Racing Straßburg: »Wieder daheim – in Ligue 1«
Neun Jahre nach dem Abstieg aus der ersten französischen Fußball-Liga und sechs Jahre nach dem Zwangsabstieg in die fünftklassige CFA2 (Oberliga) ist Racing Straßburg seit Freitag zurück in der Eliteklasse Frankreichs. Nicht nur Präsident Marc Keller ist erleichtert, sondern ein ganze Region.
Der blau-weiße Rauch der Club-Pyromanen nach dem erlösenden 2:1 am Freitagabend über Bourg-en-Bresse und dem damit verbundenen Aufstieg von Racing Straßburg als Zweitliga-Meister in die 1. französische Fußball-Liga Ligue 1 hat sich verzogen, die Beleuchtung der Brücken und öffentlichen Gebäuden in der elsässischen Metropole ist von blau-weiß auf »normal« zurückgeschaltet. Langsam kehrt Ruhe ein im Straßburger Meinau-Stadion, auf den Plätzen der Stadt und in den Kneipen. Zurück bleibt eine Mischung aus Zufriedenheit, Verwunderung und ungläubigem Staunen. Ist der Albtraum wirklich vorbei? Sind die Vereinsfinanzen tatsächlich saniert? Ist der Schleudersitz für Fußball-Trainer und das Karussell für Club-Präsidenten endgültig entsorgt? Ist Racing wirklich zurück in der 1. Liga?
Himmel und Hölle
Die vergangenen zehn Jahre hatten es in sich beim elsässischen Traditionsclub. »Einmal Himmel – Hölle und zurück«, stand da wohl auf dem Ticket für den Hochgeschwindigkeitszug den Racing im Jahr 2008 gebucht zu haben schien. Die ganze Dramatik dieser verrückten Geschichte von größtem Misserfolg und unglaublichem Erfolg verraten ein paar Details der Vereinshistorie.
Beginnen wir im Mai 1997. Racing hatte gerade den Liga-Pokal gewonnen und sich damit ein weiteres Mal die Teilnahme am Europapokalwettbewerb gesichert. Die Club-Führung wechselte vom Elsässer Roland Weller zu Patrick Proissy, dem Statthalter des amerikanischen Sportrechtevermarkters IMG-MC Cormack. Im Frühjahr 1998 schied Racing gegen Inter Mailand im Achtelfinale aus dem Europapokal aus. Qualifizierte sich aber durch den Gewinn des französischen Pokals im Jahr 2001 erneut für den europäischen Wettbewerb. Aber noch im selben Jahr 2001 musste Racing überraschend den Gang in die 2. Liga antreten, gefolgt vom sofortigen Wiederaufstieg im Sommer 2002.
Differenzen
Das Auf und Ab spiegelt eine verwirrende Clubleitung durch IMG wieder, die zunehmend für Differenzen mit den lokalen Kräften sorgte. Entscheidungen aus dem fernen Paris oder gar dem Firmensitz in den USA passten immer weniger zur Situation vor Ort. Zunehmend entstand der Eindruck, die Vereinsübernahme habe nur das Ziel IMG Zugang zum lukrativen Fußball-TV-Markt zu verschaffen.
Trotz eines erneuten Gewinns des Liga-Pokals im Jahr 2005 suchten immer mehr regionale Unternehmen das Weite und das Publikum zeigte sich extrem kritisch. 2006 folgte der nächste Abstieg in die 2. Liga, dem erneut der sofortige Wiederaufstieg 2007 folgte. Elf Spieltage vor Ende der nächsten Saison 2007/2008 fehlten Racing noch drei Punkte zum Klassenerhalt. Aber die Mannschaft verlor alle elf Spiele und landete erneut in der 2. Liga.
Racing war zur Fahrstuhl-Mannschaft verkommen.
Häufige Trainerwechsel
Die häufigen Trainerwechsel und Streitigkeiten hinter den Kulissen bescherten Racing den Name »Marseille des Ostens« – in Anlehnung an die Skandale von Olympique Marseille. Der Präsidentenstuhl bei Racing wurde zum Karussell, auf dem jeder mal mitfahren durfte.
Ohne den Schutz der in Deutschland gültigen »50-Prozent+1-Regel« landete Racing schließlich in den Händen von Jafar Hilali, einem Finanzjongleur der Londoner Börse, der im Jahre 2010 Spieler und Inventar zu Geld machte und den Abstieg in die dritte Liga (National) herbeiführte. Als nichts mehr ging, zogen die Verbandsoberen die Reißleine. Racing musste im Sommer 2011 die nationale Bühne verlassen und fand sich in der fünftklassigen CFA2 (Oberliga) wieder.
