet. Für Großschäden soll es eine solche vereinfachende Regelung aber nicht geben, denn bei diesen falle die Darlegung in einem etwaigen Rechtsstreit leichter, so Watzel auf Nachfrage der Mittelbadischen Presse.

Befürchtungen bezüglich Gebäudeschäden durch Geothermie wie in Landau versuchte Untersteller zu zerstreuen. »Die Verantwortlichen des Geothermie-Kraftwerks Landau haben einige Fehler gleichzeitig gemacht.« Doch man habe aus diesem Fall gelernt, und diese Erfahrungen gingen in heutige Genehmigungen ein. Es gebe viele Beispiele für funktionierende Tiefengeothermie-Anlagen.
»Wenn es ein zweites Landau geben sollte, dann war’s das für die Geothermie!«, rief Untersteller den Zuhörern in seiner Ansprache zu. Empörtes Gelächter war die Antwort der Anwesenden. Sie wollen auf keinen Fall, dass Neuried zum »zweiten Landau« wird. »Doch wir sind halt Versuchskaninchen« – so drückte es ein Mitglied der Bürgerinitiative in der Fragerunde aus.
Ob der Bohrbetreiber Geysir Europe die bis 31. Dezember gültige Kaufoption für das Grundstück bei Altenheim ziehen wird, konnte Neurieds Bürgermeister Jochen Fischer auch nach einem Gespräch mit dem Geysir-Europe-Geschäftsführer Curd Bems am Montag im Neurieder Rathaus nicht beantworten.

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