Ein Häuptling über den Kinofilm „Killers of the Flower Moon“

„Dieser Film ist ein historisches Ereignis“

Patrick Heidmann
Lesezeit 6 Minuten
Jetzt Artikel teilen:
18. Oktober 2023
Chief Geoffrey M. Standing Bear

Chief Geoffrey M. Standing Bear ©Foto: AFP

Chief Geoffrey M. Standing Bear ist Häuptling des indigenen Volks Osage. Regisseur Martin Scorsese hat für seinen neuesten Film, „Killers of the Flower Moon“, mit ihm zusammengearbeitet.

Chief Geoffrey M. Standing Bear ist seit 2014 Häuptling der Osage Nation. Die Kollaboration seines Stammes mit Martin Scorsese für den auf historischen Tatsachen basierenden Film „Killers of the Flower Moon“ war ihm auch deswegen ein Anliegen, weil ihm die Bewahrung der Sprache und Traditionen der Osage am Herzen liegt wie wenig anderes. Wir sprachen mit Chief Standing Bear per Videotelefonat.

Chief Standing Bear, die fürchterlichen Morde, die in den 1920er Jahren an Frauen und Männern Ihres Stammes begangen wurden, standen bereits 2017 im Zentrum eines Sachbuchs. Was war Ihre erste Reaktion, als Sie hörten, dass eine Verfilmung geplant ist?

Ich war zunächst durchaus besorgt. Als Native Americans sind wir es gewohnt, dass unsere Geschichten erzählt werden, ohne dass wir ein Mitspracherecht haben. Es stand natürlich zu erwarten, dass da jemand kommt, der eben nicht zur Osage Nation gehört und deswegen nicht mit unseren Traditionen vertraut ist. Die übrigens – das muss man vielleicht dazusagen – auch andere sind als bei irgendeinem anderen Stamm, denn es gibt in den Vereinigten Staaten mehr als 600 verschiedene und jeder hat sein eigenes Brauchtum. In einer idealen Welt würde also eine Geschichte über unsere Vergangenheit nur mit unserer Beteiligung erzählt. Wirklich damit gerechnet habe ich nicht. Dann kam aber alles ganz anders.

Das lag an Martin Scorsese, der sich des Projekts als Regisseur annahm. Er nahm bereits 2019 Kontakt mit Ihnen auf?

Sobald ich hörte, dass er „Killers of the Flower Moon“ inszenieren wird, hatte ich ein gutes Gefühl, und das bestätigte sich sehr schnell. Als wir uns trafen, war ihm schon unsere Sorge zu Ohren gekommen, wo der Film wohl gedreht werden würde. Also versicherte er uns, dass für ihn lediglich unser Gebiet in Oklahoma als Drehort infrage käme. Überhaupt war schnell klar, dass es ihm ernst war mit einer authentischen Darstellung des Geschehens. Er garantierte uns, mit unserem Sprach- und dem Kulturdezernat sowie den Stammesältesten zu kollaborieren. Und es blieb nicht bei hohlen Versprechungen.

Wovor genau hatten Sie Angst?

Es wäre entsetzlich gewesen, wenn er die Osage lediglich als Gewaltopfer gezeigt hätte, als Leichen im Hintergrund, die letztlich nur dazu dienen, die Geschichten der weißen Männer zu erzählen. Doch mit Recht verwies er uns auf einige seiner früheren Filme wie den in Japan spielenden „Silence“ oder auch „Kundun“, in denen er bereits bewiesen hatte, wie sensibel und wahrhaftig er sich anderen Kulturkreisen annähert. Letztlich fiel mir der Entschluss leicht, ihm mein Vertrauen zu schenken.

Sie sind ein gebranntes Kind, was die Darstellung von Native Americans in Film und Fernsehen angeht. Fällt Ihnen jenseits von „Killers of the Flower Moon“ noch ein anderes Positivbeispiel ein?