Fans als Retter
Was danach passierte sprengte das Vorstellungsvermögen aller. Ein kleines Häuflein um Patrick Spielmann, Präsident des Gesamtvereins, versuchte zu retten, was noch zu retten ist. Francois Keller, bisheriger Trainer der Nachwuchself, telefonierte kreuz und quer durch die französische Fußball-Amateurwelt. Am ersten Spieltag der Saison 2011/2012 hatte Racing keine elf spielberechtigt Spieler. Das Auftaktspiel von Racing musste verschoben werden. Erst am zweiten Spieltag trat ein völlig neu gebildetes Team um den einzig verbliebenen Ex-Profi David Leddy in Forbach an. Über 100 Fans begleiteten die Mannschaft.
In den Tagen danach säuberten die Racing-Fans in einer beispiellosen Aktion das Stadion und wischten die Sitzplätze sauber. Und beim ersten Heimspiel in der fünften Liga trauten die verbliebenen Verantwortlichen ihren Augen nicht. Fast 10 000 Zuschauer waren gekommen, um Racing, das drei Jahre zuvor noch gegen AS Rom spielte, nun gegen Illzach-Modenheim zu sehen! In den folgenden sechs Jahren stieg Racing viermal auf und stellte auf dem Weg zurück nach oben in allen Ligen neue Zuschauerrekorde auf.
Wie Glasgow Rangers
»Vergleichbar ist das was hier passiert ist nur mit Glasgow Rangers« reibt sich selbst Racing-Präsident Marc Keller verwundert die Augen. »Es sind die Fans, die Racing gerettet haben«, ist sich Alain Fontanel, stellvertretender Bürgermeister Straßburgs sicher. »15 000 in der CFA 2 (Oberliga) gegen Schiltigheim, 20 000 in der CFA (Regionalliga) gegen Mulhouse und 27 000 in der National (3. Liga) gegen Colmar sind Marken, die zeigen, welchen Stellenwert Racing für Straßburg und das ganze Elsass hat. Diese Botschaft hat die regionalen Sponsoren überzeugt und auch uns, der öffentlichen Hand, einen klaren Auftrag gegeben«, erläutert Fontanel weiter.
Aufstieg wie ein Wunder
Die Mannschaft hat auf diesem Weg mehrfach ihr Gesicht gewechselt. David Leddy, das Racing-Urgestein aus besseren Tagen, hat nach dem Aufstieg in die 3. Liga aus familiären Gründen einen Wohnortwechsel nach Südfrankreich vollzogen. Zwei andere Spieler tragen seither das Gesicht der Region: Dimitri Lienard, der Meister der ruhenden Bälle, und Jeremy Grimm, Kapitän und Mister Zuverlässigkeit in Person, haben seit 2013 Aufstieg um Aufstieg mitgemacht und stehen nun erstmals in ihrer Kariere am Tor zur 1. Liga. Den Arbeitsplatz in einem Unternehmen bei Belfort hat Lienard inzwischen aufgegeben. Und auch Grimm wird nun nicht weiter täglich mit dem Zug von Schlettstadt nach Straßburg zum Training fahren. Aber Spieler wie diese beiden sind es, die für einen Aufstieg in die Eliteklasse stehen, der an ein Wunder grenzt.
»Es ist wie im Traum. Wir haben bis zum letzten Spiel gezittert«, resümierte Dimitri Lienard freudetrunken. Und Jeremy Grimm machte am Freitag noch auf dem grünen Rasen Freundin Cathy einen Heiratsantrag via TV-Kameras. Derweil ist Racing-Coach Thierry Laurey schon bemüht, die Zukunft in den Blick zu nehmen. »Wir werden jetzt nicht abheben, wir kennen die Geschichte. Das kommende Jahr wird schwer!«
Neue Gesichter
An der Zukunft arbeiten auch Marc Keller und sein Team. Eine erstligataugliche Mannschaft muss gebildet werden und das in die Jahre gekommene Meinau-Stadion braucht ein »Lifting«. Etwa zehn Spieler werden neu kommen – schätzen Insider. Und auch das Stadion soll ein neues Gesicht erhalten. Am 29. Mai wird im Straßburger Stadtrat ein Gutachten zur Sanierung der Fußballarena in Auftrag gegeben werden. »Wir gehen derzeit von einem Sanierungsbedarf in einer Größenordnung von bis zu 80 Millionen Euro aus«, erläutert Alain Fontanel. Neben einer Erweiterung der Sitzplätze von derzeit 23 000 auf rund 33 000 soll vor allem die Zahl der Logenplätze von derzeit rund 360 auf circa 3000 angehoben werden. Einen Neubau, gar an anderem Ort, will niemand. Zu eindrücklich ist jedermann bewusst geworden, das Geld allein keinen Erfolg macht.
Drei Jahre, von 2008 bis 2011, befand sich Racing im freien Fall bis hinab in die Oberliga, sechs Jahre, 2011 bis 2017, brauchte der am Boden liegende Club um aus der fünften Liga zurückzukommen in die Eliteklasse. Jetzt ist »Racing zurück – daheim in der 1. Liga«, drückte Marc Keller am Ende eines denkwürdigen Aufstiegsspieles unter dem tosenden Beifall aus, was über 27 000 Fans fühlten.