Die letzten Sauerkraut-Macher von Goldscheuer
Sauerkraut – das war einst eines der wichtigsten Erzeugnisse der Landwirte rund um Goldscheuer. Auch das Surkrutfeschd der Narrenzunft »Krutblättsche« erinnert jedes Jahr an diese Tradition – doch Betriebe, die Sauerkraut herstellen und anbieten, gibt’s keine mehr. Hergestellt wird nur noch für den Eigenbedarf.
Johanna Schäfer macht so schnell keiner was vor. »Bis 1990 haben wir an die Sauerkrautfabrik geliefert«, sagt sie. Das war eine Sache im großen Stil, nicht so wie jetzt, wo sie vor einer großen Wanne sitzt und ein paar Köpfe Kraut hinein hobelt. Über vier Messer läuft der Kohlkopf; unten fallen dünn geschnittene Krautfäden heraus – der erste Schritt zu einem leckeren Sauerkraut, wie man es in Goldscheuer gerne serviert. Nicht nur zuhause, sondern auch beim Surkrutfeschd der Narrenzunft »Krutblättsche«, das wie jedes Jahr am dritten Sonntag im September steigt.
»Sauerkraut kommt aus dem Elsass«
Dort hilft Johanna Schäfer, deren Sohn Markus Zunftmeister ist, natürlich mit. »Aber das Sauerkraut kommt aus dem Elsass«, berichtet sie. Seit vor drei Jahren die letzte Fabrik in Kittersburg geschlossen hat, ist in der Region eine Tradition zu Ende gegangen. Allerdings füllt sie privat noch drei »Stände« für den Eigenbedarf. Je 20 Kilo kommen da rein – für sie, den Sohn und ein befreundetes Paar.
Ernte mit Beil oder Sichel
»Ein lockerer Krautkopf soll es sein, am besten Filderkraut«, sagt Otto Krämer, der ihr bei dieser Aufgabe zur Hand geht. Denn Kraft ist gefordert – aber findige Menschen haben so einiges hervorgebracht, um die Arbeit mit dem störrischen Kraut etwas zu erleichtern. »Geerntet wird mit einem Hackbeil«, zeigt Otto Krämer auf ein solches, wahlweise auch mit einer Sichel. »Was einem eben besser in der Hand liegt.«
Kraut soll schneeweiß sein
Zuhause werden die äußeren grünen Blätter entfernt. Schneeweiß soll das Kraut sein, das über vier bis sechs Wochen zu Sauerkraut fermentiert. Johanna Schäfer schält den Kopf mit geübten Händen ab. Die größten Blätter kommen in einen Korb; später kann man diese noch zum Abdecken gebrauchen.
»In der Fabrik gab es eine Maschine, um den Strunk herauszufräsen«, erinnert sich Johanna Schäfer. Aber bei hunderten Köpfen taten trotzdem die Hände weh, man musste ziemlich drücken. Auch jetzt arbeitet sie mit Druck – und einem feinen Gerät, das sich »Bohrer« nennt: Wie ein scharfes Pflanzschäufelchen sieht es aus, aber der Griff endet in einem vertikalen Kreuz. Am Rand des Strunken eingestochen, kann man so den »Storzen« mit einer geschickten Drehung herausschneiden. »Das geht schneller als mit dem Messer«, sagt sie, obwohl sie auch damit Routine hat.
Scharfe und gesunde Senf-Note
Die Wanne füllt sich, ihre Hände fangen von dem süßen Pflanzensaft an zu kleben, der im Gegensatz zu der scharfen – und gesunden – Senfnote steht, der einem in die Nase sticht. Otto Krämer kommt auf das Rezept zu sprechen. Denn auch wenn man es bei einem so traditionellen deutschen Gericht kaum für möglich halten sollte, »es gibt immer wieder etwas Neues«. Er zeigt auf eine graue Keramik neben dem braunen Gärstand. »So war es früher«, sagt er. Ein einfaches Tonfass, bei dem man nur mit viel Gespür die gewünschte Spezialität herstellen konnte. Im zeitgemäßen Gärtopf läuft der Prozess sicherer ab. »Das liegt an der Wasserrinne«, sagt Otto Krämer. Füllt man diese mit Wasser, schließt der Topf hermetisch ab – Gase können zwar entweichen, aber keine unerwünschten Keime eindringen.
