New York/Seoul/Peking

Sanktionen erhöhen Druck auf Kim

dpa
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12. September 2017
Das Titelblatt eines südkoreanischen Nachrichtenmagazins zeigt US-Präsident Trump und der nordkoreanische Machthaber Kim Jong Un unter der Überschrift "Korea-Krise".

Das Titelblatt eines südkoreanischen Nachrichtenmagazins zeigt US-Präsident Trump und der nordkoreanische Machthaber Kim Jong Un unter der Überschrift "Korea-Krise". ©dpa - Ahn Young-Joon

Wer sich im offiziellen Peking umhört, stößt schnell auf Hohn über Kim Jong Un, den «fetten Kim» oder «Pubertierenden».

Ähnlich abschätzig wird Donald Trump als launischer alter Mann beschrieben - unberechenbar eben. Die Präsidenten Nordkoreas und der USA sind zwei schwierige Typen, die sich einen «Krieg der Worte» liefern und in dem Atomkonflikt darauf setzen, dass jeweils der andere kneift. Seit dem Korea-Krieg vor mehr als 60 Jahren stand Ostasien nicht mehr so nah an einem bewaffneten Konflikt mit potenziell verheerenden Folgen.

«Die Atomkrise auf der Halbinsel scheint tief gefangen in einer endlosen Schleife, in der Atom- und Raketentests schärfere Sanktionen auslösen und weitere Sanktionen zu weiteren Tests einladen», warnte Chinas Staatsagentur Xinhua nach der Verhängung der neuen Sanktionen. Erstmals beschränkte der Weltsicherheitsrat sogar Öllieferungen an den isolierten kommunistischen Staat - mit Zustimmung der Vetomächte Russland und China, die damit Zeit für Diplomatie gewinnen wollen.

Peking ist verärgert über den jungen Machthaber in Pjöngjang. Mit dem Zeitpunkt seiner Atom- und Raketentests zielte Kim nicht nur auf den symbolischen Unabhängigkeitstag der Amerikaner oder deren Tag der Arbeit, sondern auch auf Diplomatie-Gipfel in China. Er vermasselte Staats- und Parteichef Xi Jinping deren sorgfältige Inszenierung. Vor Jahrzehnten waren sich beide Länder «so nah wie Lippen und Zähne» - heute sind die Beziehungen so schlecht wie nie.

Bei aller Empörung und Herablassung wird Kim in China durchaus als rationaler und kluger Kopf betrachtet. Er sei nur eben «viel risikobereiter» als sein Vater, heißt es. Eigentlich ein Widerspruch. Aber wer in Peking kennt den jungen Kim schon wirklich?

Auch wenn Peking nicht glauben will, dass Trump einen «präventiven Militärschlag» wagen würde, wächst die Sorge, dass es knallt. An der 1400 Kilometer langen Grenze zu Nordkorea zieht Chinas Militär Waffen und Raketensysteme zusammen. Die Volksbefreiungsarmee übt für einen plötzlichen Konflikt, ein schnelles Eingreifen. Auch Südkorea rüstet sich, stellt neue Raketensysteme auf, übt Angriffe auf Nordkoreas Atomtestgelände oder Raketenstellungen. Japan ist nicht minder besorgt, bereitet seine Bevölkerung auf Raketenangriffe vor.

Nordkoreas Propaganda läuft auf Hochtouren, wettert gegen das «blutrünstige Wesen der USA». Das grelle Bild der zu allem fähigen, grausamen Supermacht USA mag aktuell überzeichnet sein - es kommt in Nordkorea aber nicht von ungefähr. Es wurzelt tief in der Geschichte.

Im Korea-Krieg praktizierten die USA 1950 buchstäblich eine Politik der verbrannten Erde. Der Befehl lautete, alles zu bombardieren, was für den Feind von Nutzen sein könnte. 635 000 Tonnen Bomben warfen die Amerikaner «strategisch» auf Korea, vor allem auf den Norden.

