"Mittendrin"

»Als Rentner zieht’s uns nach Taipeh«

Rolf Wittmeier
Lesezeit 6 Minuten
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24. Mai 2017
Über den Sport zur großen Liebe: Tischtennis-Ass Dirk Hudarin mit Ehefrau Huei-Yun Chen und den beiden gemeinsamen Kindern Rosanne (9) und Jan (4).

Über den Sport zur großen Liebe: Tischtennis-Ass Dirk Hudarin mit Ehefrau Huei-Yun Chen und den beiden gemeinsamen Kindern Rosanne (9) und Jan (4). ©Ulrich Marx

Im Alter von sechs Jahren wollte Dirk Hudarin Judoka werden. Der Schutterwälder Steppke merkte schnell, dass es mit dem Griffe setzen und Abrollen nicht so recht klappen wollte. »Da benötigt man ja zwei Hände«, erkannte er. Seine Behinderung ließ ein sportliches Weiterkommen nicht zu.
»Als ich ein Jahr alt war, bin ich auf den Kopf gefallen, auf harte Kacheln«, beschreibt der 45-Jährige die Ursache seiner Behinderung. Ein Blutgerinnsel im Gehirn führte zur rechtsseitigen Spastik, am Arm stärker, am Bein schwächer. »Wirklich behindert habe ich mich nicht gefühlt und ich wollte Sport treiben, mehr als Radfahren und Wandern, was in meiner Familie bis heute gerne betrieben wird.« 
Beim Besuch eines Schwimmkurses in der Schutterwälder »Alten Schule« sah der damals 10-Jährige den TTC Langhurst trainieren. Tischtennis. Die Sportart, die das sportliche und private Leben des sportbegeisterten Jungen wesentlich beeinflussen sollte, war gefunden. 

Übernachten im Auto

Fortan war viermal pro Woche Tischtennis-Training angesagt, dazu Wald- und Bergläufe für die Schnellkraft in den Oberschenkeln. »Umfangreiches Training ist wichtig«, erklärt Hudarin, »das Hirn lernt durch viele Wiederholungen, das Kognitive wird trainiert.« Das große Talent spielte bei den »gesunden« Aktiven. Deshalb musste Hudarin gedrängt werden, sich bei der BSG Offenburg (Behinderten-Sport-Gemeinschaft) vorzustellen. Dort handelte man rasch und meldete den 20-Jährigen gleich bei den Deutschen Meisterschaften an. Vater Hans fuhr mit seinem Sohn nach Salzgitter, übernachtet wurde im Auto. Doch schon in der Vorrunde kam das Aus. Der Neuling trat ohne zugeteilte Schadensklasse an und musste gegen weit weniger Behinderte spielen. »Da habe ich alt ausgesehen«, erzählt er. Aber die Veranstaltung hatte auch etwa Positives: Bundestrainer Paul Klingen wurde auf das Talent  Hudarin aufmerksam und lud ihn zum B-Kader-Lehrgang nach Duisburg ein – es war die Eintrittskarte zur Nationalmannschaft. Und Hudarin wusste: »Jetzt wird's ernst!« 

Es folgten Lehrgänge und Turniere in verschiedenen Ländern, um wichtige Weltranglistenpunkte zu sammeln. Mit einer guten Weltranglisten-Platzierung ist man bei Europa- und Weltmeisterschaften gesetzt und darf auf eine günstige Auslosung hoffen. Diese half bei der Weltmeisterschaft 1998 in Paris – Hudarin schaffte es bis ins Halbfinale. 

Ein großes Ziel stand im Jahr 2000 an. Die Paralympics im australischen Sydney. »Ich habe extrem trainiert, das Letzte aus meinem Körper herausgeholt«, schildert der mittlerweile zur Weltklasse gereifte Spitzenspieler die besondere Motivation. Mit der Mannschaft sprang eine sehr hoch einzustufende Bronze-Medaille heraus. »Südkorea und Spanien waren nicht zu schlagen«, schätzt Hudarin die Leistungsstärke realistisch ein, »die Südkoreaner spielten mit ungewohnt langen Noppen – da biegen die Bälle ab, ohne zu blinken«.  

Silbernes Lorbeerblatt

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Zahlreiche Ehrungen folgten auf den paralympischen Medaillengewinn. »Besonders beeindruckend war die Verleihung des Silbernen Lorbeerblattes durch Bundespräsident Rau und Kanzler Schröder mit allen deutschen Spitzensportlern«, freut sich Hudarin noch heute. »Ich wurde von der Polizei am Bahnhof in Bonn abgeholt und zum Petersberg chauffiert, ein völlig neues Gefühl«. Auch in der Heimat gab es zahlreiche Ehrungen, wobei die Auslegung eines roten Teppichs besonders in Erinnerung blieb. Der wurde nach dem Gewinn des ersten deutschen Meistertitels in Furtwangen 1996  beim Empfang in Schutterwald kurzerhand aus dem Geräteraum geholt und vor dem Halleneingang ausgelegt. 

