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Deutschland, Europa und die Flüchtlinge

Markus Fix
Lesezeit 7 Minuten
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07. September 2017

Ein Bild, das inzwischen so sehr zum Alltag gehört, dass die Tragödie dahinter zu vergessen droht. Deutsche Marinesoldaten fahren mit ihrem Boot zu einem Schlauchboot mit Flüchtlingen auf dem Mittelmeer, um sie zu retten. Täglich versuchen Menschen per Boot Europa zu erreichen, nicht selten scheitern sie und ertrinken. ©dpa

Nach der Brexit-Entscheidung Großbritanniens sind Deutschland und Frankreich  die stärksten verbliebenen politischen Kräfte innerhalb der Europäischen Union. Nicht zuletzt aufgrund dieser Führungsrolle ist die EU-Politik auch für die Bundestagswahl von großer Bedeutung. Vor allem die Flüchtlingskrise ist ein Thema, bei dem die Wähler Antworten und klare Bekenntnisse von den Parteien erwarten. Von manchen bekommt man sie, andere bleiben eher vage.

Wenn es ein Thema gibt, dass in Deutschland in den vergangenen Monaten für eine Politisierung der Bevölkerung gesorgt hat, dann ist es die Flüchtlingskrise. Unzählige Schutz- und Ihr-Glück-Suchende kamen und kommen an die Grenzen der EU, und die Frage, wie man mit ihnen verfahren soll, beschäftigt Politiker und das Wahlvolk gleichermaßen.

Dabei ist ja eigentlich alles klar, schließlich gibt es das Dublin-III-Abkommen, welches festlegt, dass Flüchtlinge in dem Land bleiben und dort Asyl beantragen müssen, in dem sie den Boden der EU zuerst betreten haben. Das Problem dabei ist, dass beim Beschluss dieses Abkommens anscheinend nicht damit gerechnet wurde, dass nicht nur Tausende oder Zehntausende kommen werden, sondern Hunderttausende von Menschen, die vor Krieg, Hunger und Perspektivlosigkeit flüchten und ihre Rettung, ihr Glück und ihre Zukunft in den EU-Staaten suchen.

Die Frage ist nun, wie darauf reagieren? Nationalistisch, wie es die AfD fordert, die nach dem Motto »Nicht mein Problem« nach Trump’scher Art ein »Deutschland zuerst«-Konzept ausruft? Eine goldene Mitte suchend, wie es bei der Union, der SPD und der FDP mit mal mehr, mal weniger Hang zum nationalen Egoismus der Fall ist? Oder menschlich und moralisch unangreifbar, wie es die Grünen und vor allem die Linke in ihren Wahlprogrammen propagieren? 
Das Problem für die Parteien ist ja, dass sie nicht nur ihren Standpunkt klarmachen wollen – sie wollen ja auch möglichst viele Wähler davon überzeugen, am 24. September ihr Kreuzchen bei ihrer Partei zu machen. Wie nationalistisch darf man also sein, wie sehr muss oder darf man das Wohl des eigenen Landes über das der EU stellen, um möglichst vie
le Wähler-Meinungen unter einen Hut zu bekommen? 
Die AfD hat, wie gesagt, die mit Abstand nationalistischsten, aber auch klarsten Vorstellungen, wie man mit der Flüchtlingskrise umgehen sollte. Die Grenzen sollen geschlossen werden. Im Wahlprogramm wird der Aufbau eines deutschen Grenzschutzes gefordert, um die Bedrohung durch den »internationalen islamischen Terror« mit »allen zur Verfügung stehenden

legalen Mitteln« zu bekämpfen. Mit solchen klaren und harten Aussagen, die viele in der Bevölkerung kursierende Vorurteile bestätigen, erreicht man Wähler, wie man bei den vergangenen Landtagswahlen sehen konnte. Andere EU-relevante Forderungen der AfD bleiben hingegen eher im Hintergrund. Das Kernanliegen der Partei, das in Zeiten Bernd Luckes noch der Austritt Deutschlands aus dem Euroraum und die Wiedereinführung der D-Mark war, findet sich zwar noch im Wahlprogramm, im Wahlkampf spielt es aber kaum noch eine Rolle.

Durch den Erfolg der AfD bei den Landtagswahlen gab es bei der ein oder anderen Partei ebenfalls einen Ruck in Richtung härtere Asylpolitik. Vor allem die CSU distanzierte sich von Kanzlerin Angela Merkel, die 2015 mit der Aufnahme Hunderttausender Flüchtlinge für viel Lob, aber eben auch viel Kritik sorgte. Eine von der CSU so lange geforderte Obergrenze für Flüchtlinge lehnt die CDU aber noch immer ab. Dennoch will man stärker gegen den Zuzug von Flüchtlingen vorgehen. Verträge mit afrikanischen Ländern nach dem Vorbild des EU-Türkei-Abkommens sollen dies verhindern, wobei die Vereinbarung mit der Türkei nach heutigem Stand nicht gerade als positives Beispiel für lösungsorientiertes Handeln gesehen werden kann. Zu sehr erinnert sie an die AfD-Devise »Nicht mein Problem«. 

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Ansonsten gibt sich die CDU wie immer selbstbewusst, was die internationale Rolle Deutschlands angeht: »Es ist Deutschlands Aufgabe, ein Stabilitätsanker in der Welt zu sein«, ist im Regierungsprogramm zu lesen.  Das klingt gut, sagt aber wenig aus. Des Weiteren sollen Deutschland und die EU als verlässliche Partner wahrgenommen werden, mit Großbritannien möchte man trotz Brexit weiterhin »intensive wirtschaftliche und politische Verbindungen pflegen« und »Frankreich sehen CDU und CSU als wichtigen Partner«. Alles wenig überraschend und kaum ausschlaggebend für Zunahme oder Rückgang der Zahl von Wählerstimmen.

