Ursula von der Leyen zur neuen EU-Kommissionspräsidentin gewählt
Die langjährige deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen ist am Dienstagabend zur neuen Präsidentin der EU-Kommission gewählt worden. In Straßburg erhielt sie die absolute Mehrheit der Parlamentsstimmen. Damit wird die 60-Jährige zur ersten Frau auf diesem Posten überhaupt.
Sie hat es geschafft - Ursula von der Leyen wird neue EU-Kommissionspräsidentin. Die absolute Mehrheit der 733 Abgeordneten des Straßburger EU-Parlaments stimmte für die langjährige deutsche Verteidigungsministerin. Von der Leyen erhielt 383 Stimmen, neun mehr als nötig. Vor der Wahl war unklar gewesen, ob auch die sozialdemokratische Fraktion im Parlament für von der Leyen stimmen wird. Kurz vor der Stimmabgabe um 18 Uhr wurde aber klar, dass sich die 60-Jährige dieser Unterstützung sicher sein konnte. Damit ist die Konservative die erste Frau auf dem Chefsessel des EU-Parlaments und der erste deutsche Staatsbürger seit Walter Hallstein, der den Posten von 1958 bis 1967 innehatte.
Von der Leyen bedankte sich in einer ersten Reaktion für das Vertrauen. "Ich fühle mich so geehrt", sagte die scheidende Bundesverteidigungsministerin. Sie bot dem Parlament eine enge Zusammenarbeit an. Vizekanzler Olaf Scholz und Außenminister Heiko Maas (beide SPD) gratulierten von der Leyen direkt nach der Verkündung des Ergebnisses - und das, obwohl die deutschen Sozialdemokraten im EU-Parlament gegen die CDU-Frau stimmen wollten.
Благодаря! Hvala! Děkuji! Tak! Bedankt! Thank you! Aitäh! Kiitos! Merci! Danke! Ευχαριστώ! Köszönöm! Go raibh maith agat! Grazie! Paldies! Ačiū! Grazzi! Dziękuję! Obrigada! Mulțumesc! Ďakujem! Hvala! ¡Gracias! Tack! pic.twitter.com/J4GEgY1UJY
— Ursula von der Leyen (@vonderleyen) July 16, 2019
Als Kommissionspräsident kann von der Leyen in den nächsten fünf Jahren politische Linien und Prioritäten mitbestimmen. Sie wird Chefin von mehr als 30.000 Mitarbeitern in der Kommission. Diese ist dafür zuständig, Gesetzesvorschläge zu machen und die Einhaltung von EU-Recht zu überwachen. Sie bestimmt damit auch den Alltag der gut 500 Millionen Europäer mit.
Unmut vor der Wahl
Vor der Abstimmung hatte es sehr viel Unmut gegeben, weil von der Leyen keine Spitzenkandidatin zur Europawahl war. Die EU-Staats- und Regierungschefs hatten die Spitzenkandidaten Manfred Weber von der Europäischen Volkspartei und Frans Timmermans von den Sozialdemokraten übergangen und stattdessen von der Leyen als Überraschungskandidatin präsentiert.
Um 9 Uhr am Dienstagmorgen hatte von der Leyen ihre Bewerbungsrede gehalten, wofür sie fraktionsübergreifenden Beifall erhielt. In dieser sagte sie unter anderem, dass sie das Prinzip der Spitzenkandidaten bei EU-Parlamentswahlen auch künftig beibehalten möchte. Außerdem wolle sie dafür arbeiten, dass das Parlament der Europäischen Union das Initiativrecht bei Gesetzesvorhaben erlangt. Dieser Punkt gilt mit als größtes Manko des EU-Parlaments, was seine Stärke und sein Gewicht anbelangt. In Richtung der Rechten im Parlament sagte von der Leyen, dass die Arbeit der Grenzschutzagentur Frontex verstärkt werden sollte. Außerdem sprach sie sich für eine verstärkte Grenzsicherung der EU-Außengrenzen aus.
Klimaneutrales Europa
Von der Leyen bekräftigte ihr Versprechen eines klimaneutralen Europas bis 2050 und einer Senkung der Treibhausgasemission bis um 55 Prozent bis 2030. "Unsere drängendste Aufgabe ist es, unseren Planeten gesund zu halten", sagte die designierte EU-Kommissionspräsidentin. Sie betonte, sie werde sich für vollständige Gleichberechtigung von Männern und Frauen einsetzen.
Große Internetkonzerne sollen nach ihrem Willen in Europa stärker besteuert werden. "Es ist nicht akzeptabel, dass sie Profite machen und keine Steuern zahlen", sagte sie. Die Einführung einer Digitalsteuer in Europa war unter der Kommission von Jean-Claude Juncker am Widerstand einiger Staaten gescheitert. Sie sagte zudem vollen Einsatz der Kommission für die Rechtsstaatlichkeit zu - mit allen Instrumenten und mit einem neuen Rechtsstaatsmechanismus.
Sie schloss auch eine weitere Verschiebung des Brexits nicht aus - was Protestrufe der Brexit-Partei im Parlament auslöste. Eine Verlängerung der Austrittsfrist für Großbritannien wäre möglich, wenn es gute Gründe gäbe, sagte sie. Die Frist läuft derzeit bis 31. Oktober.
Ministerposten soll schnell besetzt werden
Bereits am Montag hatte von der Leyen ihren Rücktritt vom Posten der deutschen Verteidigungsministerin - unabhängig vom Ausgang der Wahl am Dienstag - bekanntgegeben. Kanzlerin Angela Merkel muss nun eine neue Person für den Posten voschlagen. Zu dem Thema sagte sie am Dienstag: "Es wird eine sehr schnelle Neubesetzung geben. Das Bundesverteidigungsministerium, der Verteidigungsminister oder die Ministerin, sind Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt. Das kann man nicht lange offen lassen. Insofern wird es nicht lange dauern und Sie werden Bescheid wissen."
Zusammensetzung des EU-Parlaments
751 Sitze umfasst das EU-Parlament. Und so sind sie verteilt:
- Christdemokraten, Konservative: 182 Sitze
- Sozialdemokraten: 153 Sitze
- Liberale, Zentralisten: 108 Sitze
- Grüne, Regionalparteien: 74 Sitze
- Rechtspopulisten, Rechtsextreme: 73 Sitze
- Konservative, EU-Skeptiker: 62
- Linke, Kommunisten: 41 Sitze
- Fraktionslose: 54
- Vakant: 4 Sitze
Nico Semsrott (Die Partei) mit Kurzaktion
Der deutsche Abgeordnete Nico Semsrott hat am Dienstag die Debatte vor der Wahl der EU-Kommissionspräsidentin kurz unterbrochen und einen Antrag auf Überprüfung von Interessenskonflikten der Kandidatin Ursula von der Leyen gestellt. Der Kabarettist von der deutschen Gruppierung Die Partei zog sich bei seiner kurzen Aktion die schwarze Kapuzenjacke aus und entblößte ein mit Werbebotschaften zugeklebtes T-Shirt mit Aufschriften wie KPMG und PESCO.
Gemeint war das offenbar als Anspielung auf die Beschäftigung teurer Berater in von der Leyens Verteidigungsministerium und auf die europäische Zusammenarbeit in Verteidigungsfragen. Parlamentspräsident David Sassoli ging auf den Antrag nicht ein, und die Debatte wurde fortgesetzt. (dpa)