Lange war das große Hummelnsterben ein Rätsel

Tod unter Silberlinden

Thomas Faltin
Lesezeit 6 Minuten
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03. Juli 2020
Im Hochsommer geht den Hummeln die Nahrung aus; Sonnenblumen könnten Abhilfe schaffen.

Im Hochsommer geht den Hummeln die Nahrung aus; Sonnenblumen könnten Abhilfe schaffen. ©Foto: dpa/Boris Roessler

Jetzt im Juli entdecken aufmerksame Spaziergänger manchmal viele tote Hummeln am Boden, und zwar seltsamerweise vor allem unter Silberlinden. Forscher haben lange gebraucht, um das Phänomen erklären zu können. Ursache ist letzten Endes: der Mensch.

Stuttgart - Wenn Sarah Adelmann derzeit in ihrer Heimatstadt Freiburg unter einer Lindenallee hindurchgeht, wird sie doch ein wenig traurig: „Im Moment sammle ich jeden Tag eine Handvoll toter Hummeln auf“, sagt die Expertin des Nabu Südbaden. Dieses Phänomen ist schon lange bekannt, durch das alljährlich im Hochsommer viele Hummeln innerhalb kürzester Zeit dahingerafft werden; aber die Forscher taten sich zunächst schwer, eine Erklärung zu finden. Doch auch wenn es zunächst unglaublich klingt: Gerade im Sommer, wenn doch scheinbar alles blüht und gedeiht und Früchte trägt, verhungern die Hummeln schlichtweg.

Da die toten Hummeln vor allem unter Silberlinden gefunden werden, dachte man lange Zeit, der Nektar dieser Lindenart könnte für die Hummeln giftig sein. In den 1990er Jahren überlegten deshalb viele Städte, ob sie nicht alle Silberlinden fällen sollten. Heute ist man froh, dass man das nicht getan hat: Erstens ist mittlerweile nachgewiesen, dass der Nektar für Hummeln und andere Insekten völlig ungefährlich ist; und zweitens hat sich die Silberlinde als klimaresistent herausgestellt und dürfte künftig eher noch häufiger angepflanzt werden.

Die Linden sind die letzte große Trachtquelle im Jahr

Der eigentliche Grund für das Hummelnsterben ist die vom Menschen ausgeräumte Landschaft, in der die Insekten von Juli an nicht mehr genügend Nahrung finden. Jeder Hobbyimker weiß das: Die letzte große Tracht des Jahres kommt im Juni oder spätestens im Juli von der Linde. Sie produziert nicht nur große Mengen von Nektar, sondern auch einen Nektar mit hohem Zuckergehalt. Die Linden bescheren dem Imker deshalb häufig eine bessere zweite Ernte als es die erste im Frühjahr tut, die vor allem von den Obstbäumen und dem Raps stammt. Sommerlinden blühen im Juni, Winterlinden bis Anfang Juli (in diesem Jahr sind beide schon früh dran gewesen und haben schon länger ausgeblüht) – die Silberlinde dagegen bietet noch bis weit in den Juli hinein Nektar an.

Aus diesem Grund sammeln sich dort unter den Silberlinden alle Insekten, die auf Nektar angewiesen sind – es ist schlichtweg die letzte nennenswerte Trachtquelle. Doch da Hummeln im Gegensatz zu den Honigbienen keine Vorräte anlegen, kommen sie schon geschwächt zu den Silberlinden und treffen dort auf große Konkurrenz vor allem durch die Honigbienen. Sie schaffen es nach derzeitigem Wissensstand schließlich nicht mehr, genügend Energie für den Stoffwechsel zu beschaffen – und sterben. Helge May hat dieses Phänomen auf der Internetpräsenz des Naturschutzbundes Deutschland (Nabu) sehr gut beschrieben.

Macht der Lindennektar die Hummeln süchtig?