Und die SPD? Was sie zur Flüchtlingsthematik sagt, kann man im Großen und Ganzen rechts in dem Kasten lesen. Das klingt alles erst mal durchdacht, vernünftig, ... aber eben auch etwas schwammig. »Wir brauchen sichere EU-Außengrenzen und mehr Hilfe für die Krisenregionen«, ist im Wahlprogramm zu lesen. Also doch Abschottung? Im Juli hatte SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz angesichts steigender Flüchtlingszahlen im Mittelmeer vor einer Wiederholung der Flüchtlingskrise des Jahres 2015 gewarnt. Er machte damals klar, dass er Deutschland im Falle einer solchen Wiederholung nicht in der Verantwortung stehe, bei Vorschlägen zur Verteilung der Migranten betonte er: »Jetzt sind die anderen EU-Mitgliedsstaaten dran.« Ein Statement, das dem sozial engagierten Wähler  einerseits wohl zeigen soll, wie viel Deutschland schon geleistet hat, und andererseits die Befürchtungen von sozialkritischen Wählern zerstreuen kann, die SPD könnte womöglich ähnliches vorhaben, wie Kanzlerin Merkel 2015, als sie die Grenzen öffnete. Man scheint es jedem irgendwie recht machen zu wollen, was selten funktioniert und schnell als »Herumgeeiere« wahrgenommen werden und eine abschreckende Wirkung auf den Wähler haben könnte. 

Auch die FDP bleibt bei dem Thema Flüchtlinge eher in Deckung. Man will berechtigte Asylsuchende aufnehmen, aber auch wieder nach Ende der Gefahr nach Hause schicken – also humanitärer Schutz gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention, keine weiteren Zu- oder Absagen. Man ist gegen eine Obergrenze und für eine fairere Verteilung in den EU-Ländern. Fluchtursachen sollen vor Ort bekämpft werden, Aufnahme-Verweigerer sollen in EU-Fonds einzahlen, das Stellen von Asylanträgen soll im Ausland ermöglicht werden. Das klingt alles weder richtig gut noch richtig schlecht. Wähler, die der FDP eher aufgrund von innenpolitischen Standpunkten und ihrer Pro-EU-Einstellung ihre Stimme geben wollen, werden also nicht verprellt, egal ob sie mehr nationalistisch oder mehr weltoffen eingestellt sind. Es werden allerdings auch keine Wähler, denen die Außenpolitik Deutschlands ein wichtiges Anliegen ist, hinzugewonnen. 

Die Linke bezieht hingegen klar Stellung. Sie verlangt in ihrem Wahlprogramm offene Grenzen, legale und sichere Fluchtwege nach Europa,  eine humane Asylpo-litik, die Aufhebung des EU-Türkei-Deals und ein faires und solidarisches System der Flüchtlingsaufnahme und Verantwortungsteilung. Das klingt für sozial engagierte Menschen alles gut, allerdings fällt beim Lesen dieser und weiterer Forderungen schnell auf, dass sie nicht durchsetzbar sind. Nicht, wenn weitere 27 EU-Länder all diesen Wünschen zustimmen müssen. Aber Kompromisse sieht die Linke nicht vor, genauso wenig wie bei ihren anderen EU-Themen, wie zum Beispiel der Demokratisierung der EU, der Absage an eine Aufrüstung und Militarisierung der EU und der Forderung für ein Europa der Menschen statt der Banken und Konzerne. Wie gesagt, klare Ansagen, aber – je nachdem, wie man dazu steht – sind sie leider oder zum Glück nicht umsetzbar.

Wer fehlt noch? Die Grünen. Auch sie sprechen sich klar für die EU aus, für gemeinsame Lösungen und gegen Alleingänge. Eine faire Verteilung von Geflüchteten, eine wirksame Seenotrettung und  sichere Fluchtwege nach Europa zählen zu ihren Forderungen. Die Integration von Geflüchteten  und Hilfe für die Kommunen sollen in Angriff genommen werden, Fluchtursachen sollen durch eine faire europäische Handelspolitik, mehr Entwicklungszusammenarbeit und eine aktive Friedenspolitik bekämpft werden.

Auch sind die Grünen wie bei der Flüchtlingspolitik auch in allen weiteren Belangen für eine globale Zusammenarbeit. Deutschland und Europa sollen mehr Verantwortung für die Gestaltung einer »friedlichen und kooperativen Weltordnung übernehmen, um die Welt sicherer zu machen«. Auch die Grünen sehen Deutschland also anscheinend wie die CDU als einen »Stabilitätsanker in der Welt« und halten nichts davon, den Kopf in den Sand zu stecken und außenpolitische Konflikte und Probleme so weit als möglich zu ignorieren. Für den sich als »Weltbürger« sehenden deutschen Bürger sind die Grünen in puncto Außenpolitik also auf jeden Fall wählbar. 
Welche Partei mit ihren Standpunkten zur EU- und speziell zur Flüchtlingspolitik vorne liegen wird, wird sich nach der Wahl kaum zuverlässig eruieren lassen. Zu vielfältig sind die übrigen Wahlthemen, zu unterschiedlich die Spitzenkandidaten, zu unberechenbar die Wähler. Wahlerfolg oder Wahlniederlage werden sich jedenfalls nicht nur an diesem – wenn auch sehr wichtigen – Thema  festmachen lassen. Das haben auch zuletzt die Wahlen in Frankreich und den Niederlanden gezeigt. 
 

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