Ex-Oberst Kiesewetter bei „Markus Lanz“

„Emotional sind wir längst Kriegspartei“

Eberhard Wein
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27. April 2022
„Wirtschaftspolitik ging vor Sicherheitspolitik. Das war ein Fehler“, sagt der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter.

„Wirtschaftspolitik ging vor Sicherheitspolitik. Das war ein Fehler“, sagt der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter. ©Foto: Deutscher Bundestag//Stella von Saldern

Spät schickt die Bundesregierung jetzt doch „schwere Waffen“ an die Ukraine. Doch das Problem ist keineswegs nur die SPD, wie der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter bei „Markus Lanz“ einräumt.

Er kommuniziert nicht, er zaudert bei deutschen Waffenlieferungen und lädt Wladimir Putin damit indirekt ein, sein grausames Spiel weiter zu treiben. Auch bei „Markus Lanz“ am Dienstagabend ist Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hart kritisiert worden. Dennoch warf die ZDF-Sendung ein differenzierteres Bild auf die vertrackte Situation der deutschen Außen- und Russlandpolitik, bei der eben keineswegs nur die SPD in den vergangenen 20 Jahren das Problem war.

Diese Erkenntnis gelang, obwohl das Podium der Diskutanten eigentlich parteipolitisch einseitig besetzt war. Als einziger Politiker saß der CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter in der Runde. Der erklärte frank und frei, dass er schon 2008 mit dem russischen Einmarsch in Georgien den wahren Charakter des russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin, der zum damaligen Zeitpunkt gerade vorübergehend ins Amt des Ministerpräsidenten gewechselt war, erkannt habe.

Die alte deutsche Russland-Romantik

Der völkerrechtswidrige Angriff auf Georgien sei für ihn ein Schlüsselerlebnis gewesen. „Das hat mich politisiert“, bekannte der ehemalige Oberst. Doch nicht einmal in seiner eigenen Partei habe er damals und in den folgenden Jahren ausreichend Gehör gefunden. „Wir haben es nicht ernst genommen. Die Abteilung Wirtschaft hat sich gegen die Abteilung Sicherheitspolitik durchgesetzt.“

Die Fehleinschätzungen beruhten auf einer alten deutschen „Russland-Romantik“, die seit der Parteinahme von Generals Clausewitz im Jahr 1812 für die russische Seite im Kampf gegen Napoleon die deutsche Außenpolitik beeinflusse. Vor allem aber sei Wandel durch Handel die außenpolitische Doktrin gewesen. Das sei nicht grundsätzlich falsch gewesen, sagte Kiesewetter. Aber man hätte es dabei eben nicht belassen dürfen, sondern eine klare Sanktionspolitik betreiben müssen.

Polen zweifelt an deutscher Solidarität

Jetzt habe man in der Ukraine und in Osteuropa viel Vertrauen verspielt. In Polen werde die deutsche Haltung nicht verstanden, berichtete die Journalistin und Osteuropaexpertin Olivia Kortas. 80 Prozent der Polen hätten konkrete Angst vor einem russischen Angriff, 50 Prozent zweifelten daran, dass Deutschland in diesem Fall dem Land beistehen würde.

Durch die zögerliche Haltung bei den Waffenlieferungen wird dieses Vertrauen noch weiter geschwächt. Daran dürfte auch die Zusage der Lieferung von 50 ausrangierten Geparden vom Dienstag zunächst wenig ändern. Die Panzer werden nach Einschätzung von Kiesewetter erst zum Jahresende zur Verfügung stehen. Auch Munition für das auf den Panzern installierte Raketenabwehrsystem müsse erst noch beschafft werden. Was vorhanden ist, reiche gerade mal für 20 Minuten, bestätigte Kiesewetter entsprechende Informationen in den Medien.

Die Bundeswehr muss erst wieder verteidigungsfähig werden

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Wird Deutschland dennoch damit zur Kriegspartei? „Emotional sind wir es schon“, sagte Kiesewetter, „de jure und völkerrechtlich aber nicht.“ Und dies ist wohl der schmale Grat, auf dem sich auch Scholz bewegen muss. Sie glaube nicht, dass Scholz einfach nur die Nerven verloren habe, als er über die konkrete Gefahr eines Atomkriegs sprach, sagte Christine Dunz, Politikredakteurin vom Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Offenbar habe er konkrete Warnungen bekommen. Aus seinem Umfeld habe sie erfahren, dass ihn Putins Geopolitik ängstige.

Allerdings sei auch klar: „Putin beeindruckt nur absolute Stärke.“ Das sei aber auch das Problem, denn es gebe große Zweifel, ob die Bundeswehr überhaupt in der Lage sei, als Verteidigungsarmee zu kämpfen. Das sei auch bei den Forderungen nach Waffenlieferungen zu bedenken. Scholz müsse im Interesse der eigenen Verteidigungsfähigkeit „die Sachen beisammenhalten“, sagte Dunz. Dieses Problem sei auch das Ergebnis von 16 Jahren CDU-Verteidigungsministern.

Russische Raketen sind in drei Minuten in Berlin

Die Perspektive ist düster. Die Ukraine habe einen Verzicht auf einen Nato-Beitritt angeboten und ebenso den Verzicht auf die Krim in Aussicht gestellt. Doch Putin wolle nichts anderes als die Zerschlagung des Landes, sagte Kiesewetter. „Und wenn die Ukraine fällt, fällt als nächstes Moldau.“ Um dieses Ziel zu erreichen, so der Ex-Oberst, ziehe Putin selbst den Einsatz so genannter taktischer Atomwaffen ins Kalkül, die zwar nur ein Hundertstel der Sprengkraft der Hiroshima-Bombe erreichten, gleichwohl ganze Landstriche unbewohnbar machten. Und auch Deutschland sei nicht sicher. Fast unbemerkt vom Westen habe Putin seit 2014 in Kaliningrad ein ganzes Arsenal an Atomwaffen angelegt, sagte Kortas. „Diese Raketen sind in drei Minuten in Berlin.“

China wird nicht helfen

Beäugt wird die Entwicklung von einem „großen Zuschauer“, wie Markus Lanz formulierte. China könnte für eigene Ambitionen Schlüsse aus den Verhalten des Westens ziehen. Wie eine Zuschaltung des ZDF-China-Korrespondenten Ulf Röller zeigte, plagen das größte Land der Erde aber gerade andere Probleme. „Omikron überrollt China.“

Die von China selbst so gefeierte Null-Covid-Strategie „funktioniert nicht mehr“, sagte Röller. Aus ideologischen Gründen könne sie aber nicht beendet werden. 350 Millionen Menschen seien im Lockdown, der Mythos von der kommunistischen Partei, die alle Probleme löse, bröckele. Ob dies den Machthabern gefährlich werden könne, darauf wollte sich Röller nicht festlegen. Eines aber stellte er klar. China werde kein Brückenbauer in dem Konflikt sein. „Wenn es hart auf hart kommt, entscheidet sich China für seine ideologische Partnerschaft mit Russland.“

So bleibt wohl nur, weiter Waffen in die Ukraine zu pumpen. Doch dadurch würden weiterhin viele Menschen sterben, sagte Dunz. „Wir lassen ein Volk sich totkämpfen.“

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