Berlin

Die Jamaika-Parteien vor der Sondierung

dpa
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18. Oktober 2017
«In diese Sondierungsgespräche gehe ich sehr selbstbewusst mit meinen Freunden aus CDU und CSU», hat Merkel schon mal als Parole ausgegeben.

«In diese Sondierungsgespräche gehe ich sehr selbstbewusst mit meinen Freunden aus CDU und CSU», hat Merkel schon mal als Parole ausgegeben. ©dpa - Kay Nietfeld/Archiv

Es ist eine Premiere für Horst Seehofer - und für die Grünen-Spitze. Am Dienstagabend empfangen Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt den CSU-Chef in ihrer Berliner Parteizentrale, mehr als eineinhalb Stunden sitzen sie zusammen.

Hinterher zeigen die drei sich in aufgeräumter Stimmung: «Er hat's überlebt», witzeln die Grünen, er sei «Lebensoptimist, bis zum Beweis des Gegenteils», sagt Seehofer mit Blick auf die kommenden Gespräche über eine Koalition von Union, FDP und Grünen. Alle Jamaika-Partner haben ihre Ziele und Sorgen, aber die Gräben zwischen CSU und Grünen sind besonders tief. Inhaltlich - und überhaupt. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt zum Beispiel spricht noch am Dienstag von «linken Spinnereien». Solche Gehässigkeiten mögen in den eigenen Reihen gut ankommen, bei den Grünen befördern sie Trotz und Misstrauen. Um so wichtiger, dass Seehofer den «Good Cop» spielt und sich sozusagen in die Höhle des Löwen begibt. Eine freundliche Geste, die Türen öffnen kann.

Auch FDP und Grüne beäugen sich eher skeptisch. Und Schwarz-Gelb ist kein Selbstläufer mehr, seit es die FDP nach der letzten Koalition zerlegt hat. Doch jetzt müssen sie alle gemeinsam ran, denn die SPD setzt auf Opposition. Die Union lädt ein zu Gesprächen, FDP und dann die Grünen kommen. Zunächst getrennt, in kleinen Gruppen. Wenn sich die möglichen Jamaika-Partner am Mittwoch erstmals offiziell treffen, sind alle angespannt. Das ist die Ausgangslage:

UNION: Die Wahlschlappen im Bund und in Niedersachsen hin oder her: «In diese Sondierungsgespräche gehe ich sehr selbstbewusst mit meinen Freunden aus CDU und CSU», hat Kanzlerin Angela Merkel schon mal als Parole ausgegeben. Zwar rumort es in Teilen der Union. Die CDU-Chefin gibt sich aber demonstrativ entschlossen, nach langen drei Wochen Stillhalten eine schwarz-gelb-grüne Dynamik in Gang zu setzen. Das dürfte nebenbei auch Kritiker in den eigenen Reihen disziplinieren.

Tatsächlich musste sich ausgerechnet die Union als stärkste Kraft erstmal intern sortieren, um überhaupt verhandlungsfähig zu sein. Mit CSU-Chef Seehofer raufte sich Merkel deswegen vorab zusammen, um den schier endlosen Streit über die Flüchtlingspolitik vom Tisch zu bekommen. Die Kanzlerin willigte mit einigen Bedingungen in einen Zielwert von maximal 200 000 Flüchtlingen pro Jahr ein, den Seehofer als «Obergrenze» verstehen kann, ohne dass die CSU-Forderung auch so heißt. Jetzt kommt die Kompromissformel in den grün-gelben Härtetest.

Dass alles nicht einfach wird, hat Merkel lieber gleich dazu gesagt und Sondierungen von mehreren Wochen in Aussicht gestellt. Vor allem die CSU, für die es ein weiter Weg zu den Grünen ist, tritt auf die Euphoriebremse. Dazu kommt, dass Seehofer intern angezählt wird. Er will Personaldebatten bis zum Parteitag Mitte November oder Mitte Dezember vertagen, dem er auch Jamaika-Ergebnisse vorlegen will.

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FDP: Seit der Bundestagswahl hat FDP-Chef Christian Lindner sich zurückgehalten, aber nun schlug er unmittelbar vor Beginn der Gespräche via «Frankfurter Allgemeiner Zeitung» nochmals ein paar Pflöcke ein. «Alles, nur kein CDU-Finanzminister», warf er Merkel vor die Füße. Das Finanzministerium dürfe nicht wieder der verlängerte Arm des Kanzleramtes sein. Ansonsten sei alles recht: ein grüner, CSU- oder FDP-Finanzminister. Ob er selbst zugreifen will, sagte er nicht. Die weiteren Forderungen brachte er auf den Nenner «fünf große E's»: Europa, Energie, Entlastung Einwanderung und Edukation (Bildung).

Die FDP-Truppe versucht, die Gespräche pragmatisch und konzentriert anzugehen. Dies werde kein Spaziergang, heißt es bei der FDP. Und der Erfolg sei offen. Eine atmosphärische Standortbestimmung sei gut. Aber man sei auch bereit, direkt die «Schmerzpunkte» anzugehen: Kooperationsverbot des Bundes mit den Ländern bei der Bildung, sichere Herkunftsländer Tunesien, Algerien, Marokko, oder die Abschaffung des Soli. Man wolle schnell sehen, was geht. Die Liberalen haben eine vierköpfige Kerngruppe für die Gespräche berufen: Lindner, Nicola Beer, Wolfgang Kubicki und Marco Buschmann. Die kann bei Bedarf aufgestockt werden, zum Beispiel am Mittwoch auf acht Unterhändler, und am Donnerstag auf sechs.

GRÜNE: Sie sind die kleinsten der drei Fraktionen, aber das passable Wahlergebnis von 8,9 Prozent gibt Selbstvertrauen. Aus Sicht vieler Grüner steht für die Ökopartei am meisten auf dem Spiel: Sie muss ihrer Basis und den Wählern den ersten Wechsel ins bürgerliche Lager auf Bundesebene schmackhaft machen. Gerade weil das so heikel wird, sind die Grünen besonders gut organisiert und vorbereitet. Ihr Sondierungsteam um Özdemir und Göring-Eckardt stand schon am Tag nach der Bundestagswahl.

Während der realpolitische Grünen-Flügel vor allem die Chancen betont, überwiegen bei den Partelinken die Vorbehalte - für viele ist Jamaika eine Art Tabubuch. Wandern Wähler in Scharen zur Linken oder zur SPD ab, weil sie ein schwarz-gelb-grünes Bündnis als Verrat empfinden? Einflussreiche Linksgrüne wie Anton Hofreiter, Jürgen Trittin und Claudia Roth sitzen mit am Tisch. Ihre Aufgabe wird es sein, Skeptiker zu überzeugen - wenn sie das wollen.

Fest steht: Die Grünen brauchen handfeste Erfolge, damit ein Parteitag überhaupt den Einstieg in offizielle Koalitionsverhandlungen erlaubt und die Mitglieder am Ende den Koalitionsvertrag absegnen. Und das nicht nur in der Klima- und Umweltpolitik, auch beim Sozialen. «Ich schlucke keine Kröten», hat Özdemir angekündigt. «Weil ich Vegetarier bin.»

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