Hudarin, der letztes Jahr noch einmal deutscher Meister bei den Senioren im Einzel und Doppel wurde und seine Karriere aktuell auf Eis gelegt hat, ließ es im Jahr 2002 sportlich etwas ruhiger angehen. In Deutschland war er immer noch an der Spitze, für Weltklasse-Leistungen vielleicht nicht zu hundert Prozent fit, aber dennoch für die Weltmeisterschaft qualifiziert. Und Dirk Hudarin wollte nach Asien und forderte Bundestrainer Kai Gödecke auf: »Nimm mich mit – ich war noch nie in Asien, ich will Land und Leute kennenlernen.« Der Bundestrainer gab grünes Licht für die Weltmeisterschaft in Taiwan. 

Die große Liebe gefunden

Jede Ländermannschaft bekam vor Ort einen Guide. Das Team aus Liechtenstein mit drei Mannschaftsmitgliedern hatte eine auffallend liebenswürdige, junge Frau zur Unterstützung. »Meine Teamkollegen hatten anfangs mehr Kontakt, weil mein Englisch nicht so toll war«, erzählt der Badener von den Schwierigkeiten beim Kennenlernen. Aber die gegenseitige Sympathie wuchs schnell mit Huei-Yun Chen, die als Buddhistin an einer christlichen Privatschule in Taipeh Russisch studierte und als Dolmetscherin für ein russisches Unternehmen arbeitete. Wieder zuhause, folgte ein reger E-Mailverkehr zwischen Asien und Schutterwald. »Immer morgens und abends um 6 Uhr sendeten wir uns Mails zu – eineinhalb Jahre lang«, beschreibt Hudarin die über 9000 Kilometer gelebte Fernbeziehung. Es war an der Zeit, Nägel mit Köpfen zu machen. Huei-Yun verbrachte über Weihnachten 2003 ihren Urlaub in Schutterwald. Der Kölner Dom, Schloß Neuschwanstein, das Münchner Hofbräuhaus, aber vor allem die Ortenau wurden erkundet. Ein Jahr später blieb sie für acht Monate im Badischen. »Ich wollte sehen, ob ich in Deutschland leben kann«, beschreibt die Taiwanesin ihre ersten Schritte in ein neues Leben. Sie konnte. Sie lernte deutsch in mehreren Kursen – und musste wieder zurück nach Taiwan, das Visum lief ab. 

Familienglück

Ein halbes Jahr später »holte« Hudarin seine Huei-Yun in Taipeh dann zum kompletten Umzug ab. »Allein in einem fremden Land, die Schwiegereltern noch nicht kennengelernt – ich wußte nicht, was mich erwartet, da wird man zum Mann«, ist der Ortenauer noch heute beeindruckt von seiner Mission vor vierzehn Jahren. Dann ging alles schnell. Im Oktober 2006 kam Huei-Yun in Schutterwald an, am 28. Dezember im gleichen Jahr wurde geheiratet – ein Jahr später im Januar 2008 Töchterchen Rosanne geboren. Fünf Jahre danach erblickte Sohn Jan das badische Licht der Welt und komplettierte das Familienglück. Die Kinder wachsen mit zwei Sprachen auf – Huei-Yun spricht mit dem Nachwuchs ausschließlich chinesisch, was sich im beschaulichen Schutterwald immer noch etwas exotisch darstellt.

Die ursprüngliche, so ferne Heimat bleibt für die multikulturelle Familie aber fest im Blick. »Wenn wir Rentner sind, leben wir in Taipeh«, lässt Hudarin in die Zukunft blicken. »Nicht für immer, aber drei Monate im Jahr«, schränkt der Badener ein. Eine Wohnung oder ein Häuschen will die Familie in Taipeh erwerben, um beiden Kulturen gerecht zu werden. 

Zur Person

Dirk Hudarin

Geburtstag: 16. Februar 1972

Geburtsort: Offenburg

Familienstand: Verheiratet

Kinder: Rosanne (9), Jan (4)

Wohnort: Schutterwald 

Beruf: Arbeitserzieher

Sportart: Tischtennis     

Vereine: TTC Langhurst, TTSF Hohberg, BSG Offenburg

Größte Erfolge: Europameister 1995 und 1997, Vizeweltmeister Team 1998, WM-Dritter Einzel 1998, Team Bronze bei den Paralympics 2000 in Sydney, mehrfacher badischer und deutscher Meister im Einzel und Doppel

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