Krise bei den Autobauern

In Smartville endet die automobile Zukunft

Knut Krohn
Lesezeit 7 Minuten
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11. August 2020
Saubere Energie von der Sonne für den Elektor-Smart. Vor dem Werk in Hambach können die Fahrzeuge aufgeladen werden – damit ist bald Schluss.

Saubere Energie von der Sonne für den Elektor-Smart. Vor dem Werk in Hambach können die Fahrzeuge aufgeladen werden – damit ist bald Schluss. ©Foto: Krohn

Das Smart-Werk in Hambach wird verkauft. Der Stolz der Mitarbeiter ist einer großen Frustration gewichen, denn keiner weiß, wie es an dem Standort weitergehen wird.

Hambach - Der Stolz von Hambach ist weit über die hügelige Landschaft hinaus zu sehen. In einem hohen, gläsernen Turm stapeln sich wie in einem gigantischen Setzkasten etwa zwei Dutzend bunte Smart-Fahrzeuge. Fast schon provozierend, direkt neben der Autobahn in Richtung Paris platziert, wirkt das etwas surreale Bauwerk wie ein trotziger Hinweis an alle Vorbeieilenden, dass hier, in der tiefsten lothringischen Provinz, an der automobilen Zukunft gearbeitet wird. Smartville lautet der wohlklingende Name der Fabrik, in der seit über 20 Jahren nach modernsten Maßstäben in Modulbauweise die pfiffigen Kleinwagen produziert wurden – am Ende nur noch in der Elektro-Version. An dem Standort sind bis jetzt mehr als zwei Millionen Smart-Zweisitzer vom Band gelaufen. Doch seit einigen Tagen hängen tiefschwarze Schatten über dem einstigen Vorzeigeprojekt. Der Autobauer Daimler will das Smart-Werk in Hambach verkaufen.

Die Mitarbeiter sind geschockt und enttäuscht

„Es war ein Schock für uns alle“, sagt ein Angestellter, der sich in der Mittagspause gerade auf den Weg zu seiner Familie macht. „Wir sind einfach nur enttäuscht.“ Diese beiden Worte werden in den Gesprächen mit den Betroffenen vor Ort immer wieder fallen. Die Frau am Empfang von Smartville – geschockt und enttäuscht. Der Besitzer einer kleinen Kneipe, die Verkäuferin in der Bäckerei und auch Daniel Muller, der Bürgermeister von Hambach. In dieses Gefühl mischt sich bei allen eine große Hilflosigkeit. „Wir bekommen von Daimler keine Informationen, absolut nichts, wir werden hier einfach alleine gelassen“, kritisiert der Smart-Mitarbeiter vor dem Werkstor. Anfangs will der Mann nichts sagen, doch die Frustration sitzt tief und schließlich sprudelt es aus ihm heraus. „Die Ankündigung, dass die Fabrik verkauft wird, kam wie ein Blitz aus heiterem Himmel, ohne Vorwarnung.“

Daimler trimmt Standorte auf Effizienz

Er und seine Kollegen kommen sich vor wie winzige Spielbälle im globalen Kräftemessen des Kapitalismus. Der Stuttgarter Konzern hat entschieden, sein weltweites Netz von Produktionsstandorten auf Effizienz zu trimmen, von Kostensenkung ist viel die Rede, von der allgemeinen Krise in der Automobilindustrie – und natürlich den dramatischen Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Fahrzeughersteller. In der kruden Sprache der Unternehmenskommunikation liest sich das dann so: „Nach eingehenden Analysen sind wir zu dem Schluss gekommen, dass ein Verkauf des Werkes in Hambach dem Standort die besten Zukunftsperspektiven bietet.“ Daimler wird den Smart von der nächsten Modellgeneration an zusammen mit seinem Großaktionär Geely im fernen China produzieren.

Ein neuer Investor scheint gefunden

Vor Ort bedeutet das, dass in Hambach nun 1600 Smart-Mitarbeiter um ihre Zukunft fürchten, in einer Region, die mit Fug und Recht als strukturschwach bezeichnet werden kann. Eine vage Hoffnung verheißt das Interesse des britischen Konzerns Ineos Automotive, das gesamte Werk zu kaufen. Das Unternehmen will dort einen Geländewagen nach dem Vorbild des Land Rover Defender bauen lassen. Angetrieben würde dieser allerdings nicht von einem Elektromotor, sondern von einem mächtigen Sechszylinder Dieselaggregat. „Uns ist das egal“, kommentiert der Smart-Mitarbeiter in Hambach diese Überlegung, „wir bauen hier alles zusammen, wenn wir unsere Jobs behalten können.“ Was ihn beunruhigt ist, dass bei einer Übernahme des Werkes deutlich weniger Autos vom Band rollen würden. Das heißt, dass nur ein Teil der Belegschaft weiterbeschäftigt würde. Einzige Information aus Stuttgart dazu: „Wir können bestätigen, dass Ineos Automotive ein potenzieller Käufer sein kann und wir Gespräche führen.“

Ein schwerer Schlag für Hambach

„Der Weggang von Smart ist eine Katastrophe“, sagt Daniel Muller, Bürgermeister der 2900-Seelen-Gemeinde. Fast schon bestürzt äußert er sich über die Informationspolitik des Unternehmens. Er selbst habe eine Stunde vor der Belegschaft von dem überraschenden Verkauf erfahren und habe seitdem praktisch nichts mehr gehört. Rund 800.000 Euro flossen von dem Werk als Steuereinnahmen in die Gemeindekasse, die in naher Zukunft wohl wegfallen werden. „Das ist ein sehr großer Batzen für uns“, sagt Muller.

