Die Rechte: »Zur Kenntlichkeit demaskiert«
Die zurzeit vielfach zu beobachtende »Kultur der Menschenfeindlichkeit« ist nicht neu, schreibt Demokratieforscher Michael Lühmann in seinem Gastbeitrag für die Mittelbadische Presse. Neu sei aber, dass sie unverhohlen öffentlich zur Schau getragen werde.
Als Tatjana Festerling vor wenigen Monaten die Übergriffe von Freital lobte, war ihr der Applaus des Pegida-Publikums sicher. Kurz darauf erringt die in Teilen rechtsextrem argumentierende AfD in Sachsen-Anhalt knapp ein Viertel der Stimmen. Und als Heiko Maas in Zwickau von einem rechten Mob verfolgt wird, sorgt die Verkündung des Übergriffs beim AfD-Programmparteitag für Applaus. Sind dies Zeichen einer jüngst radikalisierten Gesellschaft?
So einfach ist es nicht. Denn der Nährboden, auf dem diese Radikalisierung gedeiht, ist so neu nicht. Schon seit Jahren warnen die Wissenschaftler vor dem, was man gemeinhin unter einem »Extremismus der Mitte« verhandelt, jener vielfach rassistisch argumentierenden Kultur der Menschenfeindlichkeit, die man bisher in den dunklen Ecken der Gesellschaft vermutete. Und die nun über Pegida und AfD öffentlich manifest wird und dabei die extreme mit der Neuen Rechten verbindet, die längst im angewachsenen, kulturelle Modernisierung und Liberalität ablehnenden, verbitterten Teil der gesellschaftlichen Mitte salonfähig geworden ist.
Antiliberales Gift
In diesem Milieu der kulturellen Modernisierungsverlierer wächst seit Jahren das Misstrauen, ja die Ablehnung dessen, was von diesen als »links-grün verseuchtes« Gutmenschentum verbrämt wird: Gleichstellung, Ehe für alle, Inklusion, Energiewende, Vielfalt oder nur das Bestehen auf universell gültigen Menschenrechten. Gewachsen ist diese Ablehnung dabei lange im Verborgenen, in spezifischen Milieus wie etwa dem radikalisierten Teil der evangelikalen Bewegung, die seit Jahren als Kräfte der Gegenreform subkutan ihr antiliberales Gift versprühen und dies geschickt mit Islamfeindschaft verwoben.
Dass also der AfD-Wähler allein über die Verschiebungen der Debatte entstand, die AfD-Positionen plötzlich fruchten, ist kaum anzunehmen. Eher, dass sich Partei, Bewegung und Wählerschaft allmählich zur Kenntlichkeit demaskiert haben.
Darin liegen indes Chance und Aufgabe zugleich. Eine Chance deshalb, weil die rechte Parole in aller Breite öffentlich geworden ist. Auch die Bundesrepublik demokratisierte – und erinnerte – sich erst, als in den 60er- und 70er-Jahren Debatten öffentlich ausgetragen wurden. Die Aufgabe, die sich hieraus ergibt, ist so einfach umrissen wie schwer umzusetzen: jene wieder mitzunehmen, die auf diesem Weg verloren gegangen sind, die sich familien- und gesellschafts-, auch identitätspolitisch nicht mehr aufgehoben fühlen in einem Land, dass seine innere Begründung gerade nicht durch eine homogene deutsche Kultur erhielt, wie die AfD es entwirft, sondern durch eine notwendige, lange Einübung demokratischer Spielregeln und eine gesellschaftlich breite Emanzipationsbewegung mit all ihren Liberalisierungen.
Andere Reaktion auf AfD nötig
Gefordert sind hier alle Bürger, so will es das Grundgesetz, so will es das Konzept der wehrhaften Demokratie. Aber auch Intellektuelle und Politiker werden die Bundesrepublik als Idee offensiv gegen ihre falschen Freunde jenseits neoliberaler und völkischer Maximen verteidigen müssen, indem sie endlich dem menschenfeindlichen Fatalismus der AfD eine positive Gegenerzählung entgegenstellen, statt weiter dem Wechselspiel von Ablehnung der AfD bei gleichzeitigen Positionsübernahmen zu folgen. Gelingt dies nicht, drohen Verhältnisse wie in Österreich, wo sich kulturelle Modernisierungsverlierer und offene Gesellschaft längst unversöhnlich gegenüberstehen – es wäre dies die Situation, von der rechte AfD-Ideologen gemeinsam mit den Vordenkern der Neuen Rechten seit 1990 träumen.