Spontan denke ich an „Little Big Man“ mit Dustin Hoffman. Den mochte ich sehr, auch weil er viel Humor hatte, der meiner Meinung nach viel mit unserer Kultur zu tun hat. Es gab auch sonst in den letzten 50 Jahren noch ein paar andere Filme, die Native Americans nicht nur vorurteilsbehaftet und stereotyp gezeigt haben. Aber was es eben tatsächlich bei großen Hollywoodproduktionen nie gab, war die dezidierte Beteiligung der Betroffenen selbst. Was das angeht, ist Scorseses Film in meinen Augen nun wirklich ein historisches Ereignis.

Wie genau sah diese Beteiligung aus?

Mehr als 100 Menschen aus unserer Community haben nicht nur vor, sondern auch hinter der Kamera an der Entstehung des Films mitgewirkt. Scorsese und der Drehbuchautor Eric Roth überarbeiteten immer und immer wieder das Skript, um es anzupassen an das, was sie von unseren Sprach- und Geschichtsberatern lernten. Junge Osage arbeiteten in der Kostümabteilung mit, an der Seite des Kameramannes oder in anderen Bereichen, und etliche von ihnen verfolgen nun eine Karriere beim Film, weil Scorsese und sein Team ihnen da Möglichkeiten eröffnet haben. Zu sehen, wie diese Menschen nicht nur ihre Fähigkeiten verbessern konnten, sondern damit dann auch gleichzeitig etwas schufen, was unsere eigene Kultur sichtbar macht, war ein ganz besonderes Geschenk.

Apropos Vertrauen – tatsächlich ist ja „Killers of the Flower Moon“ auch eine Geschichte, die von Vertrauen und nicht zuletzt Verrat handelt, nicht wahr?

Genau das war Scorseses Antwort, als ich ihn fragte, wie genau er eigentlich diese umfangreiche, wahre Geschichte, in die Dutzende Regierungsbeamte, Ermittler, Anwälte, Gangster und Stammesmitglieder involviert waren, erzählen wolle. Als eine Geschichte über Vertrauen und das Hintergehen eben dieses Vertrauens – so beschrieb er mir sein Projekt. Und das Ganze auf zwei verschiedenen Ebenen. Einmal geht es um das Vertrauen, das die Osage damals der Außenwelt entgegenbrachten. Sie ließen nach den Ölfunden diese Siedler in ihr Reservat, weil sie an eine neue, gemeinsame Zukunft glaubten, nur um fürchterlich betrogen zu werden. Und zum anderen geht es eben auch ganz speziell um Mollie Kyle, eine Vollblut-Osage-Frau, die sich auf Ernest Burkhart einließ, einen Weißen, der ihr Vertrauen ebenfalls aufs Fürchterlichste missbrauchte.

Gerade weil diese Ereignisse tatsächlich stattgefunden haben, bestand doch sicherlich die Gefahr, dass ein solcher Film auch re-traumatisierend auf die Osage wirken kann, oder?

Natürlich, und wir haben auch eigens Menschen in unserer Community, die darauf vorbereitet sind, jedem zu helfen, den die Auseinandersetzung mit „Killers of the Flower Moon“ traumatisiert. Aber gleichzeitig ist es eben auch wichtig, dass unsere Geschichte überhaupt einmal einer großen Öffentlichkeit erzählt wird. Außerdem haben wir mit transgenerationalen Traumata so unsere Erfahrungen, nach allem, was unser Volk in den letzten drei Jahrhunderten durchgemacht hat. So viel Verlust, von Leben, von Kultur, von Sprache. Das heilt niemals ganz, auch nicht nach mehreren Generationen.

Info

Häuptling
 Chief Geoffrey Standing Bear wurde in Oklahoma geboren und ist Rechtsanwalt. Seit 2014 ist er Häuptling des Indianerstamms Osage Nation.