Der Konflikt mit Nordkorea war immer auch eine Ableitung des sogenannten Kalten Krieges der USA mit der Sowjetunion. Als sich die Kim-Dynastie 1990 des sowjetischen Nuklearschildes nicht mehr sicher sein konnte, begann sie mit dem Aufbau eines eigenen Programms. Dass Amerika bis heute mit Kommunisten nach wie vor so überhaupt nichts anfangen kann, macht die Situation nicht einfacher.

Trotz viel guten Willens brachte auch Barack Obama als US-Präsident in Nordkorea nicht viel zuwege. Ausharren und Zusehen bekam erneut das Label «strategische Geduld». Seinem Nachfolger gab Obama auf, nichts werde ihn mehr prüfen als Nordkorea. Der «New Yorker» zitiert Trump so: «Ich werde daran gemessen werden, wie ich damit umgehe.»

Aber: Trump kam auch für ihn selbst so überraschend an die Macht, dass er für Ostasien und China keine kohärente Strategie besaß. Er hat bis heute keine. Im Januar 2017 - noch gar nicht im Amt - warf Trump in der ihm eigenen Art die «Notwendigkeit eines Präventivkrieges» an die Wand. Das war in Jahrzehnten ein neuer Ton. Neue Wege eröffnete er nicht.

Kommentatoren sind sich einig, dass Trump erst allmählich bewusst wurde, wie verwoben, komplex, aufgeladen, gefährlich und in Teilen irrational dieser Konflikt ist. China einen Deal vorschlagen und ansonsten herumzupoltern, brachte wenig. Im mittlerweile berühmten «Feuer-und-Zorn»-Zitat platzte Trump schließlich der Kragen. Geändert hat auch das freilich nichts.

Was können die USA tun? Die Optionen sind stets die gleichen, stets schlecht. Nur die Mixtur ändert sich, je nach Ansicht. Einig sind sich alle, dass ein Präventivschlag ebenso wie eine Serie begrenzter Angriffe zu gefährlich wären. Sofort drohte der Konflikt zu eskalieren, die Zahl der Toten ginge in die Hunderttausende. Darunter, und das ist aus Washingtoner Sicht nicht unwichtig, könnte eine sechsstellige Zahl Amerikaner sein, die in Südkorea oder Japan leben oder stationiert sind.

Bleiben Sanktionen, Druck, Aufrüstung und Abschreckung sowie der staubige, dornige Weg der Diplomatie. Da ist es kein Vorteil, dass Trump den einst so mächtigen diplomatischen Apparat seines Landes so heruntergefahren hat, regelrecht verdorren lässt.

Hört man den Chefunterhändler von Präsident Bill Clinton schildern, wie nahe man damals einer Verhandlungslösung war, ist das heute schwer zu glauben. Danach kam George W. Bush ins Amt, sortierte Nordkorea mit dem Iran in die «Achse des Bösen». Verhandlungserfolge rückten in weite Ferne.

Wie in China sind viele Experten in den USA überzeugt, dass Trump sein Gegenüber «falsch liest». Kim sei weder dumm noch wahnsinnig. Die jüngste Eskalation eines angeblichen Wasserstoffbombentests werteten sie als camoufliertes Verhandlungsangebot: Seht, wir Nordkoreaner sind eine Atommacht; also lasst uns anfangen zu verhandeln - und dann lasst uns in Ruhe. Aber wenn das so wäre - ob Trump das verstünde?

Und worüber könnte verhandelt werden? Seine Atomwaffen will Kim nicht mehr hergeben. Der Zug ist abgefahren. Er will nicht so enden wie Saddam Hussein im Irak und Muammar al-Ghaddafi in Libyen, die nicht mehr mit Massenvernichtungswaffen drohen konnten.

Er will mit den USA auf Augenhöhe reden. Die Bühne steht: Der jüngste Atomtest sei ein «sehr bedeutendes Ereignis» auf dem Weg gewesen, eine «vollständige Atommacht» zu werden, verkündet seine Propaganda.

