Pestizide im Weinbau

Naturschützer kämpft gegen Naturschutz

Harald Beck und Holger Gayer
Lesezeit 4 Minuten
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04. Februar 2023
Helfer arbeiten in den Weinbergen in der Nähe von Bad Cannstatt .

Helfer arbeiten in den Weinbergen in der Nähe von Bad Cannstatt . ©Foto: Lichtgut/Christoph Schmidt

Einer der prominentesten Naturschützer des Landes wendet sich gegen die EU, die alle Pflanzenschutzmittel in empfindlichen Gebieten verbieten will. Die Winzer freuen sich.

Die Winzer in der Region Stuttgart und im gesamten Südwesten erhalten prominente Unterstützung beim Kampf gegen EU-Pläne, die darauf abzielen, jeglichen Pflanzenschutz in Landschaftsschutzgebieten zu verbieten – und damit aus ihrer Sicht die Existenz des Weinbaus in Württemberg und Baden bedrohen. Pflanzenschutz grundsätzlich verbieten zu wollen, „zeugt von totaler Unkenntnis von Bürokraten, die offensichtlich noch nie in einem steilen Weinberg gestanden oder in einer Obstwiese gearbeitet haben“, sagte der Präsident der Umweltstiftung Naturelife-International (NLI), Claus-Peter Hutter, mit Sitz in Ludwigsburg wenige Tage vor einer Sitzung in Brüssel, in der über den umstrittenen Entwurf gesprochen werden soll, unserer Zeitung. Jegliche Form von Landwirtschaft brauche Pflanzenschutz– auch die biologisch arbeitenden Betriebe. Darauf verzichten zu sollen, sei, „als ob man Ärzten sagt, sie sollen künftig Kranke gänzlich ohne Medikamente heilen“, betonte Hutter.

Hintergrund der Kritik ist die im Juni 2022 in Brüssel als Entwurf vorgelegte „Sustainable Use Regulation“. Ziel des Entwurfes ist es, den Einsatz von Pestiziden deutlich zu verringern. Der Verordnungsvorschlag sieht unter anderem ein komplettes Anwendungsverbot von Pflanzenschutzmitteln in sogenannten empfindlichen Gebieten vor, zu denen nicht nur öffentliche Parks, Gärten und menschliche Siedlungen zählen, sondern auch sämtliche Natur- und Landschaftsschutzgebiete.

„Die EU leidet unter einer Verstädterung der Hirne“

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Dagegen wehren sich vor allem die Wengerter vehement. In einem viel beachteten Doppelinterview mit unserer Zeitung prophezeiten die Spitzenwinzer Fritz Keller und Gert Aldinger gar das Ende des traditionellen Weinbaus in Baden und Württemberg, falls die geplante EU-Verordnung im Jahr 2030 in Kraft treten sollte. „Die EU leidet an einer Verstädterung der Hirne und entfernt sich von der Heimat, in der wir leben“, sagte der Südbadener Keller. Sein Fellbacher Kollege Aldinger betonte: „Ohne Pflanzenschutz wird es bei uns keinerlei traditionellen Weinbau mehr geben.“ Vor allem in den Steillagen werde die Kulturlandschaft versteppen. Der Staat werde „Leute einstellen müssen, die diese Steppe pflegen, weil die Hänge sonst abrutschen“. Dann würde „aus einem Wirtschaftszweig, der mit dem Schutz der Landschaft auch noch zahlreiche Familien ernährt, ein Zuschussbetrieb für die öffentliche Hand“.

Diese Einschätzung teilt auch Naturelife-Präsident Hutter. Die heimische Kulturlandschaft sei längst „ein hochgradig kranker Patient, der an Wohlstandsverwahrlosung leidet, weil viele Menschen zwar Natur genießen, aber nicht mehr in dieser mit der Hand am Arm arbeiten wollten“, sagte der Umweltschützer aus Ludwigsburg. Er fordert daher eine Reformation des Naturschutzrechts und einen Schutz der Kulturlandschaft, die durch die Arbeit von Bauern in den vergangenen Jahrhunderten geschaffen worden sei. Es brauche Menschen, die noch bereit seien, draußen mit allen Risiken der Witterung zu arbeiten. „Sonst ist die für den Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg so wichtige grüne Infrastruktur binnen kurzem dahin“, sagte Hutter.

Hutter sieht eine Ohnmacht der Behörden

Im starren Festhalten und Auslegen des heutigen Naturschutzrechtes sieht er auch eine Ohnmacht der Behörden: „Denen sind die Hände gebunden und gesunder Menschenverstand hat durch die Vorschriften keine Chance mehr.“ Dieses Problem zeige sich auch im „Eidechsenwahnsinn, bei dem Reptilien mit einem längst nicht mehr akzeptablen hohem Aufwand an Steuergeldern in Habitate zwangsumgesiedelt werden, wo es ohnehin schon Eidechsen gibt“.

Die Auswirkungen des EU-Vorschlags

Fläche
Nach Schätzungen des Deutschen Weinbauverbands (DWV) wären bundesweit mehr als 30 Prozent der insgesamt etwa 102 000 Hektar Rebfläche von dem Pflanzenschutzverbot betroffen – und zwar unabhängig davon, ob die Betriebe konventionell arbeiten oder biologisch. Auch Backpulver und Kräutertees, die im biologischen Weinbau eingesetzt werden, dürften dann nicht mehr gespritzt werden.

Rangliste
Baden und Württemberg belegen mit etwa 16 000 beziehungsweise 11 500 Hektar Rebfläche die Plätze drei und vier in der Rangliste der 13 Weinanbaugebiete in Deutschland.

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