Flucht übers Mittelmeer darf kein Wahlkampfthema sein
Das Flüchtlingsproblem im Mittelmeer ist kein Wahlkampfthema. Auch wenn Martin Schulz das gerne hätte. Weder werden die aktuellen Zahlen von den Deutschen als Bedrohung wahrgenommen, noch sind sie eine. Von den 100 000, die bisher in Italien anlandeten, kommt nur ein Bruchteil zu uns. Der Versuch des SPD-Kanzlerkandidaten, die Situation gegen die Kanzlerin zu münzen, kann nur den Effekt haben, den Rechten ihr fast schon verloren geglaubtes Thema wiederzugeben. Das kann Schulz nicht gewollt haben. Denn real hat die SPD bezüglich der Mittelmeerflüchtlinge nicht nur in den letzten vier Jahren keine andere Politik betrieben als die Union, sie hat auch für die nächsten vier Jahre keine anderen Antworten.
Fluchtursachen bekämpfen, Libyen stabilisieren, Rückkehrprogramme auflegen, gegen Schlepper vorgehen, Schiffbrüchige aufnehmen und europaweit verteilen – all das ist absoluter Konsens. Und all das ist auch absolut richtig. Die, die im Meer schwimmen, müssen gerettet, und die, die sich künftig auf den Weg machen, irgendwie davon abgehalten werden. Nur: Mit all dem ist man über Jahre nicht weit gekommen. Weil Lösungen ungeheuer komplex sind, weil es überall hakt. Union und SPD sollten hier nicht unnütz ihre Energie gegeneinander vergeuden, wenn sie sich schon im Grundsatz einig sind. Schulz kennt als ehemaliger EU-Parlamentspräsident die Situation längst bestens. Sein Besuch gestern in Rom und Sizilien war Wahlkampf. Ebenso Angela Merkels eiliges Urlaubs-Telefonat mit Italiens Premier. Einen Tag vor Schulz’ Reise. Dass die deutsche Autoindustrie gerade an einem historischen Wendepunkt steht, war beiden hingegen in dieser Woche keine ähnlichen Aktivitäten wert.