Erschwerend kommt für die Hummeln hinzu, dass sie sich offensichtlich schwer tun, den Lindennektar aufzugeben und andere Nahrungsquellen zu suchen. Das könnte nach neueren Forschungen nun doch mit dem speziellen Nektar der Linden zu tun haben: Laut dem privaten Hummelexperten Cornel van Bebber, der sich auf eine Studie von 2017 beruft, könnte dieser Nektar Nikotin und Koffein enthalten, der die Hummeln quasi süchtig macht – dies ist aber noch umstritten und würde ja auch nicht erklären, warum die anderen Insekten es schaffen, von der „Droge“ Lindennektar loszukommen.

Wie auch immer, die baden-württembergische Hummelexpertin Sarah Adelmann ist überzeugt: „Es fehlt an Alternativpflanzen – da müssen wir ansetzen.“ Natürlich wäre es gut, wenn eine ganz andere Agrarpolitik betrieben würde, sagt sie. Aber schneller gehe es, wenn möglichst viele Menschen im Kleinen aktiv würden. Statt „Hummelnsterben“ möchte sie deshalb lieber das Schlagwort „Hummelhilfe“ in der Zeitung lesen. Jeder könne in seinem Garten Sonnenblumen, Disteln, Wiesensalbei oder Natternkopf wachsen lassen; das seien alles Pflanzen, die auch im Sommer noch Nahrung für die Hummeln böten. Auch die Kommunen könnten mehr tun: In Freiburg gebe es zum Beispiel ein Projekt, bei dem jeder Bürger sich um die Fläche unter einem bestimmten Baum kümmern und dort Wiesenblumen anpflanzen darf. „Gerade bei den Linden fallen die geschwächten Hummeln dann aus dem Baum direkt in eine nektarreiche Miniwiese“, sagte sie.

Viele Bauern nutzen Hummeln als Bestäuber

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Die eintönige Agrarlandschaft ist also für die Hummeln im Hochsommer ein großes Problem. Umgekehrt entdecken aber immer mehr Landwirte die Hummeln als Bestäuber und stellen aktiv Hummelvölker in den Feldern auf, zum Beispiel in Erdbeerkulturen oder etwa bei Tomaten auch in Gewächshäusern. Spezialisierte Züchter bieten solche Völker – mittlerweile in Millionenzahlen – zum Kauf in Boxen an; besonders fürsorgliche Landwirte stellen noch eine kleine Holzhütte über die Box, sodass es aussieht, also stünde eine Hundehütte im Feld. Hummeln haben für den Bauern den Vorteil, dass sie bereits ab einer Außentemperatur von sechs Grad und selbst bei leichtem Regen fliegen – Honigbienen tun das erst ab etwa zehn bis zwölf Grad. So werden die Kulturpflanzen selbst bei widrigen Wetterverhältnissen mit höherer Wahrscheinlichkeit bestäubt.

Naturschützer wie Sarah Adelmann haben grundsätzlich nichts gegen Hummeln als Nutztier. Allerdings würden solche Völker weltweit verschickt, und zwar ohne jegliche Auflagen oder Beschränkungen, wie es sie seit langem für die Honigbienen gebe. So aber könnten die gezüchteten Hummeln erstens Krankheiten übertragen wie die durch einen Virus verursachte Verstümmelung der Flügel; und sie könnten sich am Ende in der Natur etablieren und einheimische Arten verdrängen oder sich mit ihnen vermischen: „Wir brauchen dringend Qualitätsrichtlinien“, betont Adelmann.

Auf den Feldern lebt das etwa zwölf Wochen alte Hummelvolk nach dem Aufstellen noch weitere sechs bis acht Wochen und geht dann ein. In der Natur verhält es sich ganz ähnlich: Im Gegensatz zu einem Honigbienenvolk überwintert bei den Hummeln nur die Königin – und auch da nicht die Altkönigin, sondern eine junge Königin, die das Volk im Juli oder August heranzieht. Auf dem Höhepunkt seiner Entwicklung besteht ein Hummelvolk aus 80 bis 500 Tieren. Bei Honigbienen können es bis zu 40 000 sein. Die Königin der Honigbienen kann bis zu vier Jahre alt werden.

 

 

 

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