Die Alpen stehen den Waldrappen zunehmend im Weg

(Bild 1/8) Es sieht so leicht aus auf diesem Foto, aber bis Andalusien ist es ein mühevoller Weg. ©Foto: /Antoine Joris
Es ist eine entbehrungsreiche Reise für Vögel wie Menschen – insgesamt sechs Wochen lang und rund 2300 Kilometer weit fliegen die 35 Waldrappe und das Team um Johannes Fritz mit ihren zwei Leichtflugzeugen über halb Europa hinweg, von Überlingen bis nach Vejer de la Frontera in Andalusien. Derzeit sind sie westlich von Valencia, drei Viertel der Route sind geschafft. „Bisher ist fast alles sehr gut verlaufen“, meldet Projektleiter Johannes Fritz aus Spanien.
Andalusien oder Toskana? Da würden die meisten Menschen vermutlich bei beidem mit der Zunge schnalzen. Für die Waldrappe, die in Europa fast ausgestorben waren und von denen es jetzt aufgrund des Artenschutzprogramms wieder 250 Tiere gibt, wird die Toskana dagegen immer weniger attraktiv. In den vergangenen Jahren war dort ihr Überwinterungsquartier. Doch wegen des Klimawandels bleibt der Herbst immer länger warm und die Vögel fliegen deshalb immer später los. Oft gelangen sie dann erst Ende Oktober in die Alpen – dann ist es dort aber schon so kalt oder es fehlt die Thermik, sodass sie den Hauptkamm nicht mehr überwinden können.
Standorte südlich der Alpen sollen das Problem lösen
Im vergangenen Jahr haben es von 55 Vögeln nur fünf aus eigener Kraft über die Alpen geschafft. Die Naturschützer konnten zwar alle Tiere einfangen und im Auto über die Alpen fahren – aber das werde nicht immer möglich sein, sagt Johannes Fritz. Was bedeutet: 50 Tiere wären vergangenes Jahr ohne menschliche Hilfe erfroren oder verhungert.
Deshalb suchen die Mitarbeiter der drei nördlich der Alpen gegründeten Kolonien in Überlingen sowie Burghausen und Kuchl in Österreich nach Alternativen. So bemüht man sich, die seit 20 Jahren bestehende sesshafte Kolonie in Rosegg in Kärnten daran zu gewöhnen, über den Winter ebenfalls in die Laguna di Orbetello in der südlichen Toskana zu ziehen. Da Rosegg südlich der Alpen liegt, gäbe es keine hemmende Gebirgsbarriere. Ein weiterer solcher Standort in Friaul sei in Planung.
Daneben wurde dieses Jahr nun erstmals eine Migration, also ein von Menschen begleiteter Vogelzug nach Andalusien, durchgeführt. In den zwei Leichtflugzeugen sitzen jeweils ein Pilot sowie eine der beiden Ziehmütter Barbara Steininger und Helena Wehner, an die sich die Waldrappe gewöhnt haben und denen sie überall hin folgen. Alle 35 Vögel stammen aus Überlingen.
Ein Problem habe sich aber dennoch aufgetan, erzählt Helena Wehner: „Anders als in vergangenen Jahren fliegen die Waldrappe meist in deutlichem Abstand zu den Fluggeräten.“ Zudem müssen die Flugzeuge aus technischen Gründen oft deutlich höher fliegen als die Vögel. So ging jetzt schon drei Mal der Kontakt zu einem Teil der Waldrappe verloren, einmal sogar zu 27 der 35 Tieren. Die Tiere sind aber intelligent und kehren meistens zu dem Ort zurück, an dem alle am Morgen gemeinsam gestartet waren. So konnten alle Tiere bis auf zwei wieder gefunden werden.
350 Waldrappe werden für eine stabile Population gebraucht
Das Waldrapp-Projekt existiert seit rund 20 Jahren und gilt als sehr erfolgreich. Es wird davon ausgegangen, dass 350 bis 400 Tiere benötigt werden, damit sich eine Waldrapp-Population auch ohne ständige menschliche Unterstützung halten kann. Man brauche also noch 100 bis 150 Tiere bis zu diesem Ziel, sagt Johannes Fritz: „Das werden wir erreichen.“ Mühevoll ist die Arbeit dennoch – so kommen immer wieder Tiere in Stromleitungen um, zuletzt in der Nähe der Kolonie Burghausen drei Jungvögel und ein Elterntier.
Bis 2028 ist das Projekt mit europäischen LIFE-Mitteln finanziert. Die Migration nach Andalusien, für die sich das Team dieses Jahr einigermaßen spontan entschieden hat, ist darüber aber nur zu einem geringen Teil abgesichert.