Knappes Rennen um den Chef-Sessel
Seit 1951 hat es in Kehl vier Bürgermeister beziehungsweise Oberbürgermeister gegeben. Eine Frau ist in der Galerie der Rathauschefs noch nicht dabei. Seit 1975 ist das Kehler Rathaus ein »Rot-Haus«, die zwei Amtsinhaber seither gehören der SPD an. Am 2. Februar werden die Karten neu gemischt. Der amtierende OB tritt nicht mehr an.
Drei Bewerber gingen Anfang Januar 1975 ins Rennen um das oberste Amt in der Stadt Kehl. Neben dem alteingesessenen Kehler Rechtsanwalt Fritz Baass hat auch Ulrich Mentz seinen Hut in den Ring geworfen. Der in Sigmaringen geborene Jurist war 1973 als 38-jähriger Regierungsdirektor im Regierungspräsidium Stuttgart zum Ersten Beigeordneten der Stadt Kehl gewählt worden.
Sein Kontrahent wurde der damals 44-jährige Detlev Prößdorf. Den Ministerialrat in der Wiesbadener Staatskanzlei hatten die Genossen des SPD-Ortsverbands mit Oskar Gebert an der Spitze nach Kehl gerufen. Der in Lettland geborene, in Heidelberg aufgewachsene Bewerber mit Studium der Philologie, Psychologie, Geschichte und Rechtswissenschaften hatte gegen den Kehler Sozialbürgermeister einen schweren Stand.
Und die Wahl am 26. Januar 1975 endete knapp – aber keiner der drei Kandidaten hatte die für den ersten Wahlgang erforderliche absolute Mehrheit geschafft. Die allerdings hatte Ulrich Mentz mit 47,8 Prozent nur um Haaresbreite verfehlt: In Zahlen ausgedrückt fehlten ihm ganze 241 Stimmen, um über die 50 Prozent zu kommen. Zehn Prozentpunkte weniger hatte SPD-Kandidat Prößdorf. Der gab sich mit seinem Ergebnis freilich nicht zufrieden, wie die Wiederholungswahl am 16. Februar 1975 zeigen sollte. Zudem wirkten sich Ungeschicklichkeiten der ihr Mitglied unterstützenden CDU aus. Unter anderem war gezielt Einsicht ins Wählerverzeichnis genommen und Nichtwähler angeschrieben worden, worüber die Zeitungen ob des gravierenden Vorfalls am Samstag vor dem Wahlsonntag berichteten. Normalerweise ist eine Wahlberichterstattung am Vortag tabu.
Jetzt wendete sich das Blatt: Beim zweiten Urnengang für die OB-Wahl im Februar 1975 übersprang Detlev Prößdorf die 50-Prozent-Hürde und zog mit einem Ergebnis von 52,9 Prozent ins Kehler Rathaus ein. Nunmehr musste sich Ulrich Mentz mit zehn Prozentpunkten weniger als sein Mitbewerber abfinden. Dem Dritten im Bunde, Fritz Baass, hatten 14,2 und 4,1 Prozent ihre Stimme gegeben. Die Wahlbeteiligung war von 57,1 auf 67,3 Prozent gestiegen.
Für den damals einzigen SPD-Oberbürgermeister in der Ortenau galt es, die kommunale Infrastruktur zu komplettieren und auf den Stand der Zeit zu bringen sowie Sanierungsgebiete, etwa die Kahllach, anzugehen – aufgrund der langen Besatzungszeit bestand in Kehl Nachholbedarf. Vor allem aber galt es für den jungen Oberbürgermeister nach der gerade abgeschlossenen Kommunalreform, behutsam die Weichen für die innerstädtische Integration zu stellen. Für »Vorzeigeprojekte« war weder Zeit noch Geld vorhanden.
Keine leichte Sache für den Amtsinhaber, acht Jahre später vors Wahlvolk zu treten. Zudem bekam Prößdorf für die Wahl am 30. Januar 1983 mit dem Leitenden Ministerialrat im Stuttgarter Innenministerium Peter Schoepke ein Schwergewicht als Mitstreiter um den OB-Sessel. Der in Schlesien geborene, damals 46-Jährige, hatte sich zudem die Unterstützung der CDU, Freien Wähler und Jungen Liberalen sowie die Sympathie der FDP und der Spitze der Fachhochschule sichern können.
Der Wahlkampf wurde mit harten Bandagen geführt. Das schlug sich auch in zahlreichen Leserbriefen mit Pro und Kontra für den einen und anderen Kandidaten nieder. »Weder Majestät Prößdorf noch König Schoepke« hieß es beispielsweise, »Nicht taktieren oder intrigieren« wurden die Unterstützergruppen aufgefordert und von »Amtsmissbrauch« und »Wende in Kehl« war in der Leserbriefspalte unserer Zeitung zu lesen.
Am Abend des 30. Januar 1983 fand der »Zweikampf« mit einer Wahlbeteiligung von 64,9 Prozent ein Ende: 54,4 Prozent der wahlberechtigten Kehler beauftragten mit ihrer Stimme Detlev Prößdorf, die Arbeit im Kehler Verwaltungszentrum für weitere acht Jahre fortzuführen. Ein deutliches Votum. Dennoch hatte der Mitbewerber stattliche 45,5 Prozent der Wähler für sich gewinnen können. Das bestätigte Stadtoberhaupt konnte kontinuierlich dem von ihm auf den Weg gebrachten Rahmenplan für die Stadt Gestalt verleihen, beispielsweise mit dem Bau der lange umstrittenen Fußgängerzone.
Als am 10. März 1991 wieder eine Oberbürgermeister-Wahl in Kehl anstand, blieb Detlev Prößdorf einziger Bewerber. Zwar durfte er sich über einen Zuspruch von 96,6 Prozent freuen – dennoch fiel mit einer Wahlbeteiligung von nur 19,3 Prozent ein riesengroßer Wermutstropfen in den Freudenbecher.