Film
 In den frühen 1920er Jahren wurden mehrere reiche Angehörige des Indianerstamms der Osage in Oklahoma ermordet, nachdem große Ölvorkommen unter ihrem Land entdeckt worden sind. Mit „Killers of the Flower Moon“, der nun im Kino startet, hat Martin Scorsese das gleichnamige Sachbuch verfilmt – mit Leonardo DiCaprio, Lily Gladstone und Robert De Niro.

Weitere Artikel aus der Kategorie: Kultur

Künstler Lothar Seruset steht im Innenhof des Rathauses neben einer seiner Skulpturen: ein Mann, der mit einem Haus auf dem Arm mitten in einem Fluss steht, in dem es vor Fischen wimmelt.
16.05.2024
Lahr
Der Bildhauer Lothar Seruset bespielt die Lahrer Reihe „Kunst in die Stadt!“ drinnen und draußen. Sein filigranstes Kunstwerk wurde in der ersten Nacht nach der Ausstellungseröffnung zerstört.
Das Frühjahrskonzert des collegium musicum stand im Zeichen der Harfe, virtuos gespielt von der Solistin Kisten Ecke. ⇒Foto: Stephan Hund
16.05.2024
Oberkirch
Viel Beifall erhielt das Collegium Musicum für sein anspruchsvolles Frühjahrskonzert. Harfensolistin Kirsten Ecke unterstrich mit ihrem virtuosen Spiel den Zauber der Musik.
Dietrich Mack
16.05.2024
Kultur
Der Fußball als sportliches und gesamtgesellschaftliches Ereignis beschäftigt den Kolumnisten. Auch die Trainersuche des FC Bayern. Wer daran verzweifelt, den tröstet er mit Worten des Propheten Jesaja.
Hommage an die Musikikone Dr. John: Matthis Pascaud und Hugh Coltman mit ihrer Band beim intimen Konzert in der Reithalle.
15.05.2024
Offenburg
Gitarrist Matthis Pascaud und Sänger Hugh Coltman boten im Foyer der Reithalle vor kleinem Publikum eine überzeugende Hommage an die Musikerikone Dr. John.
Jazzsuite von Schostakowitsch und Tango von Piazzolla: Das Ensemble "sonic.art" zeigte sich vielseitig
15.05.2024
Achern - Fautenbach
Die letzten beiden Konzerte der Fautenbacher Reihe gab das "sonic.art" Saxophonquartett mit weithin unbekannten Werken. Besuch und Beifall waren dennoch eindrucksvoll.
Wladimir Kaminer unterhält mit Geschichten mit aberwitzigen Wendungen. ⇒Foto: Jürgen Haberer
12.05.2024
Lahrer Literaturtage
Bestsellerautor Wladimir Kaminer ist ein gerngesehener Dauergast bei den Lahrer Literaturtagen „Orte für Worte“. Auch die Lesung aus seinem aktuellen Buch endete mit einer "Russendisko".
12.05.2024
Kultur
Wie Sprache die Identität mitprägt, wie sie sich den Verhältnissen anpasst und wie weit die schönen Maiverse der Dichterinnen und Dichter in diesen Tagen von der Realität entfernt sind - das beschäftigt den Kolumnisten.
Das Gastspiel von Christian Ehring war der krönende Abschluss der Acherner „gong“-Kultursaison. 
07.05.2024
Achern - Großweier
Kabarettist Christian Ehring spottete in seinem Programm „Stand jetzt“, über Politiker, Gesundheitsapostel, seine esoterischen Nachbarn und machte Werbung für die Tageszeitung.
Alle Spielarten der Komödie setzte das Ensemble des Filmtheaters Kölns bei der Inszenierung von „Drei Männer im Schnee“ ein.
07.05.2024
Offenburg
Die Offenburger Theatersaison klang mit Erich Kästners Komödie „Drei Männer im Schnee“ aus. Das Filmtheater Köln regte mit seinem unterhaltsamen Spiel auch zum Nachdenken an.
Töne mit Gesang: Altsaxophonistin Hanna Koob stand im Mittelpunkt der "Zeitenwende", rechts Dirigent Rolf Schilli.
07.05.2024
Offenburg
Mit der Uraufführung von Leonard Küßners „Zeitenwende“ sowie Werken von Dvorák und Mendelssohn-Bartholdy gab die Philharmonie am Forum ein bemerkenswertes Konzert.
Die Schwestern Julia (links) und Claudia Müller haben die Jury des Oberrheinischen Kunstpreises 2024 überzeugt. Im Hintergrund Axel Lotz, Vorsitzender des Förderkreises Kunst und Kultur.
06.05.2024
Oberrheinischer Kunstpreis 2024
In einer Feierstunde in Offenburg wurde den Schwestern Julia und Claudia Müller der Oberrheinische Kunstpreis 2024 verliehen und ihr Interesse an gesellschaftspolitischen Themen gewürdigt.
Töne mit Gesang: Altsaxophonistin Hanna Koob stand im Mittelpunkt der "Zeitenwende", rechts Dirigent Rolf Schilli.
06.05.2024
Offenburg
Mit der Uraufführung von Leonard Küßners „Zeitenwende“ sowie Werken von Dvorák und Mendelssohn-Bartholdy gab die Philharmonie am Forum ein bemerkenswertes Konzert. Wofür das Publikum noch Standing Ovations spendete.

