„Reichsbürger“-Prozess in Stuttgart

Kugelhagel und Festnahme in Pantoffeln

Franz Feyder
Lesezeit 4 Minuten
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15. Mai 2024
Ein SEK-Beamter trägt am 22. März 2022 einen Schutzschild. Beim Schusswechsel mit dem mutmaßlichen Rechtsterroristen wurde ein solcher Schild vier Mal getroffen.

Ein SEK-Beamter trägt am 22. März 2022 einen Schutzschild. Beim Schusswechsel mit dem mutmaßlichen Rechtsterroristen wurde ein solcher Schild vier Mal getroffen. ©Foto: 7aktuell.de/Kevin Lermer

SEK-Videos im Verfahren gegen die mutmaßliche Terrorgruppe um Prinz Reuß zeigen, was am 22. März 2022 in Reutlingen geschah. Bei dem Einsatz wurde ein Polizist schwer verletzt. Der Täter feuerte hinter einem Fernsehsessel hervor.

Zum ersten Mal wird in der Dachgeschosswohnung in der Reutlinger Peter-Rosegger-Straße um 6.08 Uhr und 43 Sekunden geschossen. Wenige Sekunden später ruft Polizist Nummer 6: „Körpertreffer – ich bin getroffen!“ Der SEK-Mann hält dennoch seine Stellung. Als Erster seiner Gruppe im Türrahmen stehend, den 12 Kilo schweren, schusssicheren Schild weiter hochhaltend – sich und vor allem seine Kameraden hinter sich schützend.

Aus dem Wohnzimmer feuert der Täter mit einem AR-15-Schnellfeuergewehr, verschanzt hinter einem roten, drehbaren Fernsehsessel, über dessen Rückenlehne eine grüne, schusssichere Weste gezogen ist. Mit hellem „Pling“ schlagen Kugeln auf dem Polizeischild ein. Bis der Einsatzleiter „Zurück!“ befiehlt. Nummer 6 bleibt vorne, bis die Gruppe wieder im Treppenhaus angekommen ist. Dann sagt er ruhig: „Ich hab‘ nen Treffer im Arm, nicht anfassen.“ Sekunden später rückt die aufgehende Sonne vor die Kameralinse an seinem Helm.

Neun Männer sind angeklagt – unter ihnen Markus L.

Videos zeigen aus der Sicht der Elitepolizisten, was am frühen Morgen des 22. März 2022 in Reutlingen geschah. Für die Richterinnen und Richter des 3. Strafsenats ein wichtiges Beweismittel am vierten Verhandlungstag im Verfahren gegen die mutmaßliche Terrorgruppe um Prinz Reuß. Vor dem Oberlandesgericht sind neun Männer angeklagt, die der Generalbundesanwalt dem militärischen Arm der Gruppe zuordnet, die das politische System Deutschlands gewaltsam hätte stürzen wollen. Einer von ihnen: Markus L., der Mann mit dem Gewehr im Reutlinger Wohnzimmer. Seine Wohnung sollte das Kommando sichern, damit sie von Ermittlern des Bundeskriminalamtes durchsucht werden konnte.

Denen galt der heute 48-Jährige als „tatunverdächtig“. Sie waren auf ihn gestoßen, weil er am 9. Juli 2022 eine mit dem Tode bedrohte Verschwiegenheitserklärung unterschrieben haben soll. Mit ihr soll die Gruppe versucht haben, sich nach außen abzuschotten. Unterschrieben habe der mehrfach ausgezeichnete Sportschütze mit seinem Namen und einem hinzugefügten „OG“, Abkürzung für Obergefreiter, seinem Dienstgrad als Wehrdienstleistender in der deutsch-französischen Brigade.

Auf der Suche nach Material

Die am 15. März 2022 durch eine Richterin des Bundesgerichtshofs angeordnete Durchsuchung sollte, nach der ersten Razzia gegen die Gruppe am 7. Dezember 2022, weiteres Material zu Tage fördern, wie sich die Gruppe Reuß strukturierte, wie sie kommunizierte und sich finanzierte. Auch, ob fremde Staaten Einfluss auf die Truppe nahmen: Mehrfach, so die Anklage, nahmen Reuß und Mitangeklagte Kontakt zu russischen Diplomaten auf.

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Die Durchsuchung bei seinem Mandanten, sagt L.s Tübinger Verteidiger Holger Böltz, „war rechtswidrig“. Denn die Durchsuchung, schrieb die Richterin ausdrücklich in den Beschluss, könne dadurch abgewendet werden, dass L. die gesuchten Sachen „freiwillig und vollständig herausgibt“. Durch das Vorgehen des SEK, das die Wohnungstür von L. aufsprengte, habe sein Mandant das Gesuchte gar nicht freiwillig herausgeben können. Im Gegenteil: Durch die Polizisten und ihr Vorgehen sei ein hohes Maß an Aggression in die Lage getragen worden.

Über das Betreten der Wohnung könne man reden, sagt Bundesanwalt Michael Klemm. Das sei Sache der Polizei. Aber L. habe wie von den Polizisten gefordert mit erhobenen Händen herauskommen können und die Durchsuchung abwenden können.

Festgenommen wurde L. schließlich ausgerüstet mit einer schusssicheren Weste und in Pantoffeln. Der Beamte Nummer 6 wurde schwer verletzt: Ein von L. abgefeuertes Geschoss zertrümmerte den rechten Ellbogen. Fraglich ist, ob er Polizist bleiben kann.

Anklage: L. sollte Andersdenkende und Polizisten exekutieren

Markus L. sei – so die Anklageschrift des Generalbundesanwaltes – für die im Raum Freudenstadt und Tübingen zuständige Heimatschutzkompanie 221 vorgesehen gewesen. Zum Auftrag dieser Einheiten habe auch gehört, Politiker „bis zur lokalen Ebene“, Andersdenkende und Polizisten zu inhaftieren und auch zu exekutieren.

Den Begriff Heimatschutzkompanie hat die mutmaßliche Terrorgruppe um Prinz Reuß gekapert – und in Verruf gebracht: Die Bundeswehr hält regional 31, nur im Bedarfsfall zu aktivierende Einheiten unter diesem Namen vor. Sie werden nach ihrer Alarmierung mit Reservisten besetzt, die zum einen bei schweren Naturkatastrophen oder Unglücksfällen helfen und zum anderen im Verteidigungsfall militärische Einrichtungen oder kritische Infrastruktur sichern sollen. Die etwa 100 Mann starken Kompanien sind in die Kommandostruktur der Bundeswehr eingeordnet.

In Baden-Württemberg gibt es drei solcher Einheiten. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) kündigte im April an, die Heimatschutzkompanien der Bundeswehr künftig direkt dem Heer zu unterstellen. Insgesamt sind 3992 Soldatinnen und Soldaten für diese Reserveeinheiten vorgesehen.

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