Vielleicht bleibe Trump wirklich nichts anderes übrig, als eine Atommacht Nordkorea zu dulden, ist von Experten und Diplomaten immer häufiger zu hören. So wie mit Pakistan oder Indien. Und wie einst die Sowjetunion müsse ein atomar bewaffnetes Nordkorea durch Abschreckung in Schach gehalten werden. Wenn dann verhandelt werde, könne es um vertrauensbildende Maßnahmen oder Sicherheitsmechanismen gehen.

Für China scheint es längst das geringere Übel - eine Beseitigung der Atomwaffen auf der koreanischen Halbinsel wird nur noch als Wunsch und langfristiges Ziel formuliert. Es will in erster Linie einen Krieg verhindern. Sanktionen ja, aber sie sollen Diplomatie begleiten und kein Chaos anrichten.

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China befürchtet einen Kollaps mit Flüchtlingsströmen und unkalkulierbaren Folgen wie einer Wiedervereinigung beider Koreas unter dem Schutz der USA, die am Ende sogar noch Truppen an der chinesischen Grenze stationieren könnten.

Vor allem fürchtet es Instabilität. «Wenn wir Nordkorea mit einem Krebstumor vergleichen, weil es umliegenden Ländern immer Schmerzen und Ärger bereitet», sagt Yu Yingli, Expertin am Shanghai Institut für internationale Beziehungen. «Können wir dann das Risiko eingehen, dass dieser Tumor jetzt aufreißt und streut?»

Auch Südkorea steckt in einem Dilemma. Es fürchtet die «Politik am Rande des Abgrunds» durch sein Bruderland. Mit jedem Atom- oder Raketentest nähere sich das Land der Selbstzerstörung, warnt Seoul. Pjöngjang ziehe mit seinen Provokationen, die gegen UN-Resolutionen verstoßen, die Wut der Welt auf sich und reite sich daher immer tiefer in die Isolation.

Die Schlinge wird schließlich immer enger. Bisher jedoch hat Nordkorea der Last der Sanktionen widerstanden. Es überlebte den Niedergang seiner Industrie, selbst die großen Hungersnöte in den 90er Jahren. Es fand Schlupflöcher, die Sanktionen zu umgehen.

So gilt der Export seiner Raketentechnologie als eine wichtige Einnahmequelle. Zwar wächst die Unzufriedenheit, wie nordkoreanische Flüchtlinge in Südkorea berichten, aber die Kontrolle ist so umfassend, dass es keine Anzeichen einer Opposition gibt. 

Ideologisch steht Kim Jong Un in der Nachfolge seines Vaters Kim Jong Il. Auf dessen «Militär-zuerst»-Politik folgte die «Byongjin»-Linie, das Markenzeichen des jungen Führers. Sie sieht den Aufbau einer Atomstreitmacht und die parallele Belebung der maroden Wirtschaft vor. In der Hauptstadt Pjöngjang hat sich das Leben auch spürbar verbessert, doch auf dem Land herrscht weiter bittere Armut.

Zwar unterhält Nordkorea eine Truppe von mehr als eine Million Soldaten, aber deren Ausrüstung ist veraltet. Waffentechnisch ist das Land den USA und deren Verbündeten wie Südkorea und Japan unterlegen. Der Ausbau seines Atomwaffenarsenals erfolgt somit drei Ziele: die militärische Überlegenheit sichern, eine starke Verhandlungskarte in den Händen halten, die innere Einheit stärken. Es soll das Überleben der Kim-Dynastie garantieren. 

Aber besonders für Südkorea ist es gefährliches Spiel: «Das Risiko eines militärischen Konfliktes mit Nordkorea wächst von Tag zu Tag, das Risiko eines Krieges infolge von Fehlern oder unbeabsichtigter Eskalation ist inakzeptabel hoch», warnte Jon Wolfsthal vom US-Forschungsinstitut Carnegie Endowment for International Peace. 

Südkoreas sozialliberaler Präsident Moon Jae In gerät zunehmend unter Druck. Er suchte die Aussöhnung und betont stets, neben Abschreckung müsse auch immer der Dialog angestrebt werden. Jetzt wächst nicht nur die Kritik der Konservativen, sondern auch der Ruf nach einer erneuten Stationierung taktischer Atomwaffen der USA. Aber Moon will sein Ziel, eine atomwaffenfreie koreanische Halbinsel zu schaffen, nicht selber unterlaufen, indem er das Land atomar bewaffnet. 

Für Shinzo Abe in Japan kommt die Eskalation nicht ganz ungelegen. Die Krise lenkt von den innenpolitischen Problemen des Ministerpräsidenten ab. Seine «Abenomics» genannte Wirtschaftspolitik funktioniert nicht wie erhofft. Hinzu kommen Skandale, die das Vertrauen in ihn erschüttert haben. Mitten in dieser innenpolitisch düsteren Zeit hilft ihm der Atomkonflikt, zumindest rhetorisch Führungsstärke zu zeigen, was seine Umfragewerte wieder steigen lässt und seine Regierung stabilisiert.

Bei Sanktionen hat Japan aber seine Karten längst ausgespielt. Handel gibt es mit Nordkorea praktisch nicht mehr, auch keinen Tourismus. Bis heute unterhält Japan, das von 1910 bis zur Kriegsniederlage 1945 als Kolonialherr über Korea herrschte, auch keine diplomatischen Beziehungen zu Nordkorea.

Der frühere Ministerpräsident Junichiro Koizumi hatte zwar 2002 mit einem überraschenden Besuch in Pjöngjang versucht, dies in die Wege zu leiten. Doch die Frage der Entführung von Japanern durch Agenten Nordkoreas in den 70er und 80er Jahren steht dem genauso im Wege wie die Raketen- und Atomtests.

Die Nordkorea-Krise erleichtert es Abe auch, sein Streben nach Änderung der pazifistischen Verfassung mit dem Ziel eines größeren Freiraums für das eigene Militär zu begründen. Dabei macht es laut Kritikern verfassungsrechtlich gar keinen Unterschied, da Japan auch nach Interpretation der jetzigen pazifistischen Verfassung ohnehin das Recht hat, sich zu verteidigen.

Abe profiliert sich auch als treuer Bündnispartner der USA. Tokio fürchtet das Hegemonialstreben Chinas, das er zusammen mit der Schutzmacht USA eindämmen will.

Unter Abe ist der Verteidigungshaushalt auf Rekordmarken angehoben worden. In Regierungskreisen wird laut über die Möglichkeit nachgedacht, den Selbstverteidigungskräften die Fähigkeit zu einem Gegenangriff zu verschaffen. Die Hightech-Nation verfügt über genug Plutonium für mehr als 5000 Atombomben. So befürchtet China ohnehin schon länger, dass sich Japan selbst atomar bewaffnen will.

Noch einer zieht Vorteile aus der Krise: Wladimir Putin. Er glänzt mit lauten Tönen und diplomatischer Zurückhaltung. Dabei teilt Russland eine Grenze von gut 20 Kilometern mit Nordkorea und hat im UN-Sicherheitsrat ein entscheidendes Wörtchen mitzureden.

Aber die Eskalation bindet Kräfte in den USA - für Russland aus Sicht von Beobachtern eine willkommene Ablenkung. Während Trump mit innenpolitischen Querelen, den Folgen des Hurrikans und Nordkorea kämpft, kann Moskau weitgehend ungestört seine Politik in der Ukraine und in Syrien fortsetzen oder mit dem Militärmanöver «Sapad» an der Westgrenze die Nato herausfordern.

Russland, China und Kims «Feind Nr. 1» USA - sie würden alle zu Verlierern, wenn es am Ende doch zu einem militärischen Konflikt kommt. «Es ist deswegen ratsam, dass Washington ernsthaft erwägt, in seiner Politik von Isolation zu Kommunikation zu wechseln», forderte Chinas Staatsagentur nach der Verabschiedung der Sanktionen in New York.

Jetzt sei die Zeit für Verhandlungen gekommen. «Weil jeder zusätzliche Druck, den Nordkorea nicht aushalten kann, zu einer atomaren Katastrophe führen könnte.»

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