Wirtschaft

Papiermaschinen – komplizierter als ein Flugzeug

Michael Hass
Lesezeit 4 Minuten
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27. Dezember 2006
Zeitungspapier, Geschenkpapier, Verpackungen oder Klopapier-Papier hat im Alltag eine nicht mehr wegzudenkende Funktion. Allein in Deutschland beschäftigt die Papierindustrie rund 45 000 Menschen. Was vor rund 2000 Jahren aus Baumrinde, Hanf und Stoffresten der Seidenproduktion mit Hand hergestellt wurde, produzieren heute hochtechnologische Maschinen und deren Bediener: Papiertechnologen.
Herren der weißen Kunst – so wurden die Papiermacher in den vorigen Jahrhunderten bewundernd genannt. Sie gaben ihre Erfahrungen von Generation zu Generation weiter. Erst als im 18. Jahrhundert der Franzose Nicolas-Louis Robert eine Maschine entwickelte, die die Produktion einer fortlaufenden Papierbahn ermöglichte, ist aus dem Handwerk ein Industrieberuf geworden. Vorbei die Zeiten, in denen jedes Blatt einzeln aus der Bütte geschöpft werden musste. »Heute ist der Papiermacher ein High-Tech-Beruf, der fundiertes technisch-mathematisches Verständnis erfordert«, sagt Jürgen Gerstner, Leiter der Papiermacherschule in Gernsbach. Das Ausbildungszentrum gilt als Synonym für die Papiermacherausbildung in Deutschland und der Schweiz. Derzeit werden 730 Auszubildende und rund 32 Fachschüler von 33 Lehrerinnen und Lehrern in der Herstellung von Papier, Pappe und Karton unterrichtet. »Fast allen Absolventen ist nach den bisherigen Erfahrungen der Papiermacherschule ein späterer Arbeitsplatz als Facharbeiter sicher.« Aber: Die Ausbildungszahlen sind rückläufig. Gründe sieht Gerstner nicht konjunkturell, sondern eher situativ. »Unsere Schule feierte im November 50-jähriges Bestehen und wir hatten in dieser Zeit immer mal wieder Schwankungen zu verzeichnen.« Vor zehn Jahren hatte die Schule noch rund 1000 Schüler ausgebildet, dann verringerte sich die Zahl sogar auf 500 Schüler. »Die Maschinen haben einen hohen Automatisierungsgrad.« Dennoch glaubt der Schulleiter nicht, dass noch mehr an Personal in der Papierindustrie eingespart werden kann. »Die Zahl der Jobs, die von ungelernten Arbeitskräften ausgeübt wurden, gibt es nicht mehr. Heute sind Experten gefragt.« Die Produktionsmengen würden in Deutschland jährlich steigen, aber nicht die Erlöse. Das Problem: Die Energiekosten seien teilweise höher als die Personalkosten. <b>Gefragte Spezialisten</b> Der typische Arbeitsplatz eines modernen Papiermachers liege heute in einer mittelständischen Firma oder einer großen Papierfabrik. Papiermacher arbeiten an computergesteuerten Maschinen, deren Wert bis zu 400 Millionen Euro betragen kann. »Verantwortungsbewusstsein, Teamfähigkeit und Zuverlässigkeit sind wichtige Grundvoraussetzungen, um diesen Beruf erfolgreich ausüben zu können»,  weiß Oberstudiendirektor Gerstner. Schließlich müsse der Papiermacher den gesamten maschinellen Produktionsablauf überwachen und sei auch für die einwandfreie Qualität zuständig. Papiertechnologen, wie der Beruf seit vergangenem Jahr offiziell bezeichnet wird, sind gefragte Spezialisten. In einem Team von qualifizierten Fachleuten stellen sie in modernsten Produktionsanlagen Papier, Karton, Pappe oder Zellstoff her. Papier, Karton und Pappe werden für das Bedrucken, Veredeln, Verpacken und die Weiterverarbeitung, Zellstoff zum Einsatz als Halbstoff für die Papier- und Kartonerzeugung vorbereitet. Die Ausbildung dauert drei Jahre und wird in den beiden Fachrichtungen Papier/Karton/Pappe oder Zellstoff angeboten. Dabei wird eine große Vielfalt von Ausbildungsinhalten vermittelt. Entsprechend vielfältig sind die Aufgaben eines Papiertechnologen. Der praktische Teil der Ausbildung erfolgt in den Betrieben, die theoretischen Grundlagen vermitteln die Papiermacherschule in Gernsbach sowie das Berufliche Schulzentrum für Gewerbe und Technik in Altenburg. Papiertechnologen arbeiten im Schichtdienst. Die Maschinen sind bis zu 200 Meter lang und elf Meter hoch. Viel Arbeit findet in den Kontrollhäuschen der hoch technisierten Maschinen statt. »So eine Maschine hat mehr Schaltanlagen als ein Jumbo-Jet«, weiß Gerhard Vollmer, der für die Ausbildung der Papiertechnologen bei der Firma Koehler in Oberkirch zuständig ist. Das Unternehmen bildet derzeit 29 Papiertechnologen und vier Diplom-Ingenieure (Berufsakademie) aus. »Die Anzahlzahl der Auszubildenden im Handwerksbereich ist derzeit stabil.« <b>Qualität prüfen</b> Das Aufgabengebiet der Papiertechnologen ist vielseitig: Aufbereitung von Roh- und Hilfsstoffen, Beispiel Bleichen, Einstellen und Überwachen von Sortieranlagen, Bedienen von Pumpen und Transportanlagen. Herstellung von Papier, Karton, Pappe und Zellstoff. Einstellung, Beschickung, Bedienung und Überwachung von Maschinen und Anlagen zur Blatt- und Zellstoffbildung. Steuern des Stoffauflaufs, Kontrolle des Papierbahnlaufs und der Aufwicklung, Einstellen und Überwachen von Entwässerungsmaschinen. Hinzu kommt die Wartung und Pflege von Maschinen und Arbeitsgeräten sowie das Beheben von Störungen. Natürlich gehört auch die Qualitätsprüfung dazu. Die deutsche Papierindustrie erwirtschaftete, laut Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, im vergangenen Jahr einen Umsatz von rund 13 Milliarden Euro, produzierte 21,7 Millionen Tonnen Papier, Karton und Pappe und ist damit mit Abstand der größte Papierproduzent in Europa. Im weltweiten Vergleich liegt sie an vierter Stelle hinter den USA, China und Japan. Das Investitionsvolumen lag 2005 bei 800 Millionen Euro und damit im Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre. Auch im digitalen Zeitalter ist das Papier nach wie vor eines der wichtigsten Datenträger unserer Zeit.

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