Das könnte Sie auch interessieren

- Anzeige -
  • Das Geheimnis des Erfolgs ist der große Zusammenhalt der Familie. Jeder bringt sich mit seinen Erfahrungen und Talenten ein (von links): Erika und Erhard, Brigitte und Hubert Benz sowie Anja Vetter und Alexander Benz mit ihrem kleinen Lukas. 
    29.04.2024
    Top-Life Gesundheitszentrum: Alle Altersgruppen willkommen!
    Das Top-Life Gesundheitszentrum in Berghaupten feiert in diesem Jahr ein außergewöhnliches Firmen-Jubiläum. Es basiert auf dem Alter aller sieben Familienmitglieder, die zum Erfolg des Unternehmens beitragen.
  • Physiotherapeutin Luise Wolf schätzt die Zusammenarbeit und innovativen Ansätze bei ihrem Arbeitgeber. 
    22.04.2024
    Top-Life Berghaupten: Hier steht der Mensch im Mittelpunkt
    Das Gesundheitszentrum Top-Life in Berghaupten bietet ein Komplettpaket rund um Gesunderhaltung, Rehabilitation, Prävention und Wellness. Physiotherapeutin Luise Wolf ist Teil des motivierten Teams und gibt im Interview Einblick in ihre abwechslungsreiche Arbeit.
  • Alles andere als ein Glücksspiel: die Geldanlage in Aktien. Den Beweis dafür tritt azemos in Offenburg seit mehr als 20 Jahren erfolgreich an.
    17.04.2024
    Mit den azemos-Anlagestrategien auf der sicheren Seite
    Die azemos Vermögensmanagement GmbH in Offenburg gewährt einen Einblick in die Arbeit der Analysten und die seit mehr als 20 Jahren erfolgreichen Anlagestrategien für Privat- sowie Geschäftskunden.
  • Auch das Handwerk zeigt bei der Berufsinfomesse (BIM), was es alles kann. Hier wird beispielsweise präsentiert, wie Pflaster fachmännisch verlegt wird. 
    13.04.2024
    432 Aussteller informieren bei der Berufsinfomesse Offenburg
    Die 23. Berufsinfomesse in der Messe Offenburg-Ortenau wird ein Event der Superlative. Am 19. und 20. April präsentieren 432 Aussteller Schulabsolventen und Fortbildungswilligen einen Querschnitt durch die Ortenauer Berufswelt. Rund 24.000 Besucher werden erwartet.