Grobes Meersalz ist am besten
Doch selbst hier gab es neue Erkenntnisse: »Wasser kann faulen, deshalb ist man mit einer Salzlake auf der sicheren Seite«, sagt er und gibt schon einmal die erste Schicht Salz in den Gärstand. »Grobes Meersalz ist am besten«, greift er in die Schüssel mit genau 163 Gramm. Das ist die Menge, die für den 20-Liter-Topf benötigt wird.
Wacholderbeeren und Lorbeerblätter
Johanna Schäfer gibt die erste Schicht mit feinen Krautstreifen ins Fass. Er streut auch darüber mit geübtem Blick die passende Menge Salz, dann greift er zu einem Stößel: Das ist sein Part, wie auch die Bilder aus dem vorigen Jahr zeigen. Mit dem Holzstampfer muss das Kraut zusammengepresst werden. »In der Fabrik mussten zwei Mann mit Gummistiefeln das Kraut in den riesigen Bottichen treten«, erinnert sich Johanna Schäfer. »Die mit Käsfüßen konnten ohne Schuhe stampfen«, witzelt er. Sie winkt ab und betont: »Die Stiefel durften natürlich für nichts anderes verwendet werden.« Tatsächlich hat Otto Krämer für den guten Geschmack etwas anderes zur Hand: Wacholderbeeren, zudem Lorbeerblätter aus dem eigenen Garten. Die großen Firmen verwenden das oftmals nicht, aber in das klassische Hanauer Hausrezept gehört zumindest der Wacholder.
Kraut, Wacholder, Salz – so geht es nun Schicht für Schicht. Dazwischen wird gestampft. Die Flüssigkeit schmatzt bei jedem Stoß, es schäumt ein bisschen, und das Kraut setzt sich zusammen. »Es soll so eng wie möglich sein, damit keine Luft dazwischen bleibt«, sagt Otto Krämer. Es steckt also Arbeit drin, selbst wenn das Duo das Kraut inzwischen meist schon fertig gehobelt kauft.
Gründlichkeit ist genauso wichtig wie Sauberkeit
Bis das Fass voll ist, dauert es eine Weile. Aber Gründlichkeit ist genauso wichtig wie Sauberkeit, wenn das Sauerkraut gelingen soll. Noch eine Lage, dann schaut Otto Krämer zufrieden. Alles wird mit Wasser aufgegossen. Johanna Schäfer holt die grünen Blätter herbei: Sie werden oben drauf gelegt. Otto Krämer greift nach den speziellen Steinen, zwei Halbkreise aus Ton. Als er die Gewichte auf das Kraut drückt, gibt die Masse noch ein bisschen nach. »Das Wasser reicht noch nicht ganz«, sagt er, und Johanna Schäfer schüttet genau so viel dazu, dass die beiden Steine unter Wasser liegen.
Kraut fermentiert bei 20 Grad Celsius
Fast geschafft. Fehlt noch das Salzwasser in der Rinne – und natürlich der Deckel. Er ist schwer; als er sich in die Rinne senkt, steigen Blasen auf. Die werden auch in den kommenden Tagen aufsteigen, wenn die Fermentierung des Krauts bei rund 20 Grad Celsius beginnt. Johanna Schäfer wird ein Auge darauf haben. »Der Wasserpegel darf nicht unter die Steine sinken, sie müssen immer bedeckt sein«, sagt sie. Und auch die Lake in der Rinne wird sie im Auge behalten, wenn der Topf dann an einen kühleren Standort verschoben wurde.
Wenn in vier Wochen die Tage noch kälter und kürzer werden, wird das erste Sauerkraut getestet. Otto Krämer hat bereits einen Ausdruck parat liegen, auf dem er notieren wird, wann es gegessen wird und wie es geschmeckt hat. Das kommt dann in die Mappe, in der sich bereits jetzt ein sehr guter Jahrgang an den anderen reiht.