Rechtsradikalismus

Bewährungsstrafen für Angriff auf Roma

Rüdiger Bäßler
Lesezeit 4 Minuten
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23. September 2020
De Prozess in Ulm wird durch die Geständnisse der Angeklagten vereinfacht.

De Prozess in Ulm wird durch die Geständnisse der Angeklagten vereinfacht. ©Foto: dpa/Stefan Puchner

Im Mai 2019 werfen vier Männer eine Fackel auf einen Roma-Wohnwagen in Dellmensingen. Für eine Verurteilung wegen versuchten Mordes reichen dem Ulmer Landgericht die Beweise nicht. Der Verband der Sinti und Roma ist dennoch zufrieden.

Dellmensingen/Ulm - Mit Geständnissen hatte im Mai ein Prozess vor dem Landgericht Ulm wegen eines Fackelwurfs auf den Wohnwagen einer Roma-Familie in Erbach-Dellmensingen (Alb-Donau-Kreis) begonnen. Angeklagt waren vier Männer, die am 24. Mai 2019, dem Tattag, zwischen 17 und 20 Jahre alt waren. „Wir waren dumm und haben nicht an die Konsequenzen gedacht“, sagte einer der Angeklagten aus. Die Roma hätten verschwinden sollen, man habe ihnen „Angst machen“ wollen. Eine brennende Fackel, die sie aus einem Autofenster schleuderten, sei absichtlich neben den Wohnwagen geworfen worden.

Die wegen des vermuteten rechtsextremen Hintergrundes eingeschaltete Staatsanwaltschaft Stuttgart glaubte den Beteuerungen nicht, hatte Anklage wegen versuchten Mordes und versuchter schwerer Brandstiftung erhoben. Mehrere Monate verbrachten die Verdächtigen in Untersuchungshaft. Zum Prozessauftakt im Mai dieses Jahres stellte der Landesverband Deutscher Sinti und Roma den Fall in größere Zusammenhänge. In Dellmensingen, wurde gewarnt, sei der Antiziganismus in schlimmster Form neu erstanden. Hier sei der Rassenhass zum Angriff geworden. In dem Wohnwagen, der mit einigen anderen auf einem Privatgelände abgestellt war, schliefen zur Tatzeit eine Mutter und ihr neun Monate altes Baby.

Eine sorgfältige Beweisaufnahme

Das Ulmer Gericht nahm sich viel Zeit, setzte 20 Verhandlungstage an. Während der Beweisaufnahme erwiesen sich einige Vermutungen, die im Vorfeld angestellt worden waren, aber als unhaltbar. Für eine Wende im Prozess sorgte die Aussage eines Polizeigutachters. Selbst wenn die brennende Wachsfackel unter den Wohnwagen gerollt wäre, legte er dar, hätte diese ihn nicht in Flammen setzen können. Daraufhin verfügte das Gericht die sofortige Beendigung der Untersuchungshaft.

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Der Anwalt der Mutter aus dem Wohnwagen, Mehmet Daimagüler, verlas im Prozess eine Erklärung seiner Mandantin, wonach den Angreifern die Haft erspart werden solle. „Anders als die Angeklagten selbst hat sie die Fähigkeit zu Liebe, Nachsicht und Verzeihen“, sagte Daimagüler. Jetzt ist das Urteil gefallen. Es lautete auf gemeinschaftliche Nötigung. Die Strafen liegen zwischen zehn Monaten sowie einem Jahr und vier Monaten und wurden zur Bewährung ausgesetzt. Für eine Verurteilung wegen versuchten Mordes habe es nicht nur am Tatmittel gefehlt, sondern auch am nachweisbaren Vorsatz, begründete das Gericht seine Entscheidung.

Angeklagte bezeichneten sich als „patriotisch“

Davon abgesehen hätten die Männer ihren Angriff unzweifelhaft aus rassistischen, fremdenfeindlichen und antiziganistischen Motiven begangen, betonte der Richter: „Sie wollten ein Klima von Angst und Schrecken schaffen, um die Roma-Familie zu vertreiben.“ Einer der Angeklagten hatte sich in seiner Aussage zu Prozessbeginn als „rechtsoffen“ und „patriotisch“ bezeichnet. Während der Untersuchungshaft habe er diese Haltung jedoch abgelegt.

Obwohl der Prozess den Vorwurf des versuchten Mordes widerlegte, zeigte sich der Vorsitzende des baden-württembergischen Verbandes der Sinti und Roma, Daniel Straub, zufrieden. Im Prozess sei eindeutig „die antiziganistische Motivation für eine Vertreibung herausgearbeitet“ worden: „Mein Vertrauen in die Justiz ist gestärkt worden.“ Auch der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma sieht das Urteil „als deutliches Signal, dass der Rechtsstaat die Bedrohung des Antiziganismus ernst nimmt und jede Form von Hasskriminalität konsequent verfolgt“. Der Zentralratsvorsitzende Romani Rose erklärte nach dem Urteil zudem, Rechtsextremismus dürfe nicht verharmlost werden. Die Anschläge von Halle, Hanau und München sowie die Morde des NSU seien Beispiele, die die Gefahren durch rechten Terrorismus vor Augen führten.

Eine neue Beratungsstelle für Sinti und Roma

Dass es den Sinti und Roma auch zugewandte gesellschaftliche Kreise gibt, zeigte am Mittwoch die Eröffnung einer neuen Beratungsstelle für Sinti und Roma in den Räumen der Europäischen Donauakademie in Ulm. Dort wird unter anderem Beratung in Wohn- und Bleiberecht geleistet. Eine ähnliche Beratungsstelle existiert bereits in Mannheim.

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