Ein fast ganz normales Zuhause
Willstätt. Uwe Kleinert lächelt verschmitzt. Der überraschte Blick des Betreuers belustigt den 61-Jährigen. Er hat im Schein der Zimmerlampe die Sonnenbrille aufgesetzt und führt den Kaffeebecher so cool zum Mund wie einst John Lennon das Mikrofon. Nach dem Arbeitstag in den Hanauerland-Werkstätten ist er wieder zu Hause in Willstätt.
Ein Zuhause, das auf den ersten Blick völlig normal erscheint. Wer die Wohnung betritt, findet sich sofort im gemütlichen Ess- und Wohnzimmer mit offener, moderner Küche wieder. Die Möbel sind aus hellem Holz und die Wand ziert ein Kunstdruck von Gustav Klimt.
Ungewöhnlich erscheint nur der breite Gang, der von der Küche zu sechs Schlafzimmern führt. Sie sind das ganz persönliche Reich von Uwe Kleinert und fünf weiteren Menschen, die wie er eine geistige und körperliche Beeinträchtigung sowie eine Epilepsie haben. Die Wohnung ist Teil des Wohnverbunds der Diakonie Kork, in dem insgesamt 355 Menschen leben.
Mitten im Ort
Das Haus in Willstätt, das vier Wohneinheiten mit je sechs Bewohnern umfasst, war das erste, das im Rahmen eines Masterplans im Jahr 2009 fern des Stammgeländes der Diakonie Kork erbaut worden war. In Folge wurden 198 weitere Wohnplätze für erwachsene Menschen mit Behinderung in Kleingruppen mit Einzelzimmern geschaffen, 176 davon dezentral in den umliegenden Ortschaften und Stadtteilen: in Kehl, Goldscheuer, Ichenheim und Altenheim.
Die Intention hinter den Bauprojekten: Menschen mit Beeinträchtigung die Möglichkeit geben, ein Leben inmitten der Ortschaften zu führen und damit wie jeder andere Bürger auch vor Ort einkaufen, einen Hausarzt aufsuchen oder Feste mitfeiern zu können.
Ein Wunsch, der aufgegangen ist. Längst haben sich die außergewöhnlichen Wohngemeinschaften in den Ortsteilen und Gemeinden etabliert. Uwe Kleinert spricht von einer Willstätter Schulklasse, die vor kurzem zu Besuch war. Und auch die Kinder des benachbarten Kindergartens schauen regelmäßig vorbei. Zuletzt stellten sie gemeinsam eine große Trommelsession auf die Beine. Engagierte Bürger haben außerdem einen "Förderverein für Menschen mit Behinderungen in Willstätt" gegründet, um unter anderem die Integration der insgesamt 24 Bewohner zu fördern.
Die Diakonie Kork bietet verschiedene Wohnformen an. Das "Wohnen für Erwachsene", zu dem auch das Haus in Willstätt gehört, hat zwölf Gebäude. Vier davon liegen auf dem Campus der Diakonie Kork. Auch das "Wohnen für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene" findet auf dem Gelände der Diakonie Kork statt. Senioren mit Behinderungen können im Muggelring eine Tagesstrukturgruppe in Anspruch nehmen. Daneben gibt es noch die Kurzzeit- und Verhinderungspflege.
Die Wartelisten für die Wohngruppen sind lang, auch, weil die Diakonie Kork deutschlandweit und im benachbarten Elsass einen sehr guten Ruf genießt. Sie ist eines von sieben Epilepsiezentren in Deutschland, die mit überregionalem Versorgungsauftrag der ambulanten und stationären Diagnostik und Therapie, der Reha sowie der Forschung und Lehre dienen. Neben den Wohnangeboten betreibt sie die Hanauerland-Werkstätten und eine Schule für Menschen, die neben der Epilepsie zusätzliche Beeinträchtigungen haben.
Gezielte Assistenz
Alle Wohnangebote orientieren sich im Rahmen der Eingliederungshilfe an den Bedürfnissen der Bewohner. Diese bestimmen ihren Alltag so weit wie möglich selbst und werden dabei lediglich assistiert. Keine WG ist daher gleich, jede hat ihre individuelle Dynamik. Multiprofessionelle Teams sorgen dafür, dass alles reibungslos klappt. Dabei liegt der Schwerpunkt auf der Heilerziehungspflege. Aber auch Pfleger und verschiedenste Helfer kümmern sich um das Wohl der Bewohner.
Uwe Kleinert fühlt sich wohl. Seit 41 Jahren lebt er schon im Wohnverbund der Diakonie Kork – zuerst auf dem Campus, dann, nach dem Bau des Hauses in der Uhlandstraße, in Willstätt. Zum 40-Jährigen erhielt er eine Urkunde, die das Esszimmer ziert. Und auch neue Möbel schmücken sein Zimmer – selbst ausgesucht. Die Mitbewohnerinnen und Mitbewohner seiner WG kennt er so gut, als wäre es die eigene Familie. Besonders freut er sich, wenn er für einen Fernsehabend oder ein Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel Mitstreiter findet. Aber auch gemeinsames Backen und Basteln machen ihm Spaß. Am Morgen gehen dann alle wieder aus dem Haus und ihrer individuellen Beschäftigung nach – fast so wie in einer normalen Familie.
Diakonie Kork Wohnverbund
- Leitung: Christian Ascherl und Patric Vorbrodt-Röhl
- Geschäftsfelder: Wohnen für Menschen mit Behinderung
- Standorte: Kehl-Kork, Kehl, Kehl-Goldscheuer, Willstätt, Neuried-Altenheim, Neuried-Ichenheim
- Anzahl Mitarbeiter: ca. 500
- Kontakt: Telefon 07851 84-4308
E-Mail: wohnverbund@diakonie-kork.de