Ukraine-Krieg

„Offensive Operationen der Ukraine erwarte ich dieses Jahr nicht“

Tobias Heimbach
Lesezeit 6 Minuten
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02. Mai 2024
Ukrainische Soldaten beim Abfeuern einer Haubitze: Im Krieg gegen Russland spielt die Artillerie eine entscheidende Rolle.

Ukrainische Soldaten beim Abfeuern einer Haubitze: Im Krieg gegen Russland spielt die Artillerie eine entscheidende Rolle. ©Foto: dpa/--

Der Verteidigungspolitiker Marcus Faber (FDP) hat die Front in der Ukraine mehrfach besucht. Im Interview spricht er über die US-Waffenhilfen und die Aussichten für den weiteren Verlauf des Krieges.

Marcus Faber (FDP) ist Bundestagsabgeordneter und Mitglied des Verteidigungsausschusses. Er hat die Ukraine seit Kriegsbeginn mehrfach bereist. Dort besuchte er auch Kampftruppen nur wenige Kilometer von der Front entfernt, etwa bei Donezk und Saporischschja. In der Region Cherson sei eine Rakete in nur 200 Metern Entfernung von ihm eingeschlagen, berichtet er. Im Gespräch schätzt er ein, wie sich die Lieferung von US-Hilfen auf die Lage der ukrainischen Truppen auswirkt – und wie die weiteren Aussichten für den Verlauf des Krieges sind.

Nachdem die USA die Hilfen für die Ukraine freigegeben haben, sind schon bald danach erste Lieferungen erfolgt. Wie schnell kommt das bei den Truppen an der Front an?

Sobald die Munition über die ukrainische Grenze gebracht wurde, kann sie innerhalb von zwei bis drei Tagen bei den Kampftruppen ankommen. Man darf vermuten, dass sich die Lage der Soldaten also schon langsam verbessert. Allerdings gibt es natürlich Unterschiede je nach Region.

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FDP-Verteidigungspolitiker Marcus Faber.
Foto: FDP/Dominik Konrad

Was wird am dringendsten gebraucht?

Dieser Krieg ist ein Artilleriekrieg und hier haben die Ukrainer einen massiven Nachteil. Es gibt Schätzungen, dass die Russen pro Tag 10 000 Schuss abgeben können, die Ukrainer weniger als 2000. Dies sollte sich nun etwas bessern, auch weil auch Tschechien auf dem Weltmarkt Munition aufgetrieben hat und nun liefert.

Was heißt das für die aktuelle Lage?

Die Russen haben in den vergangenen Wochen viel Druck aufgebaut und viele ihrer Landsleute geopfert, auch an unsinnigen Stellen. Man geht täglich von bis zu 1000 Toten und Verwundeten aus – ein Vielfaches der Ukrainer. Doch die russische Armee wollte unbedingt Fortschritte machen, weil sie auch vom aktuellen Munitionsmangel der Ukrainer wusste und von den bevorstehenden Lieferungen aus den USA. Ich rechne damit, dass sich die Ukrainer an den Stellen, wo sie besonders stark unter Druck stehen, sich nun besser verteidigen können. Das wird die Lage sicher stabilisieren.

Zuletzt gab es Meldungen, dass die russische Armee große Gebietsgewinne machen konnte. Wie passt das zusammen?

Solche Nachrichten haben oft etwas Zeitverzögerung, denn man will ja nicht sofort dem Feind bestätigen, wo man auf dem Rückzug ist. Die erwähnten Erfolge der Russen passieren aber in der Tat in Gegenden, wo die Invasoren am stärksten gedrückt haben und wo die Munition auf ukrainischer Seite besonders knapp ist. Meine Prognose ist, dass die Russen künftig weniger Geländegewinne machen.

Mancher verbindet mit den Waffenlieferungen auch die Hoffnung auf eine Wende im Krieg. Wird die Ukraine nun in die Offensive kommen?

Ich glaube, dass die Ukraine die neuen Waffen und Munition sehr sparsam einsetzen wird. Denn in Kiew schaut man auf den Ausgang der US-Wahlen im November. Wenn Donald Trump gewählt wird, könnte es mit weiteren Hilfen schon bald vorbei sein. Ich glaube, sie werden sich auf das Verteidigen und Halten der derzeitigen Front konzentrieren. Großangelegte offensive Operationen erwarte ich dieses Jahr nicht.

Wie lange werden die aktuell zugesagten Hilfen aus Ihrer Sicht reichen?

Mit der Kombination aus dem amerikanischen Hilfspaket und der tschechischen Munitionsinitiative sind die Ukrainer bis Oktober oder November gut ausgestattet.

Und dann?

Dann wird man neues Material liefern müssten. Woher das kommt, scheint mir derzeit noch offen. Klar ist aber auch: Europa muss mehr tun und weiter aus Beständen liefern. Denn die Rüstungsproduktion in Europa wird zwar hochgefahren, aber diese neuproduzierte Munition wird man frühestens im kommenden Jahr liefern können.

Russland stellt derzeit in Moskau einen von Deutschland gelieferten Leopard-2-Panzer zur Schau. Wie ist die Lage bei den Waffen, die an die Ukraine abgegeben wurden?

Dieser Krieg wird sehr intensiv geführt und da gibt es zwangsläufig Verluste. Besonders die Artilleriesysteme wie die Panzerhaubitze 2000 oder MARS werden aber weiter effektiv eingesetzt, hier gibt es kaum Ausfälle durch Feindeinwirkung. Ein Problem aber sind Verschleiß und Ersatzteile, auch beim Flakpanzer Gepard. Bei den Leopard-2-Panzern gibt es in der Tat Ausfälle und mit den wenigen Panzern, die Deutschland ohnehin geliefert hat, kann die Ukraine nur begrenzt in die Offensive kommen. Die Bundeswehr hat noch rund 300 Leopard-2-Panzer. Es wäre gut, wenn wir die Zahl der bislang 18 gelieferten Panzer verdoppeln würden. Das könnte der Ukraine durchaus helfen.

Zuletzt wurde viel darüber gesprochen, dass die Ukrainer nicht nur zu wenig Waffen und Munition haben, sondern auch zu wenige Soldaten. Haben Sie dann Einblick, wie die Lage gerade ist?

Die Reserve der Ukrainer liegt zwischen 13 und 16 Millionen Menschen. Die Zahl ist also nicht das Problem. Große Diskussionen gibt es aber über die Wehrgerechtigkeit, denn es gibt Männer, die seit zwei Jahren an der Front sind und andere, die noch keinen Tag gedient haben. Ist es fair, dass man nicht eingezogen wird, nur weil man sich an der Uni eingeschrieben hat? Darüber wurde diskutiert. Debatten gab es auch um das Alter: Bisher wurden erst Männer ab 27 Jahren eingezogen, künftig sinkt das Alter auf 25.

Also ist die Personallage gar nicht so schlecht?

Zumindest die Zahl der Soldaten ist kein Problem. Schwierigkeiten haben die Ukrainer aber durchaus bei der Ausbildung, da gibt es derzeit einen hohen Bedarf. Denn die Ukrainer haben – anders als die Russen – den Anspruch, dass neue Rekruten eine vernünftige Grundausbildung bekommen sollen. Aber das ist zeitintensiv und es fehlen die Ausbilder. Deutschland unterstützt hier auch, aber wir als größte Nation innerhalb der Europäischen Union schaffen es gerade einmal 10 000 Ukrainer pro Jahr auszubilden. Bei einer Streitkraft von über 600 000 Mann ist das natürlich sehr bescheiden. Auch hier sollte Deutschland mehr tun.

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