Staatsakt zu 75. Jahren Grundgesetz

Steinmeier fordert Selbstbehauptung – und sucht Bürger, die sich kümmern

Tobias Peter
Lesezeit 4 Minuten
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23. Mai 2024
Frank-Walter Steinmeier spricht beim Staatsakt in Berlin.

Frank-Walter Steinmeier spricht beim Staatsakt in Berlin. ©Foto: AFP/John Macdougall

Der Bundespräsident feiert das Grundgesetz. Aber in seiner Rede beim Staatsakt macht Frank-Walter Steinmeier klar, dass es die Menschen im Land sind, die es verteidigen müssen. Das Land stehe vor harten und rauen Zeiten.

Den Satz „ich schaue mir keine Nachrichten mehr an“, sagt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, höre er immer häufiger von Freunden und Bekannten. Inflation, Wirtschaftskrise, der Krieg im Nahen Osten – viele würden die Krisen am liebsten ausblenden. Das, so sagt es Steinmeier, sei menschlich verständlich. „Aber ein Rückzug von der Wirklichkeit ist keine Lösung“, fügt er sofort hinzu.

75 Jahre Grundgesetz sind Anlass genug für einen Staatsakt, bei dem der oberste Repräsentant des Landes eine längere Rede hält. Das Wetter ist sonnig im Berliner Regierungsviertel, wo die Veranstaltung unter freiem Himmel stattfindet. Es ist zugleich ein Klassentreffen der Demokratie. Da hilft etwa die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gemeinsam mit Vize-Kanzler Robert Habeck (Grüne) der Holocaust-Überlebende Margot Friedländer zu ihrem Platz.

Lob für das „Meisterwerk“

Der Geburtstag des Grundgesetzes ist ein Anlass, der dazu einlädt, dass die Demokratie sich selbst feiert. Das tut der Redner Steinmeier – zunächst jedenfalls. Von einem „Meisterwerk“ spricht er, das bestechend klar, nüchtern und doch elegant formuliert sei. 12 500 Worte in 146 Artikeln – mehr hätten die Mütter und Väter des Grundgesetzes nicht gebraucht, um das Fundament für die Demokratie nach dem Zweiten Weltkrieg zu legen. „Ich bin fest überzeugt: Diese Verfassung gehört zum Besten, was Deutschland hervorgebracht hat“, ruft Steinmeier aus.

Und doch gibt er seiner Rede einen Charakter, die weit über eine Lobrede hinausgeht. Konkret wirft er die Frage nach der Spannung zwischen Verfassung und Verfassungswirklichkeit auf. „Was bleibt von den großen Versprechen des Grundgesetzes? Wenn die Menschenwürde garantiert ist – und sich trotzdem viele Menschen feindlich und immer unversöhnlicher gegenüberstehen?“, fragt er. Und macht zugleich klar: Der kritische Blick müsse sich auf die Wirklichkeit richten, nicht auf die Verfassung.

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Der Bundespräsident hat eine durchaus unbequeme Botschaft mitgebracht. Er zeichnet ein Bild von einem Land, dem – nicht zuletzt durch die Herausforderung, mehr Geld in die eigene Verteidigung zu stecken – härtere Zeiten bevorstehen. In dem also die Verteilungskämpfe zunehmen würden. Diese Demokratie, so Steinmeier, müsse sich nun noch gegen diejenigen wehren, die sie verachteten und verunglimpfen. „Das Grundgesetz ist keine Bilanz, sondern ein Auftrag“, sagt er. Es sei kein Ziel, sondern ein Kompass.

Neue Version eines berühmten Satzes

Steinmeier geht es im Kern um zwei Punkte: Erstens appelliert er an das Miteinander in der Gesellschaft. Auch deshalb ist es ihm wichtig klarzustellen: Das Grundgesetz ist die Verfassung aller Deutschen – sein Geburtstag sollten nicht allein die Menschen im Westen feiern. 75 Jahre Grundgesetz, 35 Jahre friedliche Revolution: Beides falle in diesem Jahr zusammen. Er würdigt diejenigen, die 1989 aufgestanden seien und die Wiedervereinigung möglich gemacht hätten: „Wir verneigen uns vor ihrem Mut.“

Zweitens nimmt Steinmeier konkret den Einzelnen in den Blick. „Selbstbehauptung ist die Aufgabe unserer Zeit“, sagt er. Der Bundespräsident, der seit Jahrzehnten Teil des politischen Systems ist, nimmt dabei Politiker in die Pflicht, denen es nicht gut genug gelinge zu erklären, was genau sie warum täten. Er richtet sein Augenmerk aber vor allem auf die Menschen im Land.

„Was wir jetzt brauchen, sind Bürgerinnen und Bürger, die nicht sagen: Was kümmert mich das? Sondern die sagen: Ich kümmere mich“, sagt Steinmeier. Es ist seine Version des berühmten Satzes des früheren US-Präsidenten John F. Kennedy: „Frag nicht, was dein Land für dich tun kann – frage, was du für dein Land tun kannst.“

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