Als Ronaldo zum VfB wollte
Vor Kurzem waren wir bei Ralf Rangnick, dem alten VfBler, der jetzt Trainer und Manager bei RB Leipzig ist. Das ist der Klub mit der prickelnden Brause, er gehört dem Red-Bull-Milliardär Dietrich (»Didi«) Mateschitz und gilt als der kommende Bulle des deutschen Fußballs. Die Perspektive ist grandios, Red Bull bietet Rangnick alles, und eine ganze Karawane von früheren VfB-Schwaben hat er schon zu sich ins Paradies nachgeholt, Jugendleiter, Nachwuchstrainer, Talentspäher und Spieler.
Rangnick ist klasse, und weil er so gut ist, rief ihn vor ein paar Monaten Bernd Wahler an, der VfB-Präsident. Man hat sich dann getroffen – aber Rangnick hat ihm nicht nur einen Kaffee, sondern auch reinen Wein eingeschenkt: »Es gibt im Moment keinen Grund, weshalb ich Leipzig verlassen sollte. Ich fühle mich hier pudelwohl.«
Als alter Roter hat Rangnick das Herz auf dem rechten Fleck, auf Höhe des Brustrings – aber warum sollte er heimkehren zum VfB, weg von Leipzig? »Wir sind hier in Klein-Venedig«, sagt er. Demnächst bezieht er eine direkt am Nebenfluss der weißen Elster gelegene Wohnung, mit Bootshaus und Bootsanleger (»Meine Frau richtet sie gerade ein«) – der VfB müsste ihm, um da noch mithalten zu können, mindestens den Neckardampfer »Berta Epple« als Hausboot versprechen.
Das war vor zwanzig Jahren noch völlig anders. RB Leipzig gab es gar nicht, der Klub war ein Stäubchen im Weltall, während der VfB noch eine große Hausnummer war – und dazu passt die unglaubliche, aber wahre Geschichte, die uns Rangnick jetzt erzählt hat. Sie spielt im April 1994, ist aber kein Aprilscherz.
»Ralf, Sie müssen nach Brasilien, am besten noch heute Abend« sagte damals der VfB-Manager Dieter Hoeneß zu seinem Amateurchef Rangnick, »dort gibt es anscheinend einen 17-Jährigen, der soll richtig gut sein.« Rangnick flog, und der Rohdiamant schoss prompt zwei Tore und bereitete noch zwei vor. Nach dem Spiel traf man sich im Hotel, der Talentierte schenkte Rangnick sein Trikot von Cruzeiro Belo Horinzonte und der Stuttgarter dem Jungen ein VfB-Hemd, und das Wunderkind sagte durch seine Zahnspange: »Es wäre mir eine Ehre, für Stuttgart zu spielen.«
Tags darauf schaute sich Rangnick in Rio noch die Nummer 10 des FC São Paulo an, einen Ballzauberer namens Dener, traf sich auch mit dem im Hotel und sagte danach am Telefon zu Hoeneß: »Mit den beiden wird der VfB sofort deutscher Meister.« Anschließend flog er heim nach Stuttgart – und las nach der Landung erschüttert die Nachricht: Dener tödlich verunglückt. Der hatte nach dem Abend mit Rangnick auf der Heimfahrt nach São Paulo auf dem Beifahrersitz geschlafen, das Auto fuhr gegen einen Baum, und Dener wurde vom Sicherheitsgurt stranguliert. »Zur Beerdigung kamen tausende Fans«, sagt Rangnick.
Und was wurde aus dem 17-Jährigen? »Er hätte sechs Millionen Dollar gekostet. Ich habe zu Hoeneß gesagt: Überfallen Sie notfalls eine Bank, aber kaufen Sie ihn.« Der VfB tat es nicht, sondern sagte ab. Dafür zahlte der PSV Eindhoven blitzschnell die sechs Millionen, und kurz danach war der 17-Jährige als »El Fenomeno« der beste Stürmer seiner Zeit, zweimal Weltmeister, dreimal Weltfußballer – aus dem Jungen mit der Zahnspange wurde der große Ronaldo.
Soviel zum zweitgrößten Fehler des VfB. Der größte: Sieben Jahre später wurde der Visionär Rangnick als Stuttgarter Cheftrainer in der ersten Krise entlassen. Die Schwaben hatten bei Personalien oftmals kein gutes Händchen, und deshalb ist Rangnick jetzt bei RB Leipzig gelandet – und der Junge mit der Zahnspange nie beim VfB.