Im Hochgefühl gegen Holland: Nagelsmanns Symbiose wirkt
Amsterdam - Nach der Busfahrt nach Amsterdam war der große Rückenwind der Fünf-Tore-Gala gegen Ungarn für Julian Nagelsmann nur noch symbolischer Natur. Windböen von der nahen Nordsee her erwarteten den Bundestrainer und seine Zauber-Kicker Jamal Musiala und Florian Wirtz. Es war wie ein Signal, dass da im Duell der beiden furiosen Fünferpack-Ballerteams mit den Niederlanden Widerstand auf sie zukommen könnte.
Vorsicht? Ja. Sorgen? Sicher nein. Eher Vorfreude auf die nächste reizvolle Aufgabe. So sah es Joshua Kimmich. "Das wird ein anderer Gegner, ein spielstarker Gegner. Die Holländer sind schon anders als die Ungarn, das wird ein harter Gegner. Es wird interessant sein zu sehen, wie wir da agieren", sagte der Kapitän vor dem immer brisanten Fußball-Vergleich mit dem EM-Halbfinalisten am Dienstag (20.45 Uhr/RTL) in der wuchtigen Johan-Cruyff-Arena.
Einen fußballerischen Temperatursturz gilt es gegen den mit Personal- und Wutdebatten um B-Stürmer Wout Weghorst und den aussortierten Steven Bergwijn gerade mit sich selbst beschäftigten Erzrivalen zu vermeiden. In der plötzlich lieb gewonnenen Nations League würde ein weiterer Sieg im Topspiel der Gruppe 3 der A-Liga zudem schon ein riesiger Schritt zur angestrebten Qualifikation für das Viertelfinale im März 2025 sein.
"Energie" der Ungarn-Gala mitnehmen
Die "Energie" wolle man mitnehmen, hatte Spaß-Fußballer Musiala angekündigt. Eine Vorgabe, die er wohl für den Oranje-Clash genau so von Nagelsmann bekommen hatte.
Denn das ist das große Plus der Nationalmannschaft als Lerneffekt aus der Heim-EM: Es gibt eine Symbiose aus einem Bundestrainer, der vorgibt und klar anleitet. Und einem Team, das freudig aufsaugt und umsetzt. Dazu gehört das Nagelsmann-Dogma, nicht in Problemen zu denken, sondern in Lösungen. Und so drehte Torgarant Niclas Füllkrug eine angesichts des offensivstarken Gegners um Leipzigs Xavi Simons mögliche zögerliche Haltung einfach um.
Holland soll sich Gedanken machen
"Eine Topmannschaft mit vielen Topspielern von großen Vereinen", sei Holland, ja, gewiss. Aber: "Die wissen jetzt, was auf sie zukommt", sagte Füllkrug selbstbewusst. Die haben ein Problem, nicht wir, lautet die kernige Botschaft. Da kommt nämlich eine deutsche Mannschaft, die eine unfassbare Wandlung vollzogen hat zu einem Team, in dem es legitim ist, ganz selbstverständlich von großen Zielen wie dem WM-Pokal zu sprechen. "Ist doch cool", sagte Füllkrug zur Nagelsmann-Ansage Richtung Turniersieg in Amerika 2026.
Der Rückblick: Auf den Tag genau vor einem Jahr setzte es ein 1:4 gegen Japan. Hansi Flick war als Bundestrainer am Ende. Sportdirektor Rudi Völler rief erschöpft von seinem folgenden Ein-Spiele-Intermezzo gegen Frankreich (2:1) Nagelsmann als Retter herbei. Und die deutsche Fußball-Metamorphose nahm mit der November-Delle der Testpleiten gegen die Türkei (2:3) und Österreich (0:2) als einzigem Makel ihren Lauf.
Nur noch fünf Spieler aus der Startelf der Demütigung in Wolfsburg werden 367 Tage später in Amsterdam beim Anpfiff auf dem Rasen stehen. Seine Formation nach dem 5:0-Turbostart gegen Ungarn muss Nagelsmann - bislang unbekannte medizinische Zwänge ausgeschlossen - mit elf EM-Akteuren hingegen nicht mehr ändern. Da funktionierten gegen Ungarn gleich wieder auch die neue Rollen- und Aufgabenverteilungen.
"Ich habe schon das Gefühl, dass es uns extrem gutgetan hat, dass der Kader zusammengeblieben ist, dass man nicht bei null angefangen hat", sagte Kimmich. "Trotz der vier Jungs, die zurückgetreten sind, ist eine Basis da." Die "vier Jungs", die aufgehört haben, namentlich die starke Ü-30-Fraktion Manuel Neuer, Toni Kroos, Thomas Müller und Ilkay Gündogan, wird spätestens seit Samstagabend nicht mehr so fürchterlich vermisst.
Es drängte sich sogar der Eindruck auf, dass da noch mehr Homogenität in der verjüngten Gruppe herrscht. Lässig schlenderten die Spieler nach einem freien Nachmittag in Düsseldorf zu einem gar nicht so geheimen Abendessen mit Nagelsmann und Völler beim Italiener. Es wird viel gelächelt und gelacht bei der Nationalmannschaft.
Erste Auswärtsreise seit dem 2:0 in Frankreich
Die Anreise nach Amsterdam brachte auch für Kimmich dann ein fast schon vergessenes Gefühl zurück. Nach neun Heimspielen in diesem Jahr ging es für die DFB-Crew wieder auf Reisen. "Wann war denn unser letztes Auswärtsspiel?", musste der 29-Jährige sogar nachfragen. Die Antwort: Am 23. März in Frankreich, als Nagelsmann mit viel Mut einen radikalen Personalschnitt umsetzte. "Na, also. Da muss man sich ja keine Sorgen machen", entfuhr es Kimmich in Erinnerung an das famose 2:0 in Lyon.
Drei Tage später wurde erstmals in den damals noch als Innovation und Provokation gefeierten lila Trikots und mit Major-Tom-Torjingle Holland 2:1 besiegt und der noch zarte Aufwärtstrend bestätigt. Vielleicht eine Parallele zum Spiel zwei der Nach-EM-Zeit? Siegtorschütze war in Frankfurt kurz vor Schluss Füllkrug. "In dem Spiel haben wir es gut gemacht, daran müssen wir anknüpfen, ein bisschen dominanter sein. Dann werden wir da auch eine gute Leistung zeigen", versprach der Mittelstürmer.