Was passiert im Kampf gegen Pestizide?
Stuttgart/Friedrichshafen - Deutschlandweit und permanent geschehe, was laut Gesetz verboten sei: dass stark erhöhte Konzentrationen von Pflanzenschutzmitteln in Gewässer gelangen und dort vor allem empfindliche Insekten schädigen oder töten. Das ist die zentrale Botschaft einer neuen Studie des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung in Leipzig, das an 101 Bächen in der Nähe landwirtschaftlicher Flächen bundesweit über zwei Jahre hinweg Proben genommen hat – unsere Zeitung berichtete. In 81 Prozent der Fälle wurden die Grenzwerte überschritten.
Der Nabu forderte daraufhin ein neues Zulassungsverfahren für Pestizide, bei der die realen Bedingungen vor Ort zugrundegelegt würden und nicht nur Tests im Labor oder in künstlichen Biotopen. Dabei müsse etwa auch die Kombination mehrerer Spritzmittel berücksichtigt werden, die die Toxizität in den Gewässern steigere.
Fast alle Spritzgeräte am Bodensee wurden verbessert
Im Bodenseekreis ist man bei diesem Thema schon einen Schritt weiter. Dort wurde vor vier Jahren entdeckt, dass es in kleinen Gewässern eine erschreckende Artenarmut gab, vor allem bei Insektenlarven, Muscheln und Würmern. Bei dem am Bodensee sehr verbreiteten Apfelanbau wird besonders viel gespritzt. Das genaue Ausmaß des Artensterbens wurde nie veröffentlicht, aber die Ergebnisse waren so alarmierend, dass das Landratsamt in Friedrichshafen umgehend handelte.
So wurde den Obstbauern mehr oder weniger zur Pflicht gemacht, Spritzgeräte einzusetzen, bei denen die Mittel nicht als feiner Nebel über größere Entfernungen transportiert werden können. Die Verbreitung dieser Technik sei mittlerweile nahezu flächendeckend, sagte Robert Schwarz jetzt, der Sprecher des Landratsamtes.
Daneben will man konsequent einen Abstand der Obstbäume von zehn Metern zum nächsten Gewässer einführen; dieser Abstand gilt bereits überall in Baden-Württemberg und ist größer als in anderen Bundesländern. Die letzten Bäume, die noch näher an einem Bach stünden, müssten bis zum Jahresende entfernt sein, so Schwarz. Ob die bisherigen Maßnahmen die Situation in den Gewässern verbessert haben, ist aber nicht bekannt: Das Regierungspräsidium Tübingen habe zwar erste Untersuchungen in Auftrag geben, aber es lägen noch keine Ergebnisse vor, sagte Robert Schwarz.
Randstreifen an Gewässern beheben das Problem womöglich nicht
Auch der Nabu-Bundesvorstand fordert einen bundesweiten Zehn-Meter-Puffer. Matthias Liess, der Leiter der genannten Studie, bezweifelt aber, ob dies einen wirklich großen Nutzen hat. Denn zwischen vielen Äckern gebe es kleine Abwassergräben – und wenn nach einem Regen die Pestizide dort hineingeschwemmt würden, gelangten diese trotzdem schnell in die Bäche, Randstreifen hin oder her.
Marco Eberle, der Hauptgeschäftsführer des Landesbauernverbandes, konnte auf Anfrage unserer Zeitung noch keine Aussage zu der Studie abgeben – er kenne die Inhalte noch nicht, so Eberle. Bisher hätten die Untersuchungsdaten der öffentlichen Hand keine Überschreitungen der Grenzwerte ergeben: „Deshalb war das für uns bisher kein Thema.“ Weshalb die Helmholtz-Studie zu ganz anderen Ergebnissen kommt, könnte an der Methode liegen: Es wurde direkt nach Regenfällen gemessen, wenn die Pestizidkonzentrationen am höchsten sind. Liess hält dieses Vorgehen für legitim: Diese Spitzenwerte müssten die Tiere aushalten können, sonst überlebten sie nicht.
Landesregierung will Pestizidmenge deutlich verringern
Die grün-schwarze Landesregierung hat unabhängig von den neuen Erkenntnissen bereits beschlossen, bis 2030 eine Reduktion der Pestizidmengen um 40 bis 50 Prozent anzustreben. Bis zum gleichen Jahr soll der ökologische Landbau, der ohne synthetische Spritzmittel auskommt, einen Anteil von 30 bis 40 Prozent an der gesamten Landwirtschaft einnehmen.
Auch der ökologische Zustand der Gewässer soll und muss besser werden – die EU-Wasserrahmenrichtlinie schreibt vor, dass alle Flüsse bis 2027 einen guten Zustand erreicht haben. Bisher schafft das in Baden-Württemberg aber kaum ein Fluss; nur der Bodensee ist eine rühmliche Ausnahme. Grund für die oft mäßige bis schlechte Situation sind aber zumindest nach bisheriger Bewertung nicht die Spritzmittel, sondern der hohe Eintrag an Nähr- und Düngemitteln sowie die Begradigung vieler Gewässer bis hin zu einem kanalähnlichem Aussehen.