Doch nicht nur das Geld hat Hambach geprägt, das sich durch seine sehr gut ausgebaute Infrastruktur deutlich von vielen Nachbargemeinden abhebt. Direkt hinter Smartville erstreckt sich ein Neubaugebiet mit schmucken Einfamilienhäusern. Vor dem getrimmten Rasen glänzen in den Carports blank polierte Autos in der Sonne. Ein gewisser deutscher Hang zur Übersichtlichkeit scheint sich auch bei der Gestaltung der Vorgärten durchgesetzt zu haben.

Deutsches Denken in Lothringen

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Auch im Arbeitsalltag der Fabrik herrscht deutsches Denken. „Wir haben praktisch nie gestreikt“, erzählt ein Smart-Mitarbeiter. „Uns wurde immer gesagt, das werde in Deutschland nicht gerne gesehen.“ Also habe man im Laufe der Jahre immer wieder verschiedene Kröten geschluckt. Jedes Mal, wenn ein Modellwechsel angestanden habe, sei ein regelrechter Wettkampf mit anderen Standorten in ganz Europa entbrannt, wo der neue Wagen hätte gebaut werden können. In Hambach habe die Belegschaft deshalb immer wieder schmerzhafte Zusagen machen müssen. „Aber am Ende stand aber immer der Stolz, in Smartville zu arbeiten“, sagt der Mann.

Dieses Mal hat Hambach im Ringen um Aufträge nun also den Kürzeren gezogen und die Produktion geht nach China. Allerdings wurde der Belegschaft vor zwei Jahren versprochen, im Gegenzug einen Kompaktwagen aus der neuen Elektro-Modellreihe EQ von Mercedes-Benz bauen zu können. Doch das Management in Stuttgart hat dann doch noch einmal anders entschieden und will nun alles verkaufen.

Ziemlich machtlose Gewerkschaften

„Noch vor vier Monaten hat Daimler gesagt, wir hätten die beste Fabrik der Welt“, ereifert sich Marion Mutzette von der Gewerkschaft CFE-CGC. Er arbeitet seit 23 Jahren bei Smart. „Wir sind wütend! Wir werden bis zum Ende für unsere Arbeitsplätze kämpfen.“ Das klingt wie eine Drohung, doch in Hambach hatten die in Frankreich überaus rauflustigen Gewerkschaften von Anfang an einen eher schweren Stand. Bei einer Kundgebung vor wenigen Tagen zog lediglich ein kleiner Demonstrationszug fahnenschwenkend vor die Tore von Smartville. Auch die einflussreiche Gewerkschaft Force ouvrière (FO) meldete sich kämpferisch zu Wort und prangerte das Smart-Werk als „Laboratorium liberaler Politik“ an. Die Beschäftigten seinen über Jahre immer wieder „durch abscheuliche Erpressung gezwungen“ worden, mehr zu arbeiten und weniger zu verdienen.

„Die Gewerkschaften haben irgendwie ja recht“, räumt der Smart-Mitarbeiter ein. Aber was könne man tun? Auf keinen Fall wollen die Leute in Hambach einen neuen Investor mit wilden Streiks abschrecken. Und die Politik? In Paris haben sich bereits die Minister zu Wort gemeldet und den hohen Symbolwert des Werkes für die deutsch-französische Freundschaft hervorgehoben. Das entlockt dem Mann vor dem Werkstor allerdings nur ein müdes Lächeln. Jeder in Hambach weiß, dass „Smartville“ im Jahr 1997 nicht zur Verbesserung der Völkerverständigung gebaut wurde. Schon damals standen knallharte wirtschaftliche Überlegungen im Vordergrund.

Schwere Zeiten in Lothringen

In Lothringen hatte ein qualvolles Sterben der Kohleförderung und Stahlwerke eingesetzt, die Arbeitslosigkeit stieg von Jahr zu Jahr. In dieser Situation wurden die Firmen mit massiven Vergünstigungen und den niederen Lohnkosten in die Region gelockt. In Deutschland verdiene ein Daimler-Arbeiter bisweilen das Doppelte der französischen Kollegen, wird erzählt. So setzte sich Hambach gegen andere Standorte durch. Die von der Politik gepriesene deutsch-französische Freundschaft war in diesem Fall willkommenes, aber lediglich schmückendes Beiwerk.

Was die Angestellten in Smartville im Moment wollen, sind endlich klare Verhältnisse. Es heißt, dass der Elektor-Smart noch einige Zeit weitergebaut werde, doch diesen Versicherungen traut inzwischen keiner mehr. „Es kann von heute auf morgen Schluss sein“, glaubt der Smart-Mitarbeiter vor dem Werkstor. Er selbst sei zu jung, um in Rente zu gehen. „Vielleicht werde ich weiter hier arbeiten können, vielleicht muss ich eine neue Arbeit suchen, vielleicht kann meine Familie mitkommen, vielleicht müssen wird umziehen und unser neues Haus zu einem Spottpreis verkaufen“, sagt er. Eines weiß der Mann allerdings sicher: „Angesichts der fundamentalen Krise in der Autoindustrie ist es ein sehr schlechter Zeitpunkt, seinen Arbeitsplatz als Ingenieur in der Branche zu verlieren“.

 

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