Theodor-Heuss-Preis in Stuttgart verliehen

Ehre für russische Menschenrechtler

Christoph Link
Lesezeit 4 Minuten
Jetzt Artikel teilen:
07. Mai 2022
Diesjähriger Preisträger ist unter anderem die Menschenrechtsorganisation Memorial. Im Bild: Mitbegründerin Irina Scherbakowa mit Ludwig Theodor Heuss (Vorsitzender der Theodor-Heuss-Stiftung)

Diesjähriger Preisträger ist unter anderem die Menschenrechtsorganisation Memorial. Im Bild: Mitbegründerin Irina Scherbakowa mit Ludwig Theodor Heuss (Vorsitzender der Theodor-Heuss-Stiftung) ©Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Ex-Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger würdigt die Zivilcourage der russischen Organisation Memorial und kritisiert westliche „Ratschläge“ an die Ukraine.

Auch eine historisch arbeitende Organisation kann den Menschenrechten dienen: Am Samstag ist im Neuen Schloss in Stuttgart dem russischen Verband Memorial für seine couragierte Arbeit für Demokratie und Menschenrechte der 57. Theodor-Heuss-Preis verliehen worden. In der ehemaligen Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) fand die Theodor-Heuss-Stiftung eine würdige Persönlichkeit, die anstelle der ihr Kommen absagen müssenden Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) die Laudatio im voll besetzten Weißen Saal des Schlosses hielt.

Die Schrecken des Stalinismus

Memorial war in den 90er Jahren gegründet worden, um die Schrecken des Stalinismus historisch aufzuarbeiten, gegen Vertuschung und Geschichtsverdrehung, wie sie auch Kremlchef Wladimir Putin vornimmt. Angehörige von Opfern wurden durch Archivarbeit über das Schicksal von Verschwundenen aufgeklärt, Memorial entwickelte sich zur größten Menschenrechtsorganisationen Russlands. Seit dem Verbot durch russische Behörden unter dem Vorwand ausländischer Agententätigkeit muss Memorial – jetzt Memorial International - aus dem Exil operieren.

Der Giftnebel der Lügen

Aber die Mitgründerin Irina Scherbakova machte in Stuttgart deutlich, dass es verwandte Organisationen gebe, die jetzt in Russland noch „unter schwierigsten Bedingungen“ weiterarbeiten. „Wir können den Machthabern nur die Kraft des Schwachen entgegensetzen, aber wir müssen den Giftnebel, der die historische Wahrheit verdecken soll, auflösen“, sagte Scherbakova. Gefragt, was angesichts des Angriffskrieges der Westen tun müsse, sagte sie: „Der Ukraine mit allen Mitteln helfen, alles andere greift nicht.“ Der Theodor-Heuss-Preis soll zivile Gruppen im Kampf gegen Recht, Freiheit und Demokratie ermutigen. Diese Hoffnung sprach auch Sabine Leutheusser-Schnarrenberger aus: „Durch das Verbot sollte Memorial mundtot gemacht werden. Das wird nicht passieren, Memorial ist unverzichtbar, Putin darf die Geschichte nicht schwärzen.“

Düstere Menschenrechtslage

- Anzeige -

Die liberale Politikerin gab einen Abriss über die globale, düstere Menschenrechtslage von Afghanistan, über die Türkei, China aber auch EU-Mitglieder wie Polen und Ungarn. Sie zitierte den ersten Satz der UN-Menschenrechtskonvention von 1948 - „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren“ –, die immerhin von 191 Staaten unterzeichnet worden sei. Sie seien damit auch eine Selbstverpflichtung eingegangen.

Mehrfach Zwischenapplaus bei der Laudatio

Mehrfach wurde Leutheusser-Schnarrenberger von Zwischenapplaus unterbrochen, etwa als sie Demonstranten hierzulande kritisierte, die „gegen die Diktatur in Deutschland“ auf die Straße gingen: Die sollten mal ihre Situation mit der in Russland oder Belarus vergleichen. Die ehemalige Bundesministerin kritisierte auch „Ratschläge“ aus Deutschland an die Ukrainer, sich Putin „zu opfern“ und auf den Krieg zu verzichten, „damit wir hier wieder unsere Ruhe haben“. Die Ukrainer verteidigten legitim ihr Leben und ihre Freiheit: „Niemand hat das Recht, über ihr Leben zu bestimmen.“ Schließlich ging sie auf ihre mit Gerhart Baum verfasste 140 Seiten lange Strafanzeige gegen Putin bei der Bundesanwaltschaft ein, die zehn sehr konkrete Ereignisse mit Angriffen auf die Zivilbevölkerung enthalte. Sie sei nicht „naiv“, so Leutheusser-Schnarrenberger, aber es gehe darum, ein „Signal in den Krieg zu setzen“. Sie erwarte zügig die Ausstellung von Haftbefehlen gegen Putin. Er müsse damit rechnen, eines Tages zur Verantwortung gezogen zu werden.

Videogruß vom Ministerpräsidenten

Nie hat die Verleihung des Theodor-Heuss-Preises wohl so eine hohe Aktualität erfahren wie diesmal. Auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) – er war wegen eines anderen Termins nur per Videogruß zugeschaltet – ging auf den russischen Angriffskrieg ein, der sei ein Verbrechen und Zivilisationsbruch, der nicht nur gegen die Ukraine, sondern die europäischen Werte wie Demokratie, Freiheit und Menschenrechte gerichtet sei. Kretschmann zitierte Theodor Heuss, wonach Demokratie nicht nur eine staatliche Ordnung sei, sondern eine Lebensform sei. Eine Kultur des Zusammenlebens von mündigen Bürgern, die sich mit Respekt und Achtung begegneten.

In Russland scheint dies derzeit zerbrochen. Aber die Stuttgarter Bildungsbürgermeisterin Isabel Fezer baute eine Brücke in eine bessere Zukunft mit dem Hinweis, es sei Memorial International, das mit seinen Netzwerken und Datenplattformen „die Tür zu Russland offen halten“ könne für die Zeit nach dem Krieg und „um mit den Menschen wieder ins Gespräch zu kommen“. Fezer zeigte sich beeindruckt über die Arbeit von Memorial, dem einst russische Frontsoldaten das starke Bedürfnis übermittelten, die Wahrheit über die stalinistische Kriegsführung zu erzählen. Gut möglich, dass dies eines Tages auch für russische Soldaten gilt, die jetzt in der Ukraine sind.

Das könnte Sie auch interessieren

- Anzeige -
  • Das Geheimnis des Erfolgs ist der große Zusammenhalt der Familie. Jeder bringt sich mit seinen Erfahrungen und Talenten ein (von links): Erika und Erhard, Brigitte und Hubert Benz sowie Anja Vetter und Alexander Benz mit ihrem kleinen Lukas. 
    29.04.2024
    Top-Life Gesundheitszentrum: Alle Altersgruppen willkommen!
    Das Top-Life Gesundheitszentrum in Berghaupten feiert in diesem Jahr ein außergewöhnliches Firmen-Jubiläum. Es basiert auf dem Alter aller sieben Familienmitglieder, die zum Erfolg des Unternehmens beitragen.
  • Physiotherapeutin Luise Wolf schätzt die Zusammenarbeit und innovativen Ansätze bei ihrem Arbeitgeber. 
    22.04.2024
    Top-Life Berghaupten: Hier steht der Mensch im Mittelpunkt
    Das Gesundheitszentrum Top-Life in Berghaupten bietet ein Komplettpaket rund um Gesunderhaltung, Rehabilitation, Prävention und Wellness. Physiotherapeutin Luise Wolf ist Teil des motivierten Teams und gibt im Interview Einblick in ihre abwechslungsreiche Arbeit.
  • Alles andere als ein Glücksspiel: die Geldanlage in Aktien. Den Beweis dafür tritt azemos in Offenburg seit mehr als 20 Jahren erfolgreich an.
    17.04.2024
    Mit den azemos-Anlagestrategien auf der sicheren Seite
    Die azemos Vermögensmanagement GmbH in Offenburg gewährt einen Einblick in die Arbeit der Analysten und die seit mehr als 20 Jahren erfolgreichen Anlagestrategien für Privat- sowie Geschäftskunden.
  • Auch das Handwerk zeigt bei der Berufsinfomesse (BIM), was es alles kann. Hier wird beispielsweise präsentiert, wie Pflaster fachmännisch verlegt wird. 
    13.04.2024
    432 Aussteller informieren bei der Berufsinfomesse Offenburg
    Die 23. Berufsinfomesse in der Messe Offenburg-Ortenau wird ein Event der Superlative. Am 19. und 20. April präsentieren 432 Aussteller Schulabsolventen und Fortbildungswilligen einen Querschnitt durch die Ortenauer Berufswelt. Rund 24.000 Besucher werden erwartet.