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Lafontaine: »Politik gegen die Mehrheit«

Stefan Vetter
Lesezeit 4 Minuten
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10. August 2016

Oskar Lafontaine (Linke) bei einer Kundgebung des bundesweiten Stahl-Aktionstags der IG Metall. ©dpa

Die Zahl der Nichtwähler steigt seit Jahren, die der Parteimitglieder sinkt. Und populistische Strömungen finden rasant Zulauf. Jetzt scheint ein kritischer Punkt erreicht. In der neunteiligen Serie »Parteien in der Krise – Demokratie in Gefahr?« zeigt die Mittelbadische Presse Beispiele, beleuchtet Ursachen und sucht nach Antworten. 

Herr Lafontaine, was verstehen Sie unter einer Volkspartei?
Oskar Lafontaine:
Das ist eine Partei, die den mehrheitlichen Willen der Bevölkerung aufnimmt, und die eine hohe Zustimmung in der Wählerschaft hat. Früher waren das um die 40 Prozent.

Sind Union und SPD noch Volksparteien?
Lafontaine: Die Union hat noch gut 30 Prozent Zustimmung, macht aber Politik gegen die Bevölkerung. Bei der SPD muss man die Frage mit Nein beantworten. Sie macht keine Politik für die Mehrheit der Bevölkerung, Stichwort Agenda 2010. Und sie ist von 40 Prozent Zustimmung weit entfernt.

Haben Sie dazu nicht selbst beigetragen, indem Sie die Linkspartei groß gemacht haben?
Lafontaine:
Die Linkspartei ist das Ergebnis von Lohndrückerei, Rentenkürzung und Sozialabbau. Als SPD-Vorsitzender hatte ich darauf gedrängt, dass die SPD eine Partei der Arbeitnehmer und Rentner bleibt. Davon kann heute keine Rede mehr sein. Die SPD ist für die Verschlechterung der Lebensbedingungen viele Arbeitnehmer, Rentner und Arbeitsloser verantwortlich. Die Linke wurde von mir mitgegründet, um die SPD wieder zu einer Kurskorrektur zu zwingen und sie wieder zu einer Interessensvertreterin der Arbeitnehmer, Rentner und Arbeitslosen zu machen. Das ist bis heute nicht gelungen.

Die Linke reklamiert doch aber für sich genau das, was Sie bei den Sozialdemokraten vermissen. Trotzdem hat sie keinen Massenzulauf. Also hinkt Ihre Argumentation.
Lafontaine:
Keineswegs. In den Umfragen steht die Linke aktuell besser da als bei der letzten Bundestagswahl, obwohl die AfD seitdem stark zugelegt hat. Dass diese Partei aus Protest auch von Arbeitern und Arbeitslosen gewählt wird, hat damit zu tun, dass in den letzten Jahren Politik gegen die Arbeitnehmer gemacht wurde, egal wer in Berlin regierte, und dass die Linke diese Politik nicht stoppen konnte.

Also wird die Linke immer politischer Außenseiter bleiben?
Lafontaine:
Die Linke stellt als einzige Partei die Eigentums- und damit die Machtstrukturen in unserer Gesellschaft in Frage. Deshalb stößt sie auf viele Widerstände. Die Medien spiegeln die Machtstrukturen unserer Gesellschaft wieder und sind nicht das Sprachrohr der Arbeiter oder Rentner und erst recht nicht der Linken. In einem so strukturierten Umfeld stimmen viele Menschen leider gegen ihre eigenen Interessen.

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Entgegen der linken Beschlusslage plädieren Sie zum Beispiel für feste Kontingente, um den Zustrom der Asylsuchenden nach Europa zu begrenzen. Wie populistisch darf eine Partei sein?
Lafontaine:
Ich bin für europäische Kontingente nicht nur bei Asylsuchenden, sondern auch bei Kriegsflüchtlingen und Armutsmigranten, weil wir unsere Nachbarn nicht aus ihrer Verantwortung entlassen können. Das Eintreten für die Interessen der Bevölkerung ist kein Populismus. Es ist Hybris, wenn die etablierten Parteien ständig gegen die Mehrheit der Bevölkerung entscheiden.

Das sieht die AfD nicht anders.
Lafontaine:
Das sieht sie ganz anders. Im Gegensatz zur AfD werbe ich dafür, dass wir politisch Verfolgten Asyl gewähren, Kriegsflüchtlinge aufnehmen und Menschen in Not helfen. Ich sage aber dazu, dass alle reichen Industriestaaten diese Verpflichtung haben, insbesondere die, die Krieg führen, insbesondere die USA und Saudi Arabien.

Müssen wir uns damit abfinden, dass die Zeiten absoluter Mehrheiten für zwei Parteien oder gar nur eine zu Ende gehen?
Lafontaine:
Solange die etablierten Parteien Politik gegen die Mehrheit machen, ist das unvermeidlich.

Was bedeutet das künftig für die politische Stabilität im Land?
Lafontaine: Durch die neoliberale Politik ist die Stabilität im Land schwer beschädigt, weil die Gesellschaft auseinanderfällt.

Müssten dann nicht alle Parteien kompromissbereiter werden, auch die Linke, um Regierungsbildungen überhaupt noch zu ermöglichen?
Lafontaine: Zuallererst müssen die etablierten Parteien wieder die Interessen der Bevölkerung vertreten. Kompromissbereitschaft ist eine Selbstverständlichkeit, aber man darf sich dabei nicht verbiegen. Wir wären sofort bereit, in eine Regierung einzutreten, die Lohndrückerei, Sozialabbau und die Zerstörung der gesetzlichen Rente rückgängig macht. Nur hat das leider keine andere Partei in ihrem Programm. Ich habe aber die Hoffnung nicht aufgegeben, dass es wieder zu einer Renaissance von Volksparteien kommt. Wir können nur von einer Demokratie sprechen, wenn sie die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung durchsetzen.

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