Istanbul/Berlin

Schröders geheime Türkei-Mission

dpa
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26. Oktober 2017
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Das exzellente Verhältnis zwischen Altkanzler Schröder und Erdogan scheint von allen aktuellen Verwerfungen in den deutsch-türkischen Beziehungen unberührt geblieben zu sein.

Das exzellente Verhältnis zwischen Altkanzler Schröder und Erdogan scheint von allen aktuellen Verwerfungen in den deutsch-türkischen Beziehungen unberührt geblieben zu sein. ©dpa - Swen Pförtner

Als Bundeskanzler Gerhard Schröder schon abgewählt, aber gerade noch im Amt war, besuchte er im Oktober 2005 noch einmal den damaligen türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan. Sie trafen sich in Istanbul zum gemeinsamen Fastenbrechen.

Eine Woche zuvor hatte die EU Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufgenommen, und Erdogan wusste genau, wem er die historische Entscheidung zu einem großen Teil zu verdanken hatte. Schröder habe selbst «in den kritischsten» Zeiten zur Türkei gestanden, sagte er damals. «Das werden wir nicht vergessen.» Schröder bezeichnete Erdogan kurz danach als einen «lieben Freund».

Das exzellente Verhältnis der beiden scheint von allen aktuellen Verwerfungen in den deutsch-türkischen Beziehungen unberührt geblieben zu sein. Es ist offensichtlich immer noch so gut, dass ein Wiedersehen der beiden in der Türkei im September den Durchbruch für die Freilassung des Menschenrechtlers Peter Steudtner aus der Haft in der Türkei gebracht haben soll.

Eingefädelt wurde die Vermittlung des Altkanzlers von Außenminister Sigmar Gabriel. Kein Wunder, dass der SPD-Politiker Gabriel als einziger Spitzenpolitiker im Wahlkampf nicht in das Schröder-Bashing wegen dessen geplanten Einstiegs beim russischen Energieriesen Rosneft eingestiegen ist.

Er verwies schon damals darauf, dass die hervorragenden Kontakte Schröders in Krisensituationen nützlich sein könnten. Als Beispiel nannte er seine Vermittlung bei einer Geiselnahme deutscher OSZE-Beobachter in der Ostukraine: «In der Situation, wo man ihn gebrauchen kann, um mit Putin mal über andere Probleme zu reden, da finden das alle super.»

Jetzt also die Türkei. Die geheime Mission Schröders soll auch mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) abgestimmt gewesen sein. Was der Altkanzler genau mit Erdogan besprochen, wie er ihn herumbekommen hat, blieb am Donnerstag zunächst im Dunkeln.

Gabriel äußerte sich nur kurz bei «Spiegel online»: «Ich bin Gerhard Schröder sehr dankbar für seine Vermittlung», sagte er. «Es ist ein erstes Zeichen der Entspannung, denn die türkische Regierung hat alle Zusagen eingehalten. Nun müssen wir weiter an der Freilassung der anderen Inhaftierten arbeiten.»

Gabriels Erleichterung wurde am Donnerstag im politischen Berlin parteiübergreifend geteilt. Eine fortdauernde Inhaftierung Steudtners wäre eine Garantie dafür gewesen, dass die Spannungen zwischen Berlin und Ankara noch weiter eskaliert wären. Beendet ist die bilaterale Krise, die zum Dauerzustand zu werden droht, mit der Freilassung des Deutschen aber nicht. Denn mindestens zehn weitere Bundesbürger sind noch aus politischen Gründen in der Türkei in Haft.

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Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu hatte kürzlich im «Spiegel» erklärt, wie er sich einen Normalisierungsprozess in den deutsch-türkischen Beziehungen vorstellt: als Geben und Nehmen. «Wenn ihr einen Schritt auf uns zugeht, gehen wir zwei auf euch zu.» Jetzt hat die Türkei den ersten Schritt gemacht. Aus ihrer Sicht wäre jetzt wohl Deutschland an der Reihe.

Es ist aber nicht zu erwarten, dass die Bundesregierung ihre im Juli eingeleitete neue Türkei-Politik relativiert. Wahrscheinlicher ist, dass sie den Druck aufrecht erhält, bis die anderen Gefangenen frei sind. Alles andere wäre innenpolitisch kaum zu vermitteln.

Vor allem im prominentesten Fall gibt es keinerlei Fortschritte. Gemeint ist der «Welt»-Korrespondent Deniz Yücel. In der Erleichterung über die Freilassung Steudtners droht unterzugehen, dass die türkische Regierung beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eine Fristverlängerung erwirkte, um eine Stellungnahme zu Yücels U-Haft abzugeben. Bislang liegt nicht einmal eine Anklageschrift gegen den deutsch-türkischen Journalisten vor, der seit mehr als acht Monaten hinter Gittern ist.

Yücels Fall dürfte am schwierigsten von allen zu lösen sein: Staatspräsident Erdogan hat ihn beschuldigt, ein «Agent» und «Terrorist» zu sein - Vorwürfe, hinter die Regierung und Justiz schwerlich zurückfallen können, auch wenn für die Anschuldigungen keinerlei Beweise vorgelegt wurden.

Cavusoglu orakelte in dem «Spiegel»-Interview kürzlich mit Blick auf Yücel: «Die Vorwürfe gegen ihn sind schwerwiegend und weitreichend. Mehr kann ich dazu im Moment nicht sagen.» Er verwies ansonsten wie üblich auf die Unabhängigkeit der türkischen Justiz.

Steudtner und sein schwedischer Kollege Ali Gharavi sind nun zwar frei, mit einem Freispruch ist das aber nicht zu verwechseln: Der Prozess gegen sie und neun türkische Menschenrechtler geht weiter, der nächste Termin für das Verfahren ist für den 22. November angesetzt.

Die Vorwürfe lauten auf «Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation» und auf Terrorunterstützung, worauf bis zu 15 Jahre Haft stehen. Steudtners Lebensgefährtin Magdalena Freudenschuss und Gharavis Ehefrau Laressa Dickey zeigten sich am Donnerstag zwar «tief erleichtert» über die Freilassungen. Sie kritisierten aber: «Die weitere Fortführung des Verfahrens ist für uns nicht nachvollziehbar.»

Zwar werden Steudtner und Gharavi mit Sicherheit weder für ein Urteil nach Istanbul zurückkehren noch eine eventuelle Haftstrafe in der Türkei antreten. Probleme könnte die türkische Regierung ihnen aber im Fall einer Verurteilung trotzdem bereiten: Wie im Fall Dogan Akhanli könnte sie die beiden Menschenrechtstrainer theoretisch per Red Notice über Interpol zur Fahndung ausschreiben lassen. Steudtner und Gharavi sind für ihre Arbeit viel im Ausland unterwegs - womöglich auch in Ländern, die Gesuchte an die Türkei